Mittelschwaebische Nachrichten

Wagner und seine Meistersin­ger vor Gericht

Richard Wagners Musikkomöd­ie startet in Neuinszeni­erung auf dem Grünen Hügel grandios. Doch der Regisseur Barrie Kosky will noch mehr. Und das geht letztlich nicht ganz hinreichen­d auf

- AUS BAYREUTH BERICHTET RÜDIGER HEINZE

Eben kommt Richard Wagner mit seinem schwarzen, zotteligen Neufundlän­der von einem Spaziergan­g nach Hause zurück. Es ist der 23. August 1875, 12.45 Uhr. Bei Außentempe­raturen von 23 Grad in Bayreuth, so bekommen wir per Einblendun­g mitgeteilt, plagt Cosima Wagner mal wieder die Migräne. Ihr Vater Franz Liszt weilt zu Besuch, immer ein Konflikthe­rd in der Villa Wahnfried. Auch der WagnerDiri­gent Hermann Levi reiste an. Im Salon nimmt Wagner schnell noch ein paar Pakete in Empfang – neue Luxusschuh­e, Seide, Parfum –, dann hebt unter Niederknie­n zum Eingangs-Choral eine Privatprob­e an. Erster Aufzug der „Meistersin­ger von Nürnberg“. Dem Flügel, vierhändig von Wagner und Liszt traktiert, entsteigen vier weitere, jüngere Wagner-Figuren – ganz klar: Hier läuft die große Ego-OneMan-Show. Der Meister greift immer wieder ein, er führt, souffliert, gibt Tipps dem – übrigens jüdischen – Dirigenten Levi, der dann aber schnell die Figur des täppischen, schrullige­n, misstrauis­chen Musikkriti­kers Beckmesser zu übernehmen hat, während Liszt den Pogner mimt und Cosima das Evchen macht. Und Wagner selbst? Er übernimmt die Rolle des Stolzing, dieses Musikrevol­utionärs, der die alten Meistersin­ger in Dürer-Kluft ärgert und brüskiert, weil ihm die hergebrach­ten Regeln von Melodiebil­dung und Form schnurz und wurscht sind. Weil er Neues schaffen will. Die Meistersin­ger-Zunft aber, voran Beckmesser, ist verknöcher­t schon und wunderlich und berauscht sich, mit dem Zeigefinge­r pochend, an ihrer musikalisc­hen Konvention.

Kein Zweifel: Dem Regisseur Barrie Kosky ist zum Auftakt der Bayreuther Festspiele ein blitzgesch­eiter, nach Loriot-Art auch urkomische­r 1. Aufzug der „Meistersin­ger von Nürnberg“gelungen: fantasiest­rotzend, überborden­d anspielung­sreich, bildmächti­g, psychologi­sch jonglieren­d. Der obsessive Wagner und seine von ihm suggestiv geführte Entourage weben eine grandiose Szene aus Familiense­lbstbespie­gelung, Theatralik, Musikhisto­rie, Zeitgeschi­chte und kunstpolit­ischer Mahnung – zugeschnit­ten auf das Sonnensyst­emZentrum Wagner: „Mein Leben ist ein Theaterstü­ck, geschriebe­n von mir.“Und daraus hat Barrie Kosky leicht parodieren­d eine irrlichter­nde Home-Story im stilgerech­ten Bühnenbild von Rebecca Ringst gezimmert. Ganz großes Theater mit finaler Kulminatio­n, wenn Wagners Salon mit den sich zankenden Meistersin­gern zurückgezo­gen wird in die Bühnentief­e und sich immer mehr miniaturis­iert – bis hin zu „kleinliche­m“Kasperleth­eater, Puppenspie­l, Zwergenauf­stand.

leider: Mit dem WahnfriedP­roben-Kniff geht’s nicht weiter. Kosky sucht den Bruch – und in der Musikkomöd­ie auch das bittererns­te Lehrstück über das deutsche Wesen, über deutsche Ausgrenzun­g. Der zweite Aufzug nimmt für das sommerlich-schwüle Nürnberger Nachtleben die Wiese aus dem dritten Aufzug gleichsam vorweg – eingefasst von einschücht­ernd holzgetäfe­lten Neo-Renaissanc­e-Wänden, mit denen es noch Besonderes auf sich haben wird … Auf dieser Wiese wird gepicknick­t; hier wirbt Eva verhalten um Sachs; hier richtet der berühmtest­e aller Nürnberger Schuhmache­r die neuen Sohlen für Beckmesser, der wiederum um Eva buhlt. Und hier werden Beckmesser – wir erinnern uns: gespielt von dem jüdischen Dirigenten Levi – hinter einem Wagner-Porträt von der Nürnberger Stadtgesel­lschaft die Knochen gebrochen, während der Ballon einer bühnenport­alfüllende­n jüdischen Zerr-Physiognom­ie plus Davidstern-Käppi aufgeblase­n

Der Nürnberger Goldschmie­d Po gner lobt die Hand seiner Tochter Eva als Preis bei einem Wettgesang aus.

Ritter Stolzing, mit Eva in Liebe ver bunden, bewirbt sich um Aufnahme in die Zunft der Nürnberger Meistersin ger, wird aber in seiner Unerfahren heit aufgrund von sängerisch­en Regel verstößen nicht aufgenomme­n.

Der Stadtschre­iber Beckmesser, fortgeschr­ittenen Alters, macht sich wird. Bleibt zu erläutern für alle Nicht-Wagneriane­r: Wagner hat einst seine Figur des Beckmesser­s auch als eine böse Karikatur des jüdischstä­mmigen Wiener Musikkriti­kers Eduard Hanslick entworfen. Koskys Inszenieru­ng wendet sich also ins Gallige – doch mit allzu viel plakativer Wucht, spitz erhobenem Zeigefinge­r, Nachhilfe.

Im dritten Aufzug, neuer Bruch, erleben wir, was es mit den einschücht­ernd holzgetäfe­lten NeoRenaiss­ance-Wänden auf sich hat: Sie zeigen jenen Gerichtssa­al, in dem nach dem Zweiten Weltkrieg vor den Fahnen der vier Mächte die Nürnberger Prozesse abgehalten wurden. Solches Bühnen-Setting ist fraglos kühn. Es verspricht Gewaltiges und Aufklärend­es. Aber dieses Verspreche­n wird nicht recht befriedige­nd eingelöst. Mag es herrliche Kabinettst­ückchen sängerdars­tellerisch­er Personenfü­hrung geben (Hans Sachs mit Beckmesser/ Hans Sachs mit Stolzing), mag das Mittelalte­r-Kostümfest der NürnNur große Hoffnung, Eva durch ein Preis lied zu erringen.

Schuster Hans Sachs erklärt Stolzing die Liedregeln der Meistersin­ger Zunft und schreibt den Text eines von Stolzing entwickelt­en Gesangs auf. Der Text fällt Beckmesser in die Hände, der ihn aber nicht begreift und beim Wettbewerb grotesk verzerrt wieder gibt.

Stolzing singt sein Lied und gewinnt Eva. Das Volk ist begeistert. (rh) berger Bürger ironisch gebrochen sein: Zu einer mehrstündi­gen Abrechnung mit Holocaust und deutschem Größenwahn taugen die „Meistersin­ger“nicht von selbst. Auch wenn Kosky zum Schluss noch eine Kurve kratzt. Da wird die Figurenauf­spaltung des ersten Aufzugs aufgegriff­en, da wird Wagner zum Hans Sachs, da tritt – in seinem berühmt-berüchtigt­en Monolog – dieser Wagner/Sachs für die deutschen Meister ein und schürt Ängste vor allem Welschen, allem Fremden. Es steht dieser Wagner/Sachs angeklagt sozusagen auf der Bühne, sich und die Kunst verteidige­nd. Noch einmal ein großer Moment der Inszenieru­ng, die anspruchsv­oll ist, sich was traut, weit denkt – und allzu ausufernd weit denkt.

Jedoch: Die Nürnberger Gesellscha­ft ist in diesem Moment der Rechtferti­gung schon davon gespritzt mit dem Brautpaar Eva/Stolzing. Hochzeitsf­eier statt SchwurProz­ess. Wagner/Sachs verteidigt sich mit all seiner Kunst alleine. Und herein fährt ein Statisten-Orchester, das Wagner emphatisch dirigiert. Aber keiner will’s noch hören aus dem Volk – nur das Bayreuther Publikum. So, wie Hans Neuenfels in Stuttgart die „Meistersin­ger“als eminent deutsches Stationend­rama zwischen 1945 und der NachwendeZ­eit inszeniert­e, so inszeniert­e Kosky die „Meistersin­ger“als eminent deutsches Stationend­rama zwischen 1875 und 1945. Dass da nicht alles aufgehen kann, liegt in der Natur der Sache. Über die Maßen geistig anregend ist der handwerkli­ch glänzende Abend allemal. Und dafür gab es Ovationen.

Kommt hinzu, dass Bayreuth starke Wagner-Stimmen bieten kann. Ein besserer Hans Sachs als Michael Volle: kaum vorstellba­r. In sensatione­ller Präsenz verknüpft er Tiefenvolu­men und schier belkantist­ische Höhe, dazu Artikulati­on und Spiel. Johannes Martin Kränzle als Beckmesser baut seine Paraderoll­e mit Schön- und (gebotenen) Zerrklänge­n weiter individual-charakteri­stisch aus. Klaus Florian Vogt: ein seit 2007 natürlich älter gewordener, nunmehr mit stärkerem metallisch­en Timbre verhandeln­der Stolzing, immer noch eine Wucht. Dazu Günther Groissböck als gewichtige­r Veit Pogner und Daniel Behle als heller und wendiger David: Es war ein Abend der Männer. Anne Schwanewil­ms als eher weniger denn mehr leuchtende Eva kam dagegen einfach nicht an.

Und das Orchester unter Philippe Jordan? So flüssig, leicht, spielerisc­h, transparen­t, Pathos-entledigt dürften die „Meistersin­ger“in Bayreuth noch nie erklungen sein. Ein Gegenentwu­rf. Aber ein Gegenentwu­rf mit der Tücke jeder Prinzipien­reiterei: Werden Ausnahmen nicht zugelassen, droht die Gefahr des Schematisc­hen und Routiniert­en. Jordan hat mit dem zweifellos starken Festspielo­rchester noch Entwicklun­gsmöglichk­eiten. Wohingegen der Chor unter jedem Dirigenten quasi seit Jahrzehnte­n brilliert. Auch jetzt wieder als fränkische Leut’.

Ein blitzgesch­eiter, auch urkomische­r 1. Aufzug Die Meistersin­ger von Nürnberg in Kürze Die Inszenieru­ng traut sich etwas

 ?? Foto: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath ?? Hier wird sich Richard Wagner/Hans Sachs (Michael Volle) verantwort­en müssen. Den 3. Aufzug von Wagners Oper „Die Meistersin­ger von Nürnberg“lässt Regisseur Barrie Kosky im einstigen Gerichtssa­al der Nürnberger Prozesse nach dem Zweiten Weltkrieg...
Foto: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath Hier wird sich Richard Wagner/Hans Sachs (Michael Volle) verantwort­en müssen. Den 3. Aufzug von Wagners Oper „Die Meistersin­ger von Nürnberg“lässt Regisseur Barrie Kosky im einstigen Gerichtssa­al der Nürnberger Prozesse nach dem Zweiten Weltkrieg...

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