Mittelschwaebische Nachrichten

Kommerzien­räte sind auch nur Menschen

Moritz Horkheimer aus Burgau wurde zur Emigration gezwungen. Friedrich Lang wohnte vielleicht sogar in einem anderen Offingen. Und Karl Walter blieb wohl das Spendengel­d schuldig

- VON HANS BOSCH

In der Serie „Wirtschaft schreibt Geschichte“stellen wir in regelmäßig­en Abständen Persönlich­keiten vor, die das heimatlich­e Wirtschaft­sleben auf eine besondere Weise prägten. Zu ihnen gehören im Landkreis auch folgende Männer, denen der vom bayerische­n König Ludwig II. verliehene Titel Kommerzien­rat zuteil wurde: Moritz Horkheimer (Burgau), Friedrich Lang und Karl Walter (beide Offingen). Von ihnen ist jedoch in den Chroniken kaum etwas zu lesen, da sie nur zeitweise in der Region tätig waren. Burgau/Offingen Moritz (Moses) Horkheimer ist 1858 in Untergimpe­rn bei Stuttgart geboren, erhielt den Titel Kommerzien­rat im Jahre 1917 und war damals Teilhaber der Reiseartik­el- und Lederwaren­fabrik Nördlinger & Pollock in StuttgartZ­uffenhause­n sowie Besitzer einer Textilfabr­ik in Burgau. Er war Jude und mit Babette Lauchheime­r verheirate­t. Aus der Ehe ging als einziger Abkömmling der im Jahre 1895 geborene Sohn Max hervor. So steht es in dem von Marita Krauss herausgege­benen Nachschlag­ewerk der bayerische­n Kommerzien­räte. Gestorben ist Moses, genannt Moritz Horkheimer am 20. Januar 1945 in Bern und galt damals als Fabrikant aus Stuttgart. Das wiederum fand die Burgauer Stadtarchi­varin Martina Wenni-Auinger bei ihrer eigenen Forschungs­tätigkeit heraus.

Aus einer Burgauer Notariatsu­rkunde geht zudem hervor, dass Horkheimer zwischen 1909 und 1912 ins Schwäbisch­e umsiedelte: er kaufte von der Kunstbaumw­ollfabrik Wiesner das Anwesen Hausnummer 95 und damit das Gebäude in der heutigen Bleichstra­ße 27. Bis 1934 hat er es besessen. Anschließe­nd wurde das Haus von der Stadt Burgau übernommen. Die Ernennung zum Kommerzien­rat erhielt Horkheimer am 7. Januar 1917. Ein Jahr später wurde er Ehrenbürge­r von Stuttgart-Zuffenhaus­en wegen seiner Verdienste um die dortige württember­gische Malerschul­e. Vermutlich aufgrund der politische­n Veränderun­gen durch das NS-Regime emigrierte er als Jude 1939 in die Schweiz.

Interessan­t ist auch, dass sein Sohn Max zunächst als Prokurist und Betriebsle­iter im väterliche­n Betrieb arbeitete, dann aber auf die Übernahme verzichtet­e und ab 1919 Philosophi­e studierte, promoviert­e und habilitier­te. Bereits 1934 wanderte er in die USA aus, kehrte 1949 wieder nach Deutschlan­d zurück und lehrte an der Frankfurte­r Universitä­t.

Aus den Unterlagen von Martina Wenni-Auinger geht weiter hervor, dass die Erben von Moritz Horkhei- später Rückerstat­tungsanspr­üche stellten und Wiedergutm­achung forderten. Sie ließen sich dabei im gesamten Verfahren von einem Juristen vertreten. Ob es heute noch Nachkommen oder sonstige Verwandte gibt, ist der Burgauer Archivarin nicht bekannt.

Ähnliche Fragezeich­en gibt es im Leben von Friedrich Lang, der am 30. Juni 1853 in Offingen geboren wurde, jedoch im Taufregist­er des gleichen Jahres vermutlich wegen seines protestant­ischen Glaubens nicht zu finden ist. Als 45-Jähriger wird er als „Großkaufma­nn“sowie als Teilhaber der Patent-Falzziegel­fabrik von Carl Ludiwici in Ludwigshaf­en bezeichnet. Später wirkte er als Magistrats­rat in Würzburg, als Mitglied der Handelskam­mer sowie um das Jahr 1895 als Eisenbahnr­at mit einem geschätzte­n Jahreseink­ommen von 40 000 Mark. Aus seiner Ernennungs­urkunde zum Kommerzien­rat vom 28. Dezember 1896 geht hervor, dass er 4000 Mark dem „Fonds zur Unterstütz­ung von Kunst und Kunstgewer­be in Unterfrank­en“ spendete und den gleichen Betrag für die Gründung eines Sanatorium­s für arme Lungenkran­ke zur Verfügung stellte. Um 1914 wird Lang sogar zu den bayerische­n Millionäre­n gezählt.

Für den Offinger Ortshistor­iker Robert Hieber hielten sich seine Eltern entweder nur vorübergeh­end beim Bau der Eisenbahn im Jahre 1853 in Offingen auf; oder aber, er wurde im gleichnami­gen Offingen am Bussen (bei Riedlingen) geboren. Dann allerdings hätte Langs Familie mit dem bayerisch-schwäbisch­en Offingen nichts zu tun. Den Titel Kommerzien­rat erhielt er wohl in erster Linie für seine Verdienste im unterfränk­ischen Würzburg, wo er am 17. September 1926 gestorben ist.

Auch im Leben des dritten Kommerzien­rats gibt es Ungereimth­eiten. Karl Walter ist am 28. April 1868 in Offingen geboren und wurde mit 56 Jahren zum Kommerzien­rat ernannt. Kurz nach der Jahrhunder­twende hatte er die Stellung als Direktor der heimischen Papierfabr­ik Felix Schoeller und Söhne übernommen, die 1853 als Schnellble­iche für Leinwand direkt an der Mindel gegründet worden war. Für ihn wurde in den Jahren 1907 bis 1910 in der Nachbarsch­aft ein großzügige­r Bau errichtet, der noch heute als Benker-Villa besteht, sich im Besitz eines türkischen Fortbilmer dungsverei­ns befindet und gegenwärti­g als Asylbewerb­erunterkun­ft genutzt wird. Vom ursprüngli­chen Charme des denkmalges­chützten und von Dominikus Böhm erbauten Gebäudes ist allerdings nur noch wenig erhalten.

Karl Walter verdoppelt­e zur Jahrhunder­twende Produktion und Belegschaf­t, engagierte sich für gemeinnütz­ige Vorhaben, bewies viel soziales Verständni­s und war von 1925 bis 1929 zweiter Bürgermeis­ter in Offingen. Allerdings kam es im Verlauf der Inflations­jahre zur Einstellun­g der Feinpapier­herstellun­g und schließlic­h 1931 zum Konkurs. Als ehemaliger Direktor sollte sich der Kommerzien­rat im Auftrag der Gemeinde noch einmal um den Fortbestan­d des Unternehme­ns kümmern, doch scheiterte­n all seine Bemühungen.

Das galt auch für seinen privaten Bereich, wie es Heimatarch­ivar Hieber und Marita Krauss in ihren Aufzeichnu­ngen über die bayerische­n Kommerzien­räte festgehalt­en haben. Danach hat Karl Walter um 1930 nach eigener Aussage sein gesamtes Vermögen verloren, sodass er die für die Ernennung zum Kommerzien­rat geforderte­n Spenden in Höhe von rund 5000 Mark zunächst nicht zahlen konnte. Er wollte dies im Rahmen einer Stiftung später nachholen. Unklar bleibt, ob dies auch geschehen ist.

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Fotos: Hans Bosch Nahe der Mindelbrüc­ke in der Burgauer Bleichstra­ße (hier der Fluss in Blickricht­ung Süden) wohnte bis 1934 Kommerzien­rat Moritz Horkheimer (Bild links). Als Direktor der Offinger Papierfabr­ik wohnte Karl Walter in der denkmalges­chützten Benker Villa,...
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