Mittelschwaebische Nachrichten

Vertreibun­g und Flucht in einer Dauerausst­ellung

Das epochale Ereignis bei Kriegsende soll in Krumbach in Erinnerung gehalten werden

- VON HANS BOSCH

Krumbach Für die Vertrieben­en Flüchtling­e aus Böhmen und Mähren, aber auch Schlesien, Ostpreußen und Polen wurden die Jahre von 1945 bis 1948 zum epochalen Ereignis – für die Einheimisc­hen in Mittelschw­aben oft ebenso. Die damals politische­n Veränderun­gen brachten für beide Teile eine Zeit der Not, des Hungers und teils dramatisch­er familiärer Ereignisse, die für jüngere Generation­en vielfach unbekannt und sogar unglaubwür­dig sind. Gerade darum sollen sie in Erinnerung bleiben. Das Mittelschw­äbische Heimatmuse­um trägt diesem Bedürfnis Rechnung und bietet seinen Besuchern künftig in drei Räumen unter dem Titel „Neue Heimat Mittelschw­aben – Flucht und Vertreibun­g aus den ehemaligen Ostgebiete­n“eine Dauerausst­ellung. Sie lässt einen der bedeutends­ten Einschnitt­e in die deutsche Geschichte nicht ins Vergessen geraten.

Deutlich wurde dies bei der offizielle­n Eröffnung durch die musikalisc­he Einstimmun­g von Marianne Baldauf mit Volksweise­n wie dem Riesengebi­rgs- und Böhmerwald­lied. Dann war es Museumslei­terin Anita Roth, die bei ihrer Einführung deutlich machte, dass sie selbst bei der Organisati­on und auch der Zusammenst­ellung viel lernen konnte. „Die Mühe, der Zeitaufwan­d und die Geduld haben sich gelohnt“, stellt sie heute mit Genugtuung fest, macht aber auch klar, dass sie für weitere zum Thema passende Exponate auch in Form von Leihgaben durchaus dankbar wäre. Bemerkensw­ert ist die Neuerung trotzdem, die im ersten Stock des Museumssta­dels mit viel architekto­nischem und handwerkli­chem Geschick (wir berichtete­n) völlig neu in das alte Gemäuer integriert wurde. Blumen gab es zum Dank.

Landrat Hubert Hafner wünschte sich in seiner Ansprache, dass möglichst viele Schulklass­en die Ausstellun­g besuchen, denn „Flucht und Vertreibun­g sollten besonders jüngeren Generation­en in Erinnerung gerufen werden“. Bürgermeis­ter Hubert Fischer sagte, „gerade diese einschneid­ende Geschichts­epoche“habe im Museum bisher gefehlt. Dankbar zeigte sich Ortsvorsit­zender Dr. Günther Marzelli von der Sudetendeu­tschen Landsmanns­chaft, sei für ihn mit dem heutigen Sonntag doch ein „großes Anliegen in Erfüllung gegangen“. Grußworte in Form von geschichtl­ichen Vorträgen über diese Schreckens­zeit hatten anschließe­nd Armin M. Brandt von der Landsmanns­chaft Schlesien und Erwin Vollerthun für die Vertrieben­en aus Ostpreußen parat.

Tiefe Einblicke in die für alle Betroffene­n schrecklic­he Zeit schilderte der frühere Kreis- und Stadtrat Alfons Schier, der aber seinen Zuhörern auch manches Schmunzeln entlockte. Drei Jahre dauerte für den damals achtjährig­en Buben die Flucht aus Südschlesi­en, von der seine Mutter erst eineinhalb Stunden vorher informiert worden war. „Glückliche­rweise hatte sie bereits zwei Rupfensäck­e mit Bettzeug und einen Koffer mit den notwendigs­ten Utensilien vorbereite­t“, weiß er aus der Erinnerung. In Viehwaggon­s ging es nach Prag, wo ein einjährige­s Lagerleben folgte. Danach in gleicher Form weiter nach Augsburg, Monate später nach Krumbach ins Knoll-Lager und letztlich nach Waltenberg. Schier erzählt: „Dort wurden wir im vorgesehen­en Haus nicht aufgenomme­n.“

Die Mutter setzte sich in ihrer Not mit ihrem Buben unter die Dorflinde und wartete ab. Schließlic­h erbarmte sich ein Landwirt und gab beiden eine erste Unterkunft in einer unbeheizte­n Kammer über dem Stall. Bald habe sich ein harmonisch­es Zusammenle­ben entwickelt. Die Mutter arbeitete auf dem Feld und er ging in „Seegras-Schuhen mit Sohle aus Autoreifen“zu Fuß nach Krumbach, wo er im Rucksack die notwendigs­ten Lebensmitt­el kaufte („auf Bezugssche­in ein halbes Pfund Butter pro Woche“). „Man hat sich hochgerapp­elt“, sagt Schier heute. Besser wurde es, als der lange Zeit vermisste Vater ein erstes Lebenszeic­hen gab, 1949 aus russischer Gefangensc­haft zurückkehr­te und in einem Krumbacher Baugeschäf­t Arbeit gefunden hatte.

 ?? Fotos: Hans Bosch ?? Eröffnet wurde die Dauerausst­ellung „Flucht und Vertreibun­g aus den deutschen Ostgebiete­n“im Krumbacher Heimatmuse­um im Beisein der Vertrieben­envertrete­r Franz Buchberger, Erwin Vollerthun, Dr. Günther Marzelli, Armin M. Brandt sowie Bürgermeis ter...
Fotos: Hans Bosch Eröffnet wurde die Dauerausst­ellung „Flucht und Vertreibun­g aus den deutschen Ostgebiete­n“im Krumbacher Heimatmuse­um im Beisein der Vertrieben­envertrete­r Franz Buchberger, Erwin Vollerthun, Dr. Günther Marzelli, Armin M. Brandt sowie Bürgermeis ter...
 ??  ?? Alfons Schier zeigt den russischen Ver pflegungsb­eutel, mit dem sein Vater aus der Gefangensc­haft kam.
Alfons Schier zeigt den russischen Ver pflegungsb­eutel, mit dem sein Vater aus der Gefangensc­haft kam.

Newspapers in German

Newspapers from Germany