Mittelschwaebische Nachrichten
„Da wird gehörig gelogen, wie so oft in der Kirche“
Der Schweizer Pater Martin Werlen gilt als „Brandstifter“und provoziert auch in Reisensburg
Reisensburg Mit Spannung erwarteten die etwa 100 Interessierten im Reisensburger Pfarrzentrum Pater Martin Werlen, wollten gemeinsam mit ihm die Glut unter der Asche entdecken. Der 54-jährige Schweizer Benediktinermönch gilt als „Brandstifter“in Sachen kirchlicher Veränderungen, seit er vor fünf Jahren seine Streitschrift veröffentlichte, der zwei Bücher folgten.
Im Februar erscheint das dritte Buch. Die Reaktionen reichen von Begeisterung bis hin zu völliger Ablehnung. Für den ehemaligen Abt des Klosters Einsiedeln ist klar, dass dem Jesuswort „Ich bin gekommen, um Feuer auf die Erde zu werfen (Lukas 12,49)“nur eines hinzuzufügen seit: „Ich wäre froh, es würde schon brennen.“Die Menschen interessierten sich auch heute für den Glauben, nur sei die Kirche in der Regel ganz weit weg von den Menschen, nehme sie teilweise nur als Zahlen und nicht als Menschen wahr. Werlen wünscht sich von der Kirche Visionen und kein „Früher war alles besser“-Denken. Die Hoffnung und das Leben gehe nie zurück, sondern immer weiter in die Zukunft.
Pater Werlen sieht ganz genau hin und legt dann den Finger in die Wunde. Zum Beispiel werde im Sanktus gebetet „Himmel und Erde sind erfüllt von Gottes Herrlichkeit“, um dann später draußen vor der Kirche über eine „gottlose Zeit“zu jammern. „Wo wird jetzt gelogen? Wir müssen doch ernst nehmen und leben, was wir beten!“„Es gibt viel Asche in der Kirche, und wie im Weihrauchfass muss sie entfernt werden.“Die Sonntagskirche, das Gebet, der Rosenkranz können sowohl Asche als auch Glut sein. Wenn einen der Gottesdienst mit seinem Evangelium berühre, dann sei er Glut. „Macht er aber nichts mit mir, dann ist er Asche und für die Katz´.“Wer Wäsche in die Waschmaschine gibt, tue das doch auch nur, damit etwas passiere.
Es sind harte Worte, die die Zuhörer aber zustimmend nickend und äußerst aufmerksam aufnehmen. Martin Werlen steht hinter Papst Franziskus: „Die Kirche ist 200 Jahre stehen geblieben, es ist jetzt an Papst Franziskus die dringenden Probleme anzugehen.“Erschreckend sei für ihn, wie allein der Papst dabei oft dastehe. Wer mag, könne die Papstschriften „Evangelii Gaudium“und „Amoris Laetitia“lesen. Beide seien in verständlicher Sprache, die zu Herzen gehe, verfasst. Kirchliche Traditionen, geschaffen, seit um das Jahr 312 die Christenverfolgung endete und 380 das Christentum Staatsreligion wurde, stünden oft der Heiligen Schrift und der einzigen wahren Tradition, nämlich durch die Jahrhunderte treu zu Christus zu stehen, im Weg.
Pater Werlen liefert Beispiele, die auch die Ökumene zur Ostkirche und zur Kirchenspaltung auf den Weg bringen könnten. Synoden, mit dem Anspruch sich glaubend in den Wandel zu stellen, gehörten wiederentdeckt oder die Bischofsernennung durch eine Wahl ersetzt. Mit dem Ernennen von Bischöfen werde so viel Glaubwürdigkeit zerstört, es wäre besser alle Getauften und Gefirmten der Diözese mit einzubeziehen. „Demokratische Wahlen haben sich bei Orden seit Jahrhunderten bewährt.“Auch könne es doch nicht sein, dass Probleme nur deshalb nicht angegangen werden, weil sie nur im deutschsprachigen Raum vorhanden seien.
Denkanstöße liefert der große, aufrecht in seinem schwarzen Habit stehende Schweizer Mönch auch in der Fragerunde. Er würde die Erstkommunion in der Dritten Klasse überdenken. „Das stammt aus einer Zeit, als alle Kinder christlich sozialisiert waren. Warum feiern wir nicht dann Erstkommunion, wenn die Eltern das Kind zu uns bringen, weil es soweit ist?“Im Gegenzug werde die Taufe von der Kirche unterschätzt. Warum feiere die Kirchengemeinde nicht mit, wenn ein neues Mitglied dazukommt? Wir leben auch nicht, dass es nur eine Taufe gibt, sondern unterscheiden nach katholisch und evangelisch, ganz zu schweigen, dass wir in der Taufe beten, dass alle Menschen Anteil am Priestertum Christi haben. „Es gibt also Priesterinnen!“Es fallen Sätze wie „Kirchengebäude, Pfarrgemeinden und Diözesen sollen Orte der Hoffnung sein“, „Glauben heißt Vertrauen auf Gott und nicht nachsagen, was andere denken“.
Was kann der Einzelne also tun? „Jeden Tag den Glauben pflegen, die Glut unter der Asche entfachen und sich dann einbringen.“Die Zeit dränge, es könne schon zu spät sein, wenn zum Beispiel 95 Prozent gar nicht wissen, dass Ökumene stattfinde.
Martin Werlen bewegt auch in Reisensburg am Martinstag konfessionsübergreifend, keiner verlässt protestierend den Saal, wenn Werlen den Text des Zweiten Vatikanischen Konzils beim Wort nimmt und konstatiert: „Da wird gehörig gelogen, wie so oft in der Kirche.“Konkret ging es um die nicht gelebte Gleichstellung von Hören und Empfangen des Wortes Gottes mit Eucharistie, also dem Empfangen von Leib und Blut Christi.