Mittelschwaebische Nachrichten
Fünf auf einen Streich
Yannick Nézet-Séguin dirigiert Mendelssohn
Der 42 Jahre alte Yannick Nézet-Séguin gehört zu den faszinierendsten Dirigenten seiner Generation. Nach und nach arbeitet sich der Kanadier auch auf Tonträger durch den Kanon großer Sinfonik. Bei der Deutschen Grammophon sind bereits die Sinfonien Schumanns erschienen, nun legt Nézet-Séguin nach mit Mendelssohn, wiederum mit dem Chamber Orchestra of Europe.
Was Interpretationen dieses Dirigenten grundsätzlich auszeichnet, ist ihre ungezwungene Selbstverständlichkeit, die gleichwohl nie auf Sorgfalt verzichtet. Mendelssohns apollinisch-klarer Musik kommt diese Haltung sehr entgegen. So ist eine Gesamtaufnahme entstanden, die eben nicht allenthalben punktet mit dem Nie-Gehörten, was sich doch oftmals nur als mutwillig herbeigezwungener Aha-Effekt entpuppt. Nézet-Séguin verfolgt das Ideal spannungsreicher Natürlichkeit. Und so kommt hier etwa die Vierte, die schon alle möglichen Tempo- und Artikulations-Experimente über sich ergehen lassen musste, zwar in gebotener Ausgelassenheit daher, schlägt dabei aber nicht Rad in vermeintlich „italienischem“Überschwang.
Trotzdem ist Nézet-Séguin ein viel zu guter Dirigent, um den Werken nicht dort, wo es ihm geboten scheint, seinen Stempel einzuprägen. In der „Schottischen“wird nach der langsamen Einleitung nicht forsch losgebraust, sondern gehen die Abschnitte organisch ineinander über. Und in der Zweiten fasst Nézet-Séguin den Eröffnungssatz nicht in trutziger Glaubensstrenge, sondern verwandelt den „Lobgesang“in tänzerischen Schwung. Das Chamber Orchestra punktet durchwegs mit kernig-kompaktem Klang, die Live-Aufnahmen aus der neuen Pariser Philharmonie sind transparent und von natürlicher Räumlichkeit. Eine Aufnahme, die Bestand haben wird. (sd) **** *