Mittelschwaebische Nachrichten
Warum alle Goldhamster von einem Wurf abstammen
Tiere Die Nager kommen in freier Wildbahn nur in einem sehr kleinen Gebiet vor. Dort gelten sie als Plage
Würden Menschen aus Syrien einen Blick in deutsche Haushalte werfen und unsere verschiedenen Haustiere kennenlernen, sie wären über ein Tier mit Sicherheit verblüfft. Eines, das sie aus ihrer Heimat kennen und das dort wegen seiner beeindruckenden Grabungsarbeiten als landwirtschaftlicher Schädling betrachtet wird. Bei uns hockt dieses Tier viel geliebt mit Laufrad, Röhrenkäfig und vitaminreicher Körnermischung in den Kinderzimmern.
Der Goldhamster ist es, der ursprünglich aus Syrien stammt, genau genommen ist die Hochebene rund um Aleppo im Norden des Landes seine Heimat. Das Verbreitungsgebiet ist höchstens 15000 Quadratkilometer groß und hat damit etwa die eineinhalbfache Fläche von Schwaben. Trotz dieses kleinen Lebensraumes ist über den Goldhamster als Wildtier wenig bekannt. Nur selten wagten sich Wissenschaftler in das hochbrisante Gebiet, um die Tiere mit den run- den Öhrchen, den Knopfaugen und den riesigen Backentaschen im Freiland zu erkunden.
Die Domestikation des Goldhamsters ist einzigartig unter den Haustieren. Am 12. April 1930 machte sich ein Zoologe namens Israel Aharoni von der Universität Jerusalem auf den Weg nach Aleppo, um ein neues Versuchstier für die Forschung zu finden. Er grub einen Goldhamsterbau aus und stieß dabei auf ein Weibchen mit elf Jungtieren, die er mit nach Jerusalem nahm. Doch auf der Rückreise starben sieben der kleinen Hamster. Unter den übrig gebliebenen vier Jungtieren waren drei Männchen und ein Weibchen. Mit diesen Geschwistern begann Aharoni zu züchten und den Nachwuchs an Universitäten nach Frankreich, England und in die USA zu verkaufen. Nach und nach breiteten sich die Goldhamster als Versuchs- und später als Haustiere in Europa aus. 1971 brachte ein amerikanischer Forscher vier Männchen und acht Weibchen aus Syrien in die USA, und Ende der 1990er Jahre fingen Studenten der Universität Halle 19 syrische Goldhamster ein. Trotzdem: Nahezu alle heute als Haustiere gehaltenen Goldhamster gehen auf die Geschwisterpaarung aus Jerusalem zurück.
Diese lange Zuchtgeschichte mit wenig genetischer Vielfalt hat sich – für die Wissenschaftler aus Halle verblüffend – nur geringfügig ausgewirkt. Einziger gravierender Unterschied: Im Laufrad rannten die Wildfänge pro Nacht etwa drei Mal so lang wie ihre domestizierten Artgenossen. Und: Bei den Paarungstests bevorzugten alle Hamsterweibchen unabhängig von ihrer Herkunft die wildgefangenen Hamstermännchen. Bereits vor 13 Jahren erstellte der 2006 verstorbene Zoologe Rolf Gattermann von der Uni Halle deshalb die Hypothese auf, dass Goldhamster mit gezielter Partnerwahl der Weibchen in der Wildnis für genetische Vielfalt sorgen. Angesichts des Krieges in Syrien sei als Randnotiz erwähnt, dass aktuell niemand weiß, ob es überhaupt noch frei lebende Goldhamster gibt.