Mittelschwaebische Nachrichten
Ein Desaster für die Deutsche Bahn
Im baden-württembergischen Rastatt ist ein Tunnel eingebrochen. Dadurch kommt der Zugverkehr bis Anfang Oktober auf der wichtigen Nord-Süd-Verbindung zum Erliegen
Rastatt Am Ende der Ringstraße in Rastatt-Niederbühl ertränken derzeit zwei Pumpen 18 Millionen Euro und den Mythos von der deutschen Ingenieurskunst in Beton. Hier, keine zehn Meter entfernt von den hübschen Gärten gepflegter Ein- und Zweifamilienhäuser, verläuft die Bahntrasse der Nord-Süd-Magistrale des europäischen Bahnverkehrs. Ob Richtung Basel und Süden oder Richtung Karlsruhe und weiter nach Norden – was an Güterzügen oder ICEs Deutschland und Europa zwischen Nord und Süd quert, muss hier vorbei.
Tonnen von Gütern, tausende von Bahnreisenden täglich. Doch seit am Samstag, 12. August, gegen elf Uhr am Ende der Ringstraße die Erde in Bewegung geriet, steht der Bahnverkehr zwischen Rastatt und BadenBaden still – eine gigantische Panne für die Bahn. Dabei sind es nur ein paar Kilometer Strecke zwischen den beiden Bahnhöfen, doch für die Reisenden heißt es jeweils: Endstation mit der Bahn. Umsteigen auf den Schienenersatzverkehr mit Bussen.
Unter dieser Trasse befindet sich die Decke einer der beiden Tunnelröhren für das Bahn-Großprojekt Rheintalbahn. Dort steckt „Wilhelmine“. 4200 Tunnelmeter unter Rastatt hindurch sind in dieser östlichen Röhre bereits geschafft, nur 50 Meter fehlen noch, dann sollte „Wilhelmine“, die gigantische Tunnel-Vortriebsmaschine, 90 Meter lang, 1750 Tonnen schwer und knapp 18 Millionen Euro teuer, aus dem Boden und gleich hinter den Häusern der Ringstraße wieder auf die oberirdisch geplante neue Rheintalbahntrasse stoßen.
Dann kam 12. August. Das Erdreich sackte unter der Bahntrasse ab: Wasser, Schlamm und Erdreich sollen in die Tunnelröhre eingedrungen sein, in einen Bereich, der schon seit einigen Tagen fertiggestellt war. Tonnenschweres nasses Erdreich schob nach. Die oberirdische Trasse sackte um rund 30 Zentimeter ab, die Gleise, plötzlich haltlos, bogen sich durch ihr eigenes Gewicht nach unten durch.
Noch rätseln die Ingenieure, was überhaupt passiert ist. „Wir wissen es nicht“, sagt Klaus Pöllath für die Baufirmen Züblin und Hochtief. Und der für die Großprojekte im Bahnvorstand zuständige Dirk Rompf gibt zu: „Eigentlich hätte es nicht passieren dürfen.“
Über Nacht haben sich seitdem die wenigen hundert Meter Bahndamm an der Ringstraße in eine Großbaustelle verwandelt. Bagger, Rohre, Pfützen, Schlauchkräne, Generatoren, Pumpen und Männer, die im 24-Stunden-Schichtbetrieb arbeiten. Gegen den Dauerlärm der Maschinen und Pumpen ist das den Anwohnern ansonsten so vertraute Rattern der Güterzüge oder Pfeifen der ICEs wie sanftes Windgesäusel. Bevor die beschädigte Bahntrasse repariert werden kann, muss zuerst der Untergrund stabilisiert werden. Deshalb wird die gerade frisch gebohrte und verkleidete, hunderte Millionen Euro teure Tunnelröhre, Radius knapp zehn Meter, seit Mittwoch vergangener Woche auf einer Länge von 160 Metern komplett mit Beton aufgefüllt. Das eine Ende des Bereichs ist durch das Schild der Vortriebsmaschine verschlossen, das andere durch einen Beton-Pfropfen vom Rauminhalt eines olympischen Schwimmbeckens. Dazwischen werden nun über sieben Bohrlöcher insgesamt 10 000 Kubikmeter Beton in die Röhre gepumpt, heute wollen die Ingenieure damit fertig werden. Und „Wilhelmine“wird einfach so mit einbetoniert. Erst danach kann wieder damit begonnen werden, die oberirdische Trasse zu reparieren. Zehn Tage nach dem Tunneleinbruch stellte die Bahn am Dienstag ihren Zeitplan für die Wiederinbetriebnahme
Nur 50 Meter fehlten „Wilhelmine“noch
Auf den Bahnsteigen herrscht Chaos
der Rheintalbahn vor. Erst am 7. Oktober um Mitternacht soll der Bahnbetrieb wieder aufgenommen werden.
Natürlich stellen Journalisten die Fragen nach den Ursachen. Zur Bautechnik gibt es widersprüchliche Aussagen der Bahn und der Baufirmen. Klar ist, dass an jenem Samstag Wasser in den frisch gebohrten Tunnel eindrang. Die Verantwortlichen sind irritiert, weil an der schadhaften Stelle die Betonummantelung schon eine Woche alt war. Aber eigentlich hätte wegen der Vereisung da gar kein Wasser von außen durchdrücken dürfen.Unterdessen gilt am Bahnhof Rastatt weiter der seit nunmehr fast zwei Wochen anhaltende Ausnahmezustand.
Wer mit der Bahn nach Süden will, muss hier in Busse nach BadenBaden umsteigen; umgekehrt werden Bahnreisende aus Baden-Baden mit Bussen nach Rastatt gebracht. Plötzlich stehen Menschen aus ganz Europa an dem verschlafenen Provinzbahnhof. Bahnmitarbeiter mit neonfarbenen Westen dirigieren den Strom gestrandeter Reisender zu den Bahnsteigen und zu den Bussen.