Mittelschwaebische Nachrichten
Kann Rock’n’Roll die Welt verändern?
Politische Parolen zwischen Punk und Pop: Ein klärendes Live-Erlebnis mit den Stars
München Er sagt: „Die Politiker wissen nicht, was sie tun. Es geht um uns!“Die Menge jubelt. Er schreit: „Nein zu Rassismus, nein zu Sexismus, nein zu Fremdenfeindlichkeit – nein zu Donald Trump.“Die ausverkaufte Halle steht Kopf. Er predigt: „Rock’n’Roll kann die Welt verändern. Ich bin nicht naiv. Das ist die Wahrheit!“12000 Menschen johlen. Dann setzt die E-Gitarre wieder ein, Feuerfontänen, Böllerschüsse und alle singen: „Don’t wanna be an American Idiot!“
Es ist Mittwochabend, München, die Olympiahalle ein Hexenkessel. Denn die US-Band Green Day zelebriert hier einen ihrer Konzertexzesse, zweieinhalb Stunden lang, unermüdlich angefeuert vom Sänger Billie Joe Armstrong geht es durch 25 Jahre Bandgeschichte, sodass Väter und Söhne im Publikum zusammen feiern, junge Mädels die Hits des aktuellen Albums „Revolution Radio“auswendig mitsingen, gealterte Punkrocker die Knaller des Durchbruchwerks „Dookie“von 1994. Es gibt zwischen „Know Your Enemy“am Anfang und „Good Riddance“am Ende auch „Basket Case“und „Still Breathing“, am meisten aber Songs von „American Idiot“, dem Album, mit dem die Punk-Rocker von Green Day zu Popstars geworden sind.
2004 war das – und der bis heute frenetisch gefeierte Titelsong passte damals zur Ablehnung des damaligen US-Präsidenten George W. Bush wie er eben heute zu der des Donald J. Trump passt. Wieder ist man sich in der Szene wie in der Halle in München einig, kann sich am gemeinsamen Feindbild entzünden und sich versichern, zusammen auf der richtigen, der guten Seite zu stehen: für Freiheit, für Gleichheit, für Vielfalt. Und so stößt auch, was der inzwischen auch schon 45-jährige Billie Joe Armstrong sagt, schreit und predigt auf entsprechende Gegenliebe. Es ist ein Fest der Einigkeit, bekräftigt durch Rituale, die die Band schon seit vielen Jahren pflegt. Etwa das, was tags zuvor im Olympiastadion nebenan für so viel Aufregung gesorgt hat, dass Coldplay-Sänger einen Fan auf die Bühne holte, der ihn dann am Piano begleiten durfte, ist bei Green Day Standard. An diesem Abend dürfen zwei Auserwählte Billie Joes Gesangspart übernehmen, eine 20-jährige Verena dann auch seine Gitarre – und bekommt das gute Stück sogar noch geschenkt. Aber wie geht das alles eigentlich zusammen: Punk und Pop und Politik?
Mit der Politik ist es am einfachsten. Die geht in Zeiten wie diesen nämlich schlicht mit allem zusammen. Musikstars versammeln sich zum Benefizkonzert nach den Anschlägen von Manchester, ColdplaySänger Chris Martin bezieht auf der Bühne gegen den Brexit Stellung, Billie Joe Armstrong schreit „Fuck Donald Trump!“, der Rapper Snoop Dogg hat in einem Video kürzlich sogar eine Clowns-Puppenversion des Präsidenten erschossen. Problematisch wird das nur, wenn einer wie Xavier Naidoo mal in eine andere Richtung politisiert… Bei Green Day allerdings ist das Linksliberale keine Attitüde, sondern Tradition des Punk-Rock.
Auf diese Weise klärt sich spätestens bei einem Konzert auch die problematischere Frage nach dem Verhältnis zwischen Punk und Pop (wo doch heute alle möglichen Kids mit einstigen Punk-Farben in den Haaren durch die Straßen schlendern). Green Day haben mit „Boulevard of Broken Dreams“und „Wake Me Up When September Ends“Pophits gehabt. Wer aber deswegen in die Olympiahalle kommt, bekommt Zweiteres gar nicht zu hören und ansonsten so höllenlaut und wild was auf die Ohren (womöglich noch den Ellenbogen vom pogenden Nachbarn), dass er schnell merkt: Das hier ist kein Pop. Nur so ist zu verstehen, wie Rock ‘n’ Roll die Welt verändern kann: dass der Einzelne in einem solch lustvollen Wir-Erlebnis die Freiheit entdecken kann – abseits von nett, normal und schön. Das kann anstecken.
Und Billie Joe schreit: „Fuck Donald Trump!“Klar