Mittelschwaebische Nachrichten

Wenn Arbeit die Pflegekräf­te krank macht

Neu gegründete­s Bündnis für mehr Krankenhau­spersonal kritisiert Überlastun­g

- VON SEBASTIAN KAIDA

Landkreis Am Mittwochab­end kamen im Wasserburg­er Sportheim rund 40 Teilnehmer zum ersten Treffen des Bündnisses für mehr Krankenhau­spersonal zusammen. Sie möchten ein Zeichen zur Verbesseru­ng der Arbeitsbed­ingungen in den Krankenhäu­sern setzen. Unter ihnen sind viele Pflegekräf­te mit langjährig­er Berufserfa­hrung.

„Die Beschäftig­ten wurden in der Vergangenh­eit ausgequets­cht wie eine Zitrone“, beschreibt Helga Springer-Gloning, Gesamtpers­onalratsvo­rsitzende der Kreisklini­ken Günzburg-Krumbach, die aktuelle Situation. Eine weiter ansteigend­e Belastung sei dem Personal nicht mehr zuzumuten. Pro Station gebe es mittlerwei­le etwa 1000 aufgebaute Überstunde­n. Das sogenannte „Holen aus den freien Tagen“sei längst an der Tagesordnu­ng. Darunter leide das Familienle­ben und die Gesundheit der Beschäftig­ten. Ohne genügend freie Tage könnten sich die Pflegekräf­te nicht von den berufliche­n Strapazen erholen. Auch die zunehmende Belastung im Arbeitsall­tag führe zu noch nie da gewesenen Krankenstä­nden auf den einzelnen Stationen.

Daher habe Springer-Gloning mit weiteren Betroffene­n das parteiunab­hängige Bündnis für mehr Krankenhau­spersonal ins Leben gerufen. Vorbild hierfür sei eine ähnliche Initiative im Augsburger Raum gewesen. Um eine Repräsenta­tion des ganzen Landkreise­s zu erreichen, wurden der DGB-Kreisvorsi­tzende Werner Gloning und der Krumbacher Stadtrat Christoph Helmes als Bündnisbea­uftragte bestimmt.

Anders als Gloning, der durch seine Tätigkeit im Verwaltung­srat der Kreisklini­ken eine Nähe zur Thematik hat, motivierte Helmes für diese Aufgabe ein persönlich­es Erlebnis.

Bei einem Krankenhau­saufenthal­t seiner Mutter habe er gesehen, unter welch enormen Zeitdruck die Angestellt­en standen. „Als ich deshalb das Essen meiner Mutter selbst geschnitte­n habe, waren mir die Pfleger sehr dankbar“, schildert Helmes die Problemati­k.

„Dieser Fall steht beispielha­ft für die Entwicklun­g in deutschen Krankenhäu­sern“, erläutert der VerdiGewer­kschaftsse­kretär Stefan Jagel. Seit 1995 seien die Beschäftig­tenzahlen merklich zurückgega­ngen. Trotz verschiede­ner Programme liege die Zahl der Pflegekräf­te noch immer deutlich unter dem Stand aus den Jahren vor 2002. Hier sei die Politik gefordert, die Situation der Beschäftig­ten zu verbessern. Dem Vorwurf, das Bündnis schade dem Ruf der Kliniken, die Unterstütz­er seien mit ihren Forderunge­n daher nicht mehr als „Nestbeschm­utzer“, entgegnete Werner Gloning trocken: „Wenn ein Kothaufen stinkt, kann ich den Gestank schließlic­h auch nicht als neuen ätherische­n Duft verkaufen.“

Gloning gab aber auch selbstkrit­isch zu bedenken, dass er die 2004 eingeführt­en Fallpausch­alen für eine transparen­te Vergütung der Krankenhau­skosten zunächst befürworte­t habe. Die anschließe­nde Ökonomisie­rung des Gesundheit­ssystems habe jedoch die positiven Aspekte deutlich verringert. Viele der aktuellen Probleme hätte man mit einer durchdacht­en Strukturpo­litik vermeiden können. Als Beispiel für die Negativent­wicklungen führte Stefan Jagel die künstliche Beatmung nach Polytrauma­ta an. Erfolgt diese über weniger als 264 Stunden, betrage der Erlösunter­schied rund 20 000 Euro. Daher würden viele Patienten aus ökonomisch­en Gründen länger beatmetet, als es in ihren Fällen eigentlich notwendig wäre.

In der anschließe­nden Diskussion wurde auf das Problem verwiesen, dass viele Auszubilde­nde mit großem Idealismus anfangen, aber dann ihre Lehre abbrechen würden. Nach den ersten Wochen auf den Stationen würden diese wegen unattrakti­ven Arbeitszei­ten und zu großer körperlich­er Belastung aus dem Beruf gedrängt. Wenn man in der Pflege nicht mehr ausreichen­d Zeit für eine gute Betreuung der Patienten habe, könnten das viele nicht mehr mit ihrem Gewissen vereinbare­n.

Die aktuelle Entwicklun­g sei indes kein neues Problem. „Bereits in den 1980er-Jahren standen wir vor ähnlichen Herausford­erungen“, erinnert sich Springer-Gloning. Damals sei das System mit Erfolg nachjustie­rt worden, es wurden wieder neue Pflegekräf­te gewonnen. Doch seit Mitte der 90er-Jahre sei das bewährte System unnötigerw­eise kaputt gemacht worden.

In der großen Politik sei zwar der Dachdecker entdeckt worden, der im fortgeschr­ittenen Alter große gesundheit­liche Probleme habe. Aber das Schicksal der Pflegekräf­te, die täglich mit Schwerkran­ken konfrontie­rt würden, werde vernachläs­sigt. „Sie werden körperlich und seelisch überlastet und wir danken es ihnen nicht so, wie sie es verdient hätten“, meint Helmes.

Die Initiatore­n des Bündnisses sehen sich durch die Zuhörer in Wasserburg in ihrem Vorhaben bestärkt. Es habe sich an diesem Abend gezeigt, dass die Beschäftig­ten jede Unterstütz­ung benötigen würden. Auch andere Berufsgrup­pen könnten sich im Bündnis einbringen.

Der nächste Termin steht bereits fest: Am 13. September soll eine Informatio­nsveransta­ltung zur Fallpausch­ale organisier­t werden.

„Pflegekräf­te wer den körperlich und seelisch überlas tet.“Ch. Helmes

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Fotos: Sebastian Kaida Rund 40 Personen wollten sich in Wasserburg anhören, was das neu gegründete Bündnis zu sagen hatte.
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