Mittelschwaebische Nachrichten
Wunderkind aus bestem Hause
Der alte Herr war begeistert: „Ein Wunderkind!“Wenn dem sehr anspruchsvollen Johann Wolfgang von Goethe ein solches Lob über die Lippen kam, musste es etwas wirklich Wunderbares sein. Felix Mendelssohn Bartholdy war der zwölfjährige Wunderknabe, der den Großdichter bei einem Besuch in Weimar so entzückte. Als 1827 in Berlin seine erste Oper (Die Hochzeit des Camacho) unter freundlichem Beifall aufgeführt wurde, war Mendelssohn Bartholdy gerade mal 18 Jahre alt. „Ein Mozart des 19. Jahrhunderts“, fand Robert Schumann. Dass der geniale Musiker – wie sein Bewunderer Goethe – auch ein versierter Maler war, sei nur am Rande vermerkt.
Das Genie gedieh auf einem fruchtbaren Boden. Schon Moses Mendelssohn, der Großvater des wunderbaren Felix, war berühmt: nicht als Musiker, aber als weithin bewunderter Philosoph. Und bei Vater Mendelssohn ging die kultivierte Welt jener Zeit ein und aus. Die Mendelssohns, ursprünglich jüdischen Glaubens, hatten sich nach Übertritt zum Christentum den zweiten Namen Bartholdy zugelegt. Man war wohlhabend, gebildet und ausgesprochen musisch. Der Salon im Hause von Abraham und Lea Mendelssohn Bartholdy gehörte zu den ersten Adressen Berlins. Entsprechend edel waren die Salon-Gäste.
Friedrich Hegel, der Philosoph und Vater des dialektischen Materialismus, besuchte den Salon in der Leipziger Straße 3. Der Naturforscher Alexander von Humboldt und sein Bruder, der Gelehrte und Kulturpolitiker Friedrich von Humboldt, gehörten zu den Gästen. Die Musik-Größen Robert und Klara Schumann und Franz Liszt ließen sich auch gerne blicken. Es war ein Salon der gebildeten Gespräche und vor allem der Musik. Bei den „Sonntagsmusiken“im Gartensaal der Mendelssohn-Villa war der junge Felix der Stolz der Familie. Nicht nur er: Seine ebenfalls hochbegabte Schwester Fanny trug am Klavier virtuos Bach und Händel vor und beeindruckte, wie ihr Bruder, mit eigenen Kompositionen. Also zwei Wunderkinder? Die große Karriere gehörte Felix. Das Talent seiner Schwester Fanny durfte die Mauern des trauten Heims nicht verlassen. Bruder, Vater und dann ihr Ehemann, der Hofmaler Wilhelm Hensel, fanden öffentliche Auftritte einer Dame unschicklich. Fanny Hensel schrieb kurz vor ihrem Tod traurig über ihr missachtetes Talent: „Es kräht kein Hahn danach.“