Mittelschwaebische Nachrichten
Für Erdogan ist er ein Staatsfeind
Politik Ercan Karakoyun ist Sprecher der Gülen-Bewegung in Deutschland. Bei seinem Besuch in Günzburg erklärt er, welche Ziele Hizmet verfolgt
Günzburg Es ist noch nicht lange her, da musste Ercan Karakoyun unter Polizeischutz auftreten. Er ist einer der Sprecher von Hizmet in Deutschland, besser bekannt als Gülen-Bewegung. Spätestens seit dem Putschversuch vom Juli vergangenen Jahres gilt der Prediger Fethullah Gülen dem türkischen Präsidenten Erdogan als Drahtzieher und damit als Staatsfeind Nr. 1. Zahlreiche Morddrohungen hat auch Karakoyun erhalten, andere Gülen-Anhänger wurden beschimpft und beleidigt. In der Türkei wurden Tausende von ihnen verhaftet, aus dem Staatsdienst entlassen oder schikaniert. Was ist die Gülen-Bewegung, was sind ihre Ziele? Darüber sprach Karakoyun im gut besuchten Kolping-Saal in Günzburg. Hizmet ist auch im Landkreis vertreten – mit dem Verein Aktiv in Günzburg und der Mindeltalschule in Jettingen.
Hizmet heißt Engagement. „Wir engagieren uns in der deutschen Gesellschaft, wir haben viel von diesem Land bekommen“, erklärt Karakoyun, der in Deutschland geboren und nach dem Abitur Raumplanung und Soziologie studiert hat. „Dafür wollen wir etwas zurückgeben.“Getreu einem Wort des Propheten: „Wir wollen anderen Menschen von Nutzen sein.“
Oberste Priorität habe dabei die Bildung, der Schlüssel zum Ver- ständnis von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Toleranz und Kritikfähigkeit. Hizmet unterhalte deshalb Schulen wie in Jettingen, Nachhilfeeinrichtungen wie Aktiv in Günzburg und Vereine, in denen der interreligiöse und interkulturelle Dialog gepflegt werde. „Insgewurde samt gibt es in Deutschland etwa 300 Institutionen und rund 150 000 Menschen, die sich der Bewegung zurechnen.“Die Gülen-Bewegung ist seit den 1990er-Jahren in Deutschland aktiv. Wahrgenommen wurde sie kaum. Das änderte sich nach dem gescheiterten Putsch und den anschließenden, von Erdogan als „Säuberungen“bezeichneten Willkürakten. Über die Ziele von Hizmet ist aber noch immer wenig bekannt.
Die Bewegung habe es früher versäumt, in die Öffentlichkeit zu gehen und zu informieren, übte Karakoyun Selbstkritik. Das soll künftig besser werden. Im Gegensatz zu Erdogan träten Gülen, der seit Jahren im Asyl in den USA lebt, und seine Anhänger für Demokratie und Religionsfreiheit, für Toleranz und die Rechte von Minderheiten ein. Ebenso für die Trennung von Staat und Religion. Karakoyun: „Glauben braucht Freiheit. Ein Staatsislam ist ein Widerspruch in sich selbst.“Eine Geisteshaltung, die in den meisten islamisch geprägten Ländern leider nicht selbstverständlich sei.
Hizmet sei eine soziale, aber auch eine religiöse Bewegung, erklärte Karakoyun in der von der Augsburger Journalistin Stefanie Schoene moderierten Diskussion. Ob an den Schulen, etwa in Jettingen, dann auch missioniert werde, wollte ein Besucher wissen. Der Redner verneinte das.
An den Schulen gebe es keinen Religions-, sondern Ethikunterricht. „Wir bieten einen säkularen Unterricht nach den staatlichen Vorgaben.“In nicht wenigen Schulen seien muslimische Kinder sogar in der Minderheit.
In der Nacht des Putschversuchs wurden die Fensterscheiben des Hauses von Aktiv am Günzburger Marktplatz mit Eiern beworfen, tags darauf fand vor dem Gebäude eine Demonstration von ErdoganAnhängern statt. Polizeischutz hatte Ercan Karakoyun bei seinem Auftritt am Donnerstagabend in Günzburg nicht. „Die Lage hat sich etwas entspannt“, erklärte Ertan Altintas, der Vorstandsvorsitzende von Aktiv. Die Polizei habe aber zugesagt, verstärkt Streife rund um das Kolpinghaus zu fahren. Immerhin sagte Karakoyun zu den Besuchern: „Es ist mutig, dass Sie sich hier zeigen.“