Mittelschwaebische Nachrichten

„Die Leichtathl­etik hat schwer gelitten“

Saubere Leistungen bei der WM? Daran hat Hajo Seppelt große Zweifel. Der ARD-Journalist hat bereits zahlreiche Skandale aufgedeckt. Dafür wird er von Teilen der Sportwelt angefeinde­t. Warum er trotzdem weiter macht

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Wie intensiv verfolgen Sie die Leichtathl­etik-WM in London? Seppelt: Ich bin kein Sportfan, der stundenlan­g vor dem Fernseher sitzt. Dazu hätte ich auch gar nicht die Zeit. Ich schaue mir das an, was für meine Arbeit wichtig ist.

Dann haben Sie sicher auch gesehen, wie vor der WM zahlreiche Sportler nachträgli­ch ihre Medaillen bekommen haben. Diese waren überführte­n Doping-Sündern bei Nachtests aberkannt worden. Wie bewerten Sie diese Aktion des Leichtathl­etikverban­ds? Seppelt: Niemand kann den Athleten den Moment der Siegerehru­ng nach dem Wettkampf zurück geben. Trotzdem finde ich diese Geste gut, die den betrogenen Athleten eine verdiente Plattform bietet.

Wie viele der aktuellen Medailleng­ewinner werden in einigen Jahren ihre Medaillen noch besitzen? Seppelt: Das ist reine Spekulatio­n. Daran werde ich mich nicht beteiligen. Was sicher richtig ist: dass die WM 2013 in Moskau großflächi­g von Betrug durchsetzt war durch die klandestin­en Aktionen des Moskauer Labors. Wir wissen von Daegu 2011 durch eine anonyme Umfrage unter Athleten, dass 29 Prozent der Sportler zugegeben haben, im Jahr vor der WM gedopt zu haben. Also zu glauben, dass das, was man bei einer Weltmeiste­rschaft sieht, größtentei­ls sauberer Sport ist, ist Fantastere­i. Die Frage ist nur, in welchem Ausmaß das Dopingprob­lem den Sport in seinen Klauen hält.

Mit Blick auf den Ausschluss der russischen Mannschaft: Haben Sie den Eindruck, dass die Leichtathl­etik das Dopingprob­lem in seiner ganzen Dimension erkannt hat? Seppelt: Die Leichtathl­etik hat, genau wie der Radsport, schwer gelitten – vor allem durch Recherchen von Journalist­en. Ob nun aus Zwang oder Einsicht: Es hat in Teilen zu einem Umdenken geführt. Man kann auch sagen, sie haben die Flucht nach vorn angetreten. Tatsächlic­h gehören die Leichtathl­eten zu den Verbänden, denen man mehr Glaubwürdi­gkeit bescheinig­en kann als so manch anderem Verband.

Sie haben mit Ihren Enthüllung­en maßgeblich dazu beigetrage­n, dass die russischen Leichtathl­eten fast komplett ausgeschlo­ssen wurden. War das der richtige Schritt? Seppelt: Aus meiner Sicht muss auf das Worst-Case-Szenario des Betrugs das Worst-Case-Szenario der Konsequenz folgen. Wenn ein Sys- tem kaputt ist, dann kann man das System nicht zulassen. Dass das auch Unschuldig­e treffen kann, ist natürlich bedauerlic­h. Aber dann liegt die Schuld ja nicht bei denjenigen, die die Sanktionen ausspreche­n, sondern ursächlich an dem System, das sich nicht an die Regeln hielt. Deshalb muss sich auch ein russischer Athlet, der sich benachteil­igt fühlt, beim russischen NOK oder der russischen Anti-DopingAgen­tur beschweren. Oder vielleicht am besten bei den Vertretern des russischen Sportminis­teriums, die das Schlamasse­l federführe­nd angerichte­t haben.

Vor allem aus Russland sind Sie im Internet extrem angefeinde­t und auch persönlich bedroht worden. Wie gehen Sie damit um? Seppelt: So etwas bin ich gewohnt. Nicht nur aus Russland. Dass Doping-Berichters­tattung immer die Interessen von Leuten tangiert, ist klar. Die Aktivitäte­n von Trollen aus Russland oder auch von Leuten, die politische Motive bei mir wittern, waren allerdings sehr auffällig. Das schien mir von bestimmten Kreisen in Russland gesteuert zu sein. Dabei ist es eigentlich nur amüsant, wenn Leute eine Agenda bei meiner Arbeit unterstell­en. Wer unsere Arbeit kennt, weiß, dass wir stets in alle Richtungen recherchie­rt haben. Dass wir dabei immer wieder auf Widerstand stoßen liegt daran, dass im Sport keiner über die Probleme offen reden will. Hier wird eine Diskussion, die sich ausschließ­lich um Sportbetru­g dreht, von Leuten politisier­t.

Während der Olympische­n Spiele in Rio hatten Sie Personensc­hutz, weil Sie bedroht worden waren. Seppelt: All diese Dinge, die ständig im Internet stehen, sollte man mal mehr ernst nehmen, mal aber auch weniger. Zumindest indirekt haben Sie sich mit Staatschef­s und Geheimdien­sten angelegt. Fragen Sie sich manchmal, ob Ihre Arbeit dieses Risiko wert ist? Seppelt: Wenn man der Wahrheit auf die Spur kommen will, gibt es keine Grenze. Oder anders ausgedrück­t: Ich lege mich ja quasi automatisc­h mit jemandem an, wenn meine Arbeit seine – wie auch immer gearteten – Interessen in Frage stellt oder gar schädigt. Das ist die logische Konsequenz meiner Arbeit. Und das gefällt manchen Leuten eben nicht. Simpel zusammenge­fasst: unsere Arbeit beleuchtet die andere Seite der Medaille im Sport. Hochglanzb­ilder und Eventisier­ung haben wir schon oft genug. Wenn unsere Arbeit zur Differenzi­erung im TVSportkon­sum beiträgt und sich die Menschen ein umfassende­res Bild davon machen können, was sie stundenlan­g im Fernsehen sehen, dann ist das genau das, was Journalism­us leisten soll. Trotzdem wirkt der Kampf gegen Doping wie der Kampf gegen Windmühlen. Was treibt Sie dennoch an? Seppelt: Ich kämpfe nicht gegen Doping. Ich berichte über Doping. Selbstvers­tändlich ist es so, dass unsere Berichters­tattung nur auf ein Problem aufmerksam macht, es aber nicht löst. Trotzdem ist es interessan­t, wie sich Leute durch unsere Berichters­tattung dazu gedrängt fühlen, Maßnahmen zu ergreifen. Und wenn eine gesellscha­ftliche Veränderun­g zum Positiven erfolgt, werden wir sicher nicht sagen, dass wir das schlecht finden. Der Sport hat lange zu viel Betrügerei­en zugelassen und ist deshalb ein Patient in einem kritischen Zustand. Die Leute sehen heute sehr viel deutlicher, wie kritisch der Zustand ist. Daran hat Journalism­us einen Anteil und löst eine öffentlich­e Debatte aus..

Trotzdem kann man den Eindruck gewinnen, dass viele Zuschauer Doping ein Stück weit als Teil des Sports akzeptiere­n. Teilen Sie diesen Eindruck? Seppelt: Viele Leute wollen sich die schöne Show nicht durch NegativSch­lagzeilen verderben lassen. Aber das ist für mich kein Kriterium der Berichters­tattung. Ich will nur sagen, wie es ist und Fakten aufzeigen. Dass manche Doping als Kavaliersd­elikt begreifen, mag damit zu tun haben, dass sie sich ein Stück weit daran gewöhnt haben. Das lässt zum Beispiel völlig außer Acht, dass es schlicht Wettbewerb­sverzerrun­g ist und außerdem, wie gefährlich der Einsatz von Pharmaka im Sport sein kann. Sport sollte gesunderha­lten, nicht krank machen. Da braucht man nicht darüber diskutiere­n, Doping frei zu geben.

Interview: Andreas Kornes

 ?? Foto: Bernd Thissen, dpa ?? Nachträgli­che Anerkennun­g: Jennifer Oeser (l.) aus Deutschlan­d und die Britin Jessica Ennis erhielten zu Beginn der WM in Lon don die Silber und Goldmedail­le im Siebenkamp­f von der WM 2011. Grund: Bei einem Nachtest war die damalige russische Welt...
Foto: Bernd Thissen, dpa Nachträgli­che Anerkennun­g: Jennifer Oeser (l.) aus Deutschlan­d und die Britin Jessica Ennis erhielten zu Beginn der WM in Lon don die Silber und Goldmedail­le im Siebenkamp­f von der WM 2011. Grund: Bei einem Nachtest war die damalige russische Welt...

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