Mittelschwaebische Nachrichten
„Kliniken hierzulande sind regelrecht verseucht“
In Claudia Michelsens neuem Film „Götter in Weiß“geht es um Krankenhauskeime. Ein Problem, das öffentlich noch viel zu wenig behandelt wird, sagt die mehrfach ausgezeichnete Schauspielerin
Frau Michelsen, in Ihrem neuen Film „Götter in Weiß“spielen Sie eine Ärztin. Anna Hellberg ist Chirurgin in einem Krankenhaus in Mecklenburg und lebt ein beschauliches Leben ... Claudia Michelsen: … bis sie eines Tages merkt, dass in der Klinik schwer geschlampt wird. Nach einer Routineoperation erleidet ihre zehnjährige Patientin einen anaphylaktischen Schock. Eine allergische Reaktion auf ein Antibiotikum vielleicht? Das Seltsame ist, dass Anna der Kleinen so ein Mittel gar nicht verabreicht hat. Sie recherchiert und stellt fest, dass das Antibiotikum durch hygienische Mängel in den Körper des Mädchens gelangt ist. Michelsen: Ein Problem, das öffentlich viel zu wenig behandelt wird. Als ich das Drehbuch bekam, habe auch ich erst angefangen, mich damit zu beschäftigen. Jedes Jahr infizieren sich bis zu 800000 Menschen mit Krankenhauskeimen. Rund 16 000 sterben jedes Jahr infolge dieser multiresistenten Erreger. Und das sind nur die offiziellen Zahlen.
Und das in Deutschland? Michelsen: Kapitalismus regiert unser Gesundheitssystem. Das fängt beim Pflegepersonal an, geht weiter bei längst überholten Instrumenten und reicht bis in die Steri-Abteilung. Kliniken hierzulande sind regelrecht verseucht.
Ist das nur ein deutsches Problem? Michelsen: Nicht nur. Aber viele Nachbarn machen es besser. In Deutschland ist die Gefahr, sich einen Krankenhauskeim einzufangen, hundert Mal höher als etwa in den Niederlanden. Da wird man schon nachdenklich.
Wie gehen Sie persönlich mit dem Thema Krankheit um? Michelsen: Für mich ist die Frage, was ich präventiv tun kann, noch viel wichtiger. Seit der Geburt meiner Kinder denke ich mehr darüber nach. Ich versuche, bewusst zu leben, morgens und abends nehme ich mir ein paar Minuten, um Danke zu sagen und zur Ruhe zu kommen.
Michelsen: Vielleicht könnte man es so nennen. Allerdings wende ich mich dabei nicht an den einen Gott. Früher war die Kirche, war der Glauben für das Innehalten zuständig. Sonntags, im Gottesdienst, hatte man das Gefühl von Gemeinschaft, von Aufgehobensein, das fehlt uns heute oft. Ich bin spirituell dabei, bei diversen Veranstaltungen Kollegen zu treffen. Aber durch den medialen Fortschritt hat sich vieles verändert. Wie wichtig allein die Außenwahrnehmung geworden ist! Wie viel Zeit kann man damit verbringen, sich da zu positionieren? Ich möchte nicht irgendwann das Gefühl haben, bei meinem eigenen Leben nicht dabei gewesen zu sein.
Ich denke, das geht inzwischen auch Frauen so, die Familie haben und außerdem voll berufstätig sind.
Auch wenn es nicht immer ganz leicht ist, ist es mir wichtig, mir Zeit zu nehmen und – trotz aller Arbeit – für meine Familie da zu sein, wenn es einmal nicht rund läuft.
Bei vielen ist Arbeit aber auch eine Ausrede, um sich wegzuducken, wenn es Probleme gibt.
Bei mir nicht. Wir wissen, das Leben ist ein Auf und Ab.
„Der Kapitalismus regiert unser Gesundheitssystem.“Claudia Michelsen
„Ich möchte nicht das Gefühl haben, bei meinem Leben nicht dabei gewesen zu sein.“Claudia Michelsen
Die Talfahrten sind ja auch Lehrstunden, die man nicht missen möchte. Warum passiert mir das? Was hat das Problem, das ich mit einem Menschen oder einer Situation habe, mit mir zu tun? Dabei interessiert mich nicht die Frage nach Schuld. Das Verhalten und Handeln des anderen ist von einem selbst ja nicht zu trennen. Ob im Beruf oder auf privater Ebene, wir spiegeln uns ja auch im Gegenüber.
Und Sie werden nie sauer? Michelsen: Doch, schon. Aber ich bin mir sicher, dass alles für eine bessere Sache passiert, und wenn man in Wut und Ärger feststeckt, kommt man nicht weiter. Manchmal tut es gut, etwas Abstand zum Alltag zu gewinnen. Da mag ich den Blick vom Fernsehturm am Berliner Alexanderplatz. Das verändert die Perspektive, was wichtig ist.
Dort oben gibt es in 200 Metern Höhe auch ein Restaurant. Michelsen: Früher, zu DDR-Zeiten, drehte sich die Plattform des Restaurants einmal in der Stunde um 360 Grad. Heute fährt sie in derselben Zeit zweimal rum, damit die Gäste nicht so lange bleiben. Noch so ein Beispiel für den schnellen Profit, den Gewinn, den Kapitalismus.