Mittelschwaebische Nachrichten
Zylindermänner und die Aliens Hans und Fritz
Was die Kinder in der „Schule der Phantasie“lernen und warum die Bilder gar nicht wohnzimmertauglich sein müssen
Krumbach Maresa weiß, dass die schmalen Glaszylinder in der hölzernen Halterung Reagenzgläser heißen. Die stehen in der Mitte eines großen, mit alten Zeitungen ausgelegten Tisches und sind zum Teil mit flüssiger Lebensmittelfarbe gefüllt. Rot, Blau und Gelb. Paulina weiß sogar, wie man eine grüne Flüssigkeit herstellt. „Da muss man Blau und Gelb mischen“, erklärt sie und darf es auch gleich ausprobieren. Es wird ein bisschen türkis und ihre Tischnachbarin Lene gießt mehr gelb nach. Im Reagenzglas leuchtet es jetzt smaragden grün.
Petra Hagemeister und Eva Herold-Fißl haben den Tisch so vorbereitet, dass an den acht Arbeitsplätzen auch jeweils ein großes Blatt Papier liegt. Platz genug für Emma, Maresa, Viktoria, Marie, Jan, Leo, Lene und Paulina. Zwei Jungen und sechs Mädchen haben sich für die „Farbenküche“in der im Krumbacher Heimatmuseum angesiedelten „Schule der Phantasie“angemeldet. Die „Schule der Phantasie“ist ein Konzept, das in den 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts von Professor Rudolf Seitz für die Kunsterziehung an Grundschulen gegründet wurde.
Der Grundgedanke, dass es in der Kunst keine strikten Anleitungen, kein richtig oder falsch, aber eine Möglichkeiten mit Form, Farbe oder Material zu experimentieren gibt, gilt bis heute. „Inzwischen wissen auch die Mamas unserer kleinen Künstler, dass nicht jedes Bild, das die Kinder mit nach Hause bringen, wohnzimmertauglich ist“, sagt Eva Herold-Fißl.
Ein bisschen so scheint es sich auch an diesem Samstagnachmittag zu entwickeln. Eigentlich wollen die beiden Kursleiterinnen mit den Kindern aus den drei Grundfarben Rot, Gelb und Blau durch vorsichtiges Mischen alle anderen Farben herstellen, um dann ein Bild daraus entstehen zu lassen. Aber bereits da zeigt sich, wie sehr Temperament und Charakter des einzelnen Künstlers seine Arbeitsweise beeinflussen.
Marie, mit vier Jahren die jüngste Teilnehmerin des Kurses, hat auf ihrem Pappteller ein wunderschö- nes Moosgrün gezaubert. Da muss mit dickem Pinsel das ganze Blatt ausgefüllt werden. Auch Viktoria bevorzugt mehr das Monochrome und füllt ihr Papier rein gelb. Ganz versunken und sehr sorgfältig. Andere wiederum können sich nach den ersten zarten Mischversuchen nicht bremsen und rühren alle FarMenge ben zu einem undefinierbaren Matschebrei. Leo findet das Ergebnis außerordentlich zufriedenstellend. „Wie Holzlasur“, bemerkt er mit Kennerblick und beginnt sogleich, ein Piratenschiff zu malen. Petra Hagemeister und Eva Herold-Fißl geben Hilfestellung bei den Unentschlossenen. Man könnte das Blatt auf die Hälfte falten, um einen Farbabdruck zu erhalten. Vielleicht mit einem Teelöffel oder einem kleinen Schneebesen Muster in die dicke Acrylfarbe ritzen. Oder, in einem zweiten Arbeitsschritt erkennbare Figuren mit Kreidefarbe besser hervorholen.
„Ich seh da nix“, lautet der enttäuschte Kommentar beim Blick auf das eigene Blatt. Beim Nachbar kann man dann aber sehr wohl einen Drachen erkennen, einen Mann mit Zylinderhut oder Schuhe, einen Hummer gar oder „irgend so ein Viech“. Maresa hat ihr Bild auf den Kopf gedreht und erkennt plötzlich: „Da sind ja zwei Aliens! Die heißen Hans und Fritz.“Woher diese Zusatzinformation kommt, weiß die Zehnjährige nicht zu sagen. Ist aber auch nicht wichtig, denn jetzt wird gearbeitet. Eva Herold-Fißl freut der Enthusiasmus, mit dem die Kinder zu Werke gehen. Genau diese Begeisterung war auch der Grund, warum sie selbst als Kunsterzieherin sofort Feuer fing, als sie auf die „Schule der Phantasie“stieß: „Ich habe Lehramt für berufliche Schulen studiert. Für meine Zulassungsarbeit über ästhetische Erziehung im Elementarbereich bin ich bei meiner Recherche auf die „Schule der Phantasie“gestoßen. Ich habe mit dem früheren Leiter, Bruno Wendnagel, ein Interview geführt und es gefiel mir so gut, dass ich sofort selbst eine Filiale mit diesem Konzept in meiner Heimatstadt aufmachen wollte.“
Seit 2004 gibt es darum die „Schule der Phantasie“auch in Krumbach und Eva Herold-Fißl hat es geschafft, ein kompetentes Team, bestehend aus Künstlern, Erziehern, Heilpädagogen und Grafikdesignern um sich zu scharen. Alle eingeschworen auf das Ziel der Schule, „den Kindern Mut zu machen, ihrem schöpferischen Potenzial zu vertrauen und für dieses im Rahmen einer toleranten Grundhaltung einzutreten“.
Betrachtet man die Teilnehmer des Kurses, scheint das auf das Schönste zu gelingen. Emma, Maresa, Viktoria, Marie, Jan, Leo, Lene und Paulina sind glücklich mit ihren Werken. Und manches davon ist durchaus wohnzimmertauglich.