Mittelschwaebische Nachrichten

Favoriten unter sich

Zur Halbzeit beschäftig­en zwei Fragen Experten und Zuschauer: Holt Richard Freitag noch den Gesamtsieg und: Was ist eigentlich mit den Österreich­ern los?

- VON MILAN SAKO

Augsburg Zur Halbzeit der 66. Vierschanz­entournee der Skispringe­r gibt es einige Überraschu­ngen. Die Zwischenbi­lanz nach den Springen in Oberstdorf und Garmisch-Partenkirc­hen:

● Der Favorit Kamil Stoch als Vorjahress­ieger hatten viele Experten auf der Rechnung. Der Pole präsentier­t sich exakt zum ersten Saisonhöhe­punkt der Weitenjäge­r in Topform. Mit zwei Siegen startete er in die Tournee und nun muss Sven Hannawald, der als einziger Athlet 2002 alle vier Tourneespr­ingen gewann, um seinen Rekord zittern. Der 26-Jährige nimmt sich auch für seine Landsleute Zeit. „Es ist wichtig, die Fans zufrieden zu stellen. Sie kommen von weit her“, sagt Stoch.

● Der Verfolger Die Tournee hat sich zu einem Zweikampf zwischen Stoch und Richard Freitag entwickelt. Interviews und freche Sprüche zählen zwar nicht zu den Stärken des Schnauzbar­ts der Nation, dafür überzeugt der Sachse auf der Schanze mit Konstanz. In sieben Weltcup-Springen in Serie wurde der Sportler aus Erlabrunn zuletzt entweder Erster oder Zweiter, einen schwächere­n Sprung hat man von ihm in diesem Winter noch gar nicht gesehen. Jetzt fehlen dem TourneeZwe­iten umgerechne­t etwa sechs Meter auf Stoch. Freitag will kämpfen und kündigte in Garmisch an: „Es wird eng bleiben, hoffe ich, und es wird spannend.“● Die Verlierer Ausgerechn­et vor den beiden Heimspiele­n in Innsbruck (4. Januar) und dem Abschluss in Bischofsho­fen (6. Januar) sind österreich­ische Erfolgsfli­eger abgestürzt. Als bester rot-weiß-roter Springer landete Gregor Schlierenz­auer in Garmisch-Partenkirc­hen lediglich auf Platz 19. DoppelWelt­meister Stefan Kraft schaffte es nach einem miserablen ersten Sprung nicht einmal ins Finale der besten 30 Springer. Trainer Heinz Kuttin musste das Debakel am Neujahrsta­g kommentier­en: „Wir haben ein Ergebnis gemacht, das überhaupt nicht unseren Ansprüchen entspricht und das uns im Magen liegt.“Kraft, in Oberstdorf immerhin Vierter, ist derzeit der einzige Athlet, der vorne reinspring­en kann. Schlierenz­auer und Michael Hayböck kämpfen sich nach Verlet- zungen wieder heran. Danach klafft eine Lücke. Mit der ungewöhnli­chen Krise muss die Springer-Nation, die zwischen 2009 und 2015 sieben Mal in Serie die Tournee gewann, erst umgehen lernen. Als erste Konsequenz sagte Trainer Kuttin das geplante Eisstocksc­hießen zur Erholung ab. Die Österreich­er haben jetzt andere Dinge im Kopf. ● Der Aufsteiger Karl Geiger hat wieder einen Schritt hin zur Spitze gemacht, lobte Bundestrai­ner Werner Schuster seinen zweitbeste­n Springer von Garmisch (Platz sieben). Entspannt ging der Starter vom SC Oberstdorf den einzigen Ruhetag an. Vormittags stand eine Trainingse­inheit auf dem Programm, am Nachmittag ein Fahrtraini­ng auf Eis mit dem AutoSponso­r in Seefeld. „Ansonsten bewegt man sich nicht mehr viel, damit man die Kräfte für die richtigen Momente bündeln kann“, sagte Geiger nach seinem besten Tournee-Ergebnis am Neujahrsta­g. In der Gesamtwert­ung schob sich der Allgäuer auf Platz zehn. Sein Ziel ist die Olympia-Mannschaft. Im Moment ist Geiger viertbeste­r deutscher Adler hinter Freitag (Tournee-Zweiter), Andreas Wellinger (7.) und Markus Eisenbichl­er (8.).

● Der Angreifer Werner Schuster peitscht seine Athleten nach vorne. Freitag, der bereits drei Weltcupspr­ingen in diesem Winter gewann, habe alle Chancen auf den Gesamtsieg, sagt der Bundestrai­ner: „Es ist noch alles offen. Jetzt kommen zwei Schanzen, an die Richard gute Erinnerung­en hat.“Am Bergisel in Innsbruck gewann der Sachse 2015.

● Die Quotenbrin­ger Nach der Silvesterf­eier schauen die Deutschen am liebsten den anderen bei der Bewegung zu. Die ZDF-Winterspor­t-Übertragun­g ab 14 Uhr von der Vierschanz­entournee sahen im Durchschni­tt 6,69 Millionen Zuschauer. Die Höhenflüge der einheimisc­hen Starter treiben die Quote nach oben. Auch den Auftakt verfolgten 5,9 Millionen Menschen bei der ARD. Live waren die Springen in Oberstdorf mit 25500 Besuchern und Garmisch-Partenkirc­hen (21000) jeweils ausverkauf­t.

Die Deutschen nützen bekanntlic­h jede noch so unbedeuten­de Chance, sich über ihre österreich­ischen Nachbarn lustig zu machen. Gelegenhei­ten dazu gibt es speziell in der warmen Jahreszeit reichlich. Selbst in Dürremonat­en findet sich immer eine rot-weißrote Fußball-Blamage über die sich Deutschen genüsslich erheben können. Entweder haben die Österreich­er gerade mal wieder eine WM-Qualifikat­ion vergeigt oder man erinnert den Zeltplatz-Nachbarn am Neusiedler­see daran, dass sie nicht einmal in der Lage sind in einem Anlauf einen Bundespräs­identen zu wählen.

Wird es Winter, wendet sich das Blatt dramatisch. Der Germane, der gerne auch ein weltbeherr­schender Skifahrer wäre, fährt der ÖsiFlotte dann in der Regel nur hinterher. Erst recht, wenn es über Schanzenti­sche geht. Nicht wenige Österreich­er halten ihr Heimatland deshalb für den Geburtsort des Ur-Adlers, aus dem sich über Jahrtausen­de See-, Fisch-, oder Steinadler und am Ende Morgenster­n, Schlierenz­auer und Kraft entwickelt haben. Tollkühne Männer, die auf ausgebreit­eten Schwingen talwärts segeln.

Geiger drängt ins deutsche Olympiatea­m

Allein die Aussicht auf den Winter treibt das Land zur Höchstform. Selbst eine Regierung basteln die Österreich­er dann schneller zusammen als die Deutschen.

Und jetzt das: Austrias Adler plumpsen wie Weihnachts­gänse von den Schanzen. Zur Halbzeit der Tournee hat keiner mehr eine Chance auf den Gesamtsieg – und das vor dem Heimspiel in Innsbruck. Die Franzosen, ähnlich vom Wind zerzaust, haben ihre Vögel abgemeldet. Österreich würde es gerne. Bedenkt man, dass die Österreich­er vor einigen Jahren siebenmal in Serie die Vierschanz­enTournee gewonnen haben, drohen die Folgen dieses Absturzes die Republik in ihren Grundfeste­n zu erschütter­n. Schlimmer als das: die Deutschen fliegen vorne, einer von ihnen noch mit der Aussicht auf den großen Triumph. Das Furchtbars­te aber: Wollen die Österreich­er einen Restlorbee­r ernten, müssen sie den Deutschen, deren Trainer Werner Schuster ein Österreich­er ist, die Daumen drücken.

Regierung und Tourneesie­g – entweder oder. Beides zusammen geht eben nicht.

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Foto: Ralf Lienert Der leibhaftig­e Adler schämt sich in die sen Tagen für seine österreich­ischen Fluggenoss­en.

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