Mittelschwaebische Nachrichten
Klitschkos letzter Applaus
Drei Monate lang hat der Ukrainer nach seiner epischen Niederlage gegen Anthony Joshua überlegt, ob er noch einmal in den Ring steigen soll. Am Ende hat die Vernunft gesiegt. Wladimir hat jetzt andere Pläne
Frankfurt Jetzt ist es also entschieden und endgültig: Wladimir Klitschko beendet seine so erfolgreiche 27-jährige Karriere als Boxer. Der ukrainische Kosmopolit tritt nicht als siegreicher Champion ab, sondern mit zwei Niederlagen: einer peinlichen und einer heroischen. Das selbst verschuldete Fiasko gegen Tyson Fury im Oktober 2015 bedeutete nach neuneinhalb Jahren das Ende seiner Herrschaft als Weltmeister im Schwergewicht (IBF, WBO, WBA). Als „letztes Hurra“aber wird der epische Kampf gegen Anthony Joshua am 29. April 2017 im Wembley-Stadion vor 90000 Zuschauern in Erinnerung bleiben, in die Geschichte und in die „Hall of Fame“eingehen. Trotz des Abbruchs in der elften Runde, trotz Niederlage durch Technischen K. o. hatte der attraktive Adonis mit 41 Jahren weltweit Respekt und Anerkennung gewonnen.
Die Performance in London, wo er nach einem Niederschlag den Knock-out gegen den 14 Jahre jüngeren Favoriten und Titelverteidiger verpasste, war die eindrucksvollste und beste seiner 29 Weltmeisterschaften. Die Washington Post brachte den spektakulären, aber unglücklichen Auftritt auf den Punkt: „In der Niederlage war Wladimir Klitschko größer als bei seinen Siegen.“Mitschuld nahm der große Bruder Vitali Klitschko auf sich, weil er, der Ex-Champion und Kiewer Bürgermeister in der Ringecke, nach dem Niederschlag zur Zurückhaltung gemahnt habe, anstatt zum finalen K.-o.-Schlag zu ermutigen.
Nach drei Monaten des Nachdenkens, als alles bereits auf einen Rückkampf am 11. November in Las Vegas hingedeutet hatte, begründete der Ex-Champion seinen Entschluss in einer Presse-Mitteilung der Klitschko Management Group (KMG): „Ich habe mir nach meinem letzten Kampf gegen Anthony Joshua bewusst genügend Zeit für die Entscheidungsfindung genommen. Ich habe als Amateur und Profi alles erreicht und kann jetzt gesund und zufrieden die spannende Karriere nach der Karriere angehen. Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass ich eine so lange und erfolgreiche sportliche Laufbahn haben würde.“
Anfang Juni hatte Wladimir Klitschko in der Elbphilharmonie in Hamburg seine neuen Berufspläne mit einer bombastischen Präsentation vorgestellt: die Marke „Klitschko“. Der Wahl-Hamburger bietet unter anderem an der Schweizer Elite-Universität St. Gallen ein Studienmodul zum Thema „Change and Challenge Management“an. Der Boxer fortan als Beratungs-Unternehmer in der digitalisierten Welt. Seit jenem 7. Juni 2017 musste jedem – trotz aller gegenteiligen Nachrichten und Spekulationen aus England – eigentlich klar gewesen sein, dass es keine Rückkehr in den Ring geben werde. Denn nur wenn sich der Boxer noch einmal mit der gleichen Besessenheit fast drei Monate lang auf den Rückkampf konzentriert und vorbereitet hätte, wäre ein Sieg möglich gewesen. Zu dieser nochmaligen Obsession fehlt ihm letztlich die Motivation. Nicht nur weil die neue berufliche Herausforderung, sondern auch das Familienleben mit der Schauspielerin Hayden Panettiere und der zweieinhalbjährigen Tochter Kaya Evdokia seine ganze Hingabe fordern.
Wladimir Klitschko tritt mit dem Selbstwertgefühl ab, „when a loss is a victory“. Er verstehe jetzt, dass Erfolg nicht unbedingt bedeutet, das gesetzte Ziel zu erreichen. Er habe den Kampf seines Lebens gekämpft. Aber sein Gegner habe gewonnen. „So absurd es klingen mag, trotzdem habe ich den Ring als Sieger verlassen. Ich hätte niemals gedacht, dass ich das einmal sagen werde. In der Niederlage hatte ich größeren Erfolg, als ich bei einem Sieg gehabt hätte. Fans auf der ganzen Welt feiern meine Leistung und zeigen mir ihre Wertschätzung. Die Reaktionen, die ich erhalten habe und noch immer bekomme, sind überwältigend. Ich habe Enthusiasmus, Ermutigung und Respekt gespürt, für mich, meine Leistung, meinen fairen Kampf und mein Boxen allgemein. Mehr kann ich mir nicht wünschen.“So denkt ein gestandener Mann, nicht ein gefallener Boxer. Die Vernunft ist stärker als die Verlockung von 20 Millionen Pfund.
„In der Niederlage war Wladimir größer als bei seinen Siegen.“Washington Post