Mittelschwaebische Nachrichten
„Leidenschaft ist geil“
Mit Pink Floyd wurde er zur Legende. Jetzt rockt Roger Waters wieder solo – mit Botschaft. Über Krieg, Liebe, Trump und das ewige Leben
Wann haben Sie beschlossen, doch noch mal ein Rockalbum aufzunehmen? Roger Waters: Es begann, als ich vor einigen Jahren während der „TheWall“-Tour den Song „Déjà Vu“schrieb. Wir nahmen gleich eine Demoversion mit meiner Band auf, und ich war der Ansicht, dass der Song richtig gut ist und auf ein Album gehört. So schrieben wir weitere Stücke, die ich dann zusammen in einer Art Hörspiel zusammenfasste…
Wie ging es Ihnen privat zu der Zeit? Waters: Oje. Ich war in einer dieser On/Off-Beziehungen. Meine Herren. Das war eine sehr leidenschaftliche Liebesaffäre, was bisweilen sehr schmerzhaft und heftig für mich war. Das ging also parallel vor sich und wahrscheinlich war das für die Platte sogar ein Vorteil, weil es mich verletzlicher gemacht hat.
Was nehmen Sie aus der beendeten Beziehung mit der palästinensischen Schriftstellerin Rula Jebreal mit? Waters: Dass Leidenschaft geil ist. Und dass Leidenschaft ein knappes Gut ist im Leben. Wenn du die Chance hast, Leidenschaft zu erfahren, in welcher Form auch immer, dann nimm diese Chance wahr. Gesellt sich dann der Schmerz zur Freude hinzu, dann tut er das eben. Denn die Leidenschaft ist jeden Tiefschlag wert.
Sie waren bislang viermal verheiratet und sind viemal geschieden. Leidenschaft scheint kein knappes Gut im Leben des Roger Waters zu sein. Waters: Nun ja, eher nicht, nein.
Ihr Opa ist im Ersten Weltkrieg gefallen, Ihr Vater im Zweiten, Sie sind Pazifist und Anti-Kriegs-Aktivist, praktisch seitdem Sie Musik machen. Waters: Ja, das stimmt. Leider gewöhnt sich die Menschheit einfach nicht ab, Kriege ohne ersichtlichen Grund zu führen. Obwohl, falsch, es gibt sehr wohl einen Grund.
Welchen? Waters: Geldmacherei. In militärischen Auseinandersetzungen lässt sich so viel Geld verdienen, dass es für viele Staaten ein ökonomisches Desaster wäre, darauf zu verzichten. Krieg ist einfach ein zu gutes Geschäft. Weißhäutige Menschen verdienen ein abartiges Geld damit, braunhäutige Menschen in aller Welt zu töten.
Dabei gäbe es viel sinnvollere Projekte, die den Menschen wirklich etwas brin- gen würden. Im Silicon Valley in Kalifornien wird gerade daran getüftelt, den Tod als solchen zu eliminieren, das ewige Leben zu ermöglichen. Wären Sie gern unsterblich? Waters: Ich glaube nicht. Nein. Obwohl, ich muss noch überlegen, ich will mich nicht festlegen. Es hängt viel davon ab, in welchem Zustand du unsterblich gemacht wirst. Nur: Was haben wir davon? Wir werden den Planeten in ungefähr dreißig Jahren zerstört haben, also, das ist müßig.
Wie wollen Sie die Erde verlassen? Waters: Möglichst spät und möglichst gesund. Ich versuche, fit zu bleiben. Indem ich es zum Beispiel vermeide, fett zu werden. Und indem ich Sport mache, Übungen, mit denen ich beweglich bleibe. Nicht wie ein Besessener, aber schon recht akribisch. Sonst fällst du eines Tages hin, brichst dir die Hüfte, und das war es dann, und du sitzt nur noch im Stuhl und stirbst. Bloß nicht! Ich genieße es, aktiv zu sein und ich genieße es auch überaus, weiterhin zu arbeiten. Daher mache ich weiter, so lange ich kann.
Sie schöpfen aus einer extremen Mischung von Inspirationsquellen für dieses Album. Auf der einen Seite stehen Liebe und Leidenschaft. Auf der anderen jemand wie Donald Trump, den Sie verachten und in den Songtexten nur „Nincompoop“(frei und wohlwollend übersetzt „Der geistig nicht Gesunde“) nennen. Waters: Ja, denn das ist das Leben. Es ist eben nicht das Leben, das wir wirklich wollen. Sondern das Leben, wie es sich uns präsentiert.
Welches Leben wollen Sie selbst? Waters: Ich wünsche mir von Herzen ein Leben, in dem die Lehrer jeden Tag die Schulkinder fragen, wie es ihnen geht, was sie fühlen, was sie wollen, was ihre Träume sind. Ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der einer den anderen fragt „Was wollen wir machen?“, „Wie wollen wir die Probleme gemeinsam angehen?“, „Welche Lösungen wollen wir finden?“Stattdessen sagen wir „Okay, es ist 10 Uhr, lasst uns ein paar Bomben werfen, und danach gibt es Tee.“Je gieriger du bist, je skrupelloser, desto besser eignest du dich zum Machthaber. Mit Donald Trump ist dieses System jetzt auf die Spitze getrieben worden.
Ich kam gestern bei der Einreise mit einem Grenzpolizisten ins Gespräch, der Trump sehr verehrt. Er sagte, die USA bräuchten ein Raubtier an der Spitze, das die kleineren Staaten notfalls erlegt und auffrisst. Gnadenlosigkeit sei ein wichtiges Merkmal einer guten US-Politik. Man könne es sich nicht leisten, „die Guten“zu sein. Waters:
Um Gottes Willen. Wow, wow, wow. Das passt perfekt zu dem, was ich gerade erzählt habe. Es ist erschreckend und faszinierend. Furchtbar…
Was regt Sie an Trump besonders auf?
Waters: Wo soll ich anfangen? Vielleicht bei diesem Bullshit, zu glauben, die weiße Rasse sei anderen Rassen überlegen Trump steht exemplarisch für diesen wahnhaften Unsinn. Es ist widerlich und macht mir durchaus Angst. Aber das Gute ist: Die Rassisten und Menschenfeinde sind in der Unterzahl. Wir sind mehr. Gott sei Dank. Aber diese Welt, in der wir leben, sie ist bizarr wie lange nicht. Die Obszönität und die Unmenschlichkeit einer Politik, die dein Grenzbeamter so fantastisch findet, ist unbeschreiblich. Es ist wahr: Viele mögen Donald Trump, weil er grausam ist.
„The Wall“drehte sich um Widerstand und Revolution, das neue Album dreht sich um Widerstand und Revolution. Ist dies das Thema Ihres Lebens?
Waters: Vielleicht, ja. Ist es nicht das Thema des Lebens von uns allen? Entweder du widersetzt dich oder du endest in einem autoritären, dystopischen Gebilde von einem Staat. Du kannst entweder „Schöne Neue Welt“lesen und dich erschrecken, oder du denkst dir „Ich habe dieses neue iPhone, das reicht mir“.
Haben Sie es je bereut, vor über 30 Jahren Pink Floyd verlassen zu haben?
Waters: Nein, warum sollte ich? Das Geld? Du wirst nicht glücklicher, wenn du noch mehr davon hast. Die vermeintliche Sicherheit und Verlässlichkeit eines Markennamens kann auch eine Falle sein. Ich sage nicht, dass Langlebigkeit im Rock ’n’Roll generell eine schlechte Sache ist. Viele Bands lieben sich und machen immer weiter. Aber es ist zu verlockend, zu bequem.
Der Pink-Floyd-Keyboarder Richard Wright starb 2008. Sehen Sie die Chance, dass die lebenden Mitglieder der Band noch einmal gemeinsam auf einer Bühne stehen werden? Waters: Ich denke, das wird nicht mehr passieren.