Mittelschwaebische Nachrichten
Die große Leere
In vielen Klöstern wird es einsam. Weil alte Nonnen und Mönche sterben und kaum junge Menschen eintreten. Auch Ordensgemeinschaften in der Region kämpfen um ihren Fortbestand. Manche glauben einfach nur noch an Wunder
Die letzte Schwester ist Ende Februar ausgezogen Sie sagt, die Gemeinschaft geht dem Sterben entgegen
Augsburg/Kaufbeuren Feuchtigkeit durchzieht die Wand, an der die staubige Glocke hängt. Sie hat lange schon keine Nonne mehr aus dem Schlaf gerissen. Die Holzdielen am Boden des Zellentrakts knarzen bei jedem Schritt. Geben nach. Kloster Altomünster im oberbayerischen Landkreis Dachau ist marode. Risse im Gemäuer, Schimmel, Modergeruch. Auf den Bänken in der Chorkapelle liegen Gebetbücher. Notenblätter. Eine Packung Hustenbonbons. Kaum abgebrannte Kerzen. Vor der Chorkapelle, in der sich die Schwestern einst zum Stundengebet versammelten, ein Betstuhl: Darauf Zettel, auf die Gläubige geschrieben haben, was sie bedrückt. Zeilen über Krankheit und Tod und die Hoffnung auf Trost. Auf Besserung.
Längst bräuchten auch Ordensleute Hilfe von oben. Eher unbemerkt wandelt sich die Welt der Orden in einem Ausmaß, das vielen erst allmählich klar zu werden scheint. Viele Schwestern und Brüder fragen sich: Wann droht die Schließung meines Klosters? Muss ich im hohen Alter umziehen? Wer pflegt mich, wenn ich gebrechlich werde? Und welche Zukunft haben Ordensgemeinschaften überhaupt?
Nach jüngsten Zahlen sind rund 84 Prozent der knapp 16000 Nonnen in Deutschland älter als 65 Jahre; bei den etwa 4000 Mönchen sind es rund 55 Prozent. Vor allem katholische Frauenorden waren zuletzt in den Schlagzeilen, weil sie im Schnitt älter und damit stärker vom Wandel betroffen sind. Wer Schwestern besucht, die im Bistum Augsburg und dem Erzbistum München und Freising leben, wer von Altomünster nach Augsburg und von Kaufbeuren nach Bad Tölz fährt, wer mit den Nonnen über ihre Situation spricht, erlebt, wie besorgt viele sind. Manche sind traurig, wehmütig, frustriert. Andere voller Gottvertrauen und offen für Neues.
Für Altomünster ist es bereits zu spät. Die letzte Schwester hat das Kloster, das per Dekret aus dem Vatikan aufgelöst wurde, Ende Februar verlassen. Es war die letzte deutsche Niederlassung des alten Zweigs des Birgittenordens. „Dass eine Ordensgemeinschaft komplett verschwindet, wie dies in Altomünster der Fall war, ist eine Seltenheit“, sagt Arnulf Salmen von der Deutschen Ordensobernkonferenz. In zehn bis 15 Jahren, meint er, werde das mit Blick auf die demografische Entwicklung aber häufiger vorkommen. Das sei dann eine neue Situation, für die Altomünster bereits heute exemplarisch stehe.
Doch wenn Ordensgemeinschaften kleiner werden oder gar verschwinden, hinterlässt das tiefe Spuren. Denn Klöster prägen oft seit Jahrhunderten die Ortschaften. Ordensleute sind in Kindergärten und Schulen, Pflegeheimen und Krankenhäusern aktiv. Sie wirken in der Seelsorge, pflegen Kulturschätze.
Augsburg. Die 76-jährige Dominikanerin Benedikta vom Kloster St. Ursula sagt: „Ich hätte nie gedacht, dass die Wucht der Veränderung mich so trifft.“Es helfe nicht, das Problem schönzureden. Die Ordensgemeinschaften seien überaltert, jede müsse für sich herausfinden, wie die eigene Zukunft aussehen könnte. „Ich glaube, wir müssen stärker als bisher mitten in der Welt leben“, sagt Benedikta.
Kaufbeuren. Das Crescentiakloster der Franziskanerinnen steht in der Fußgängerzone. Im Klosterladen ist an diesem Vormittag kein Durchkommen. Kinder und Erwachsene drängen sich um Kerzen, schön gestaltete Kreuze, Schutzengelchen und Bücher. Mittendrin steht Schwester Elisabeth. Und lächelt. Die junge Frau strahlt eine besondere Ruhe aus. 27 Jahre ist sie. Und nicht das einzige junge Gesicht im Kloster. An der Pforte sitzt Schwester Annika, 40 Jahre.
Deutschlandweit traten im vergangenen Jahr 58 Frauen in eine Ordensgemeinschaft ein. Im Crescentiakloster sind es meist eine bis zwei Frauen jedes Jahr. Was also machen sie hier anders? Schwester Martha, 56, wird oft danach gefragt. Die Oberin tut sich schwer mit der Antwort. Ihrer Ansicht nach zieht bereits die heilige Crescentia Frauen an. Wichtiger sei aber, dass sie überhaupt Neuzugänge haben. „Denn wer will als junger Mensch schon in einer überalterten Gemeinschaft leben?“Der Altersdurchschnitt der 40 Schwestern im Crescentiakloster liegt trotzdem bei 69 Jahren.
Schwester Elisabeth arbeitete vor ein paar Jahren noch als Erzieherin. Dann bekam sie einen Artikel aus einer Zeitschrift in die Finger: „Warum wird eine junge Frau heute noch Nonne?“stand da. Die Lebensgeschichte dieser Ordensfrau ließ sie nicht mehr los. Sie spürte eine tiefe Sehnsucht in sich. Und dass etwas fehlte in ihrem Leben. Also schrieb sie eine E-Mail an die Nonne, die ihre Geschichte der Zeitschrift erzählt hatte. Es war eine Schwester des Crescentiaklosters. Als Elisabeth nach Kaufbeuren kam, sei ihr klar geworden: „Dieser Ort könnte mein Zuhause werden.“
Nun ist es nicht so, dass ein Leben im Kloster keine Frauen mehr anzieht. Einige testen es. Doch die wenigsten bleiben. Sich einordnen in die festen Gebetsregeln, in die Gemeinschaft, in der nicht die Wünsche des Einzelnen im Mittelpunkt stehen, sondern die Hingabe zu Gott, kann man nur, „wenn man sich berufen fühlt“, sagt Oberin Martha. Schwester Annika betont, dass man hinhören, in sich hineinhören müsse, um diese Berufung überhaupt wahrzunehmen. Den Ruf wahrnehmen. Und das, sagt sie, können immer weniger Menschen – bei all dem Stress, all der Hektik des Alltags. Schwester Annika spricht aus Erfahrung. Sie hat bis vor wenigen Jahren als Pädagogin gearbeitet, konnte sich ein Leben mit Mann und Kindern vorstellen. Bis sie den Ruf hörte.
Zurück in Augsburg. Schwester Benedikta sitzt an einem Tisch im „Moritzpunkt“, einem Café neben der Kirche St. Moritz. Wer über seine Sorgen sprechen oder der Einsamkeit entfliehen möchte, findet hier Menschen wie Schwester Benedikta. Sie spricht auch offen über ihre Gefühle, ihre Wehmut. 1965 ist sie mit 25 Jahren ins Kloster St. Ursula eingetreten. Damals waren es 56 Schwestern, jetzt sind es mit ihr drei. Eine ist 65, eine 72, sie 76. In all den Jahrzehnten habe es vier Eintritte gegeben. „Wir gehen dem Sterben entgegen, meine Gemeinschaft und ich persönlich“, sagt Schwester Benedikta. Sie ist eine so realistisch denkende wie lebensfrohe Frau. „Ich weiß nicht genau, wie es weitergeht“, sagt sie. „Ich weiß jedoch, dass es weitergeht.“
Auch für die Mädchenrealschule St. Ursula in Augsburg, die sie über Jahre geleitet hat, ist es weitergegangen. 2002 gaben die Dominikanerinnen sie in die Trägerschaft des Schulwerks der Diözese Augsburg. Es war ein schwerer, aber notwendiger Schritt. Ähnlich handelten Ende April die Barmherzigen Schwestern, die das Belegkrankenhaus Vincentinum in Augsburg zum 1. Juli an die Artemed-Gruppe verkauften. Die Schwestern, im Durchschnitt um die 80, sahen sich nicht mehr in der Lage, die Klinik zu betreiben. In Neuburg an der Donau übernimmt die Katholische Jugendfürsorge der Diözese Augsburg zum 1. Juni die Kliniken St. Elisabeth von den Elisabethinerinnen.
Eine, die die Hoffnung auf eine Wende nicht aufgegeben hat, ist Schwester Beda. Wie Benedikta war sie über Jahre Schulleiterin. Heute ist sie Provinzoberin des Franziskanerinnenklosters Maria Stern in Augsburg. Auch hier mangelt es an Neueintritten. „Wir beten um Nachwuchs“, sagt sie. Und nicht nur das. Die Sternschwestern laden zu den Gottesdiensten in ihre Kirche gleich unterhalb des Rathauses ein und bieten Interessierten an, etwa in Form des „Klosters auf Zeit“ihr Leben genauer kennenzulernen. Denn Schwester Beda weiß, dass es über das Klosterleben viele Vorurteile gibt. „Oft wird es in erster Linie als Verzicht gesehen.“Die vielen Weiterbildungsmöglichkeiten, die unterschiedlichen Tätigkeitsfelder im Kloster – das alles werde oft übersehen. Wie auch nicht? Je weniger sichtbar Nonnen im Alltag sind, je weniger Möglichkeiten des Kennenlernens es gibt, desto weniger weiß man von ihrem Leben.
Und was tun, wenn Neuzugänge ganz ausbleiben? Dann, sagt Schwester Beda, gelte es neue Wege zu gehen, „um jeder Gemeinschaft die Möglichkeit zu geben, ihre Identität weiter zu leben“. Etwa indem Gemeinschaften sich zusammenschließen. So verließen die drei verbliebenen Schwestern der Klarissen-Kapuzinerinnen zum Jahreswechsel ihr Kloster in Rosenheim und wurden bei den Franziskanerinnen in Mallersdorf in Niederbayern aufgenommen. Auch Mindelheimer Franziskanerinnen haben zu benachbarten Klöstern Kontakt aufgenommen.
Sachsenkam bei Bad Tölz. Schwester Faustina hofft auf eine ähnliche Lösung wie für Rosenheim. In Kloster Reutberg leben nur noch die 48-Jährige und ihre Mitschwester, 89. Für Faustina bedeutet es alles, es ist ihr Leben, ihre Mitschwester will dort sterben. Seit Jahren kursieren Gerüchte, die Franziskanerinnen müssten es verlassen. Immer wieder werden Parallelen zu Altomünster gezogen. Im nächsten Jahr feiert Reutberg sein 400-jähriges Jubiläum. Es wäre ein trauriges, sollten die Ordensschwestern dann nicht mehr dort sein.
Vonseiten der katholischen Kirche wird argumentiert: In einem Konvent, einer Klostergemeinschaft, müssen mindestens drei Schwestern leben. Und in der Tat erwägt der Vatikan, Kloster Reutberg aufzulösen, hat dafür jedoch keine Frist gesetzt. Am Montag trafen sich Vertreter des Erzbistums München und Freising, der Bürgermeister, Schwester Faustina und auch der Spiritual des Klosters, Josef Beheim. Gemeinsam mit dem Freundeskreis des Klosters setzt sich Beheim, der geistliche Begleiter der beiden Franziskanerinnen, dafür ein, dass diese bleiben können. „Wir glauben an Wunder“, sagt er. Man sei in Gesprächen mit dem Kloster St. Maria Loreto in Salzburg, die Kapuzinerinnen könnten auf dem Reutberg eine Niederlassung errichten. „Es wäre ein Experiment.“
Auf der Suche nach einem Weg in die Zukunft wird gerade manches Experiment gewagt. Kloster Reutberg soll in jedem Fall das Schicksal von Kloster Altomünster erspart bleiben. Schwester Faustina vertraut auf die göttliche Vorsehung. Wie so viele Ordensleute. „Wenn im Kloster keine Menschen mehr sind, ist es ein Museum. Und Museen haben wir eigentlich genug“, sagt sie.