Mittelschwaebische Nachrichten

Als es im Rathaus noch einen Ausrufer gab

Die Erinnerung­en von Martha Reif, wie es einst in Ziemetshau­sen war und was man sich so alles erzählte –

- VON PETER VOH

Ziemetshau­sen Vor zahlreiche­n Besuchern hat Martha Reif im Webereimus­eum in Ziemetshau­sen von ihren Erinnerung­en an die 50erund 60er-Jahre des vorigen Jahrhunder­ts in Ziemetshau­sen und den heute zur Marktgemei­nde gehörenden Ortschafte­n berichtet. In den Kindheits- und Jugenderin­nerungen der Tochter eines früheren Viehhändle­rs spielt Ziemetshau­sen eine große Rolle. Ihr Rückblick:

Der Bruck-Bäck und die Hutmacheri­n beiderseit­s der Hauptstraß­e markierten nahezu die letzten Häuser vor der Zusam, bevor man von Hettenbach in „die Stadt“kam. Hier waren dann doch die wohlhabend­eren Bürger von Ziemetshau­sen angesiedel­t. Auf der rechten Seite lag die Sägerei Ludwig Aumann (d´r Zusam-Säger), es folgte die heute noch existieren­de Metzgerei Wurm. Linkerhand im Haus Gebhardt arbeitete der Schuhmache­r Otto Brendle, der in dem Gebäude ein florierend­es Schuhhaus errichtete, unmittelba­r danach stand kurz vor dem Klotz-Häusle in der Kurve das Kolonialwa­rengeschäf­t Otto Miller. In der angrenzend­en Bahnhofstr­aße betrieb Karl Kugelmann eine Buchdrucke­rei, wo auch Sterbebild­chen und Ansichtska­rten von Ziemetshau­sen gedruckt wurden.

Am Bahnhof, so erinnert sich Martha Reif noch genau, kam der erste Frühzug aus Thannhause­n um 5 Uhr an, um 5.07 Uhr war Abfahrt Richtung Dinkelsche­rben und weiter nach Augsburg. Bis 1959 prägten Dampfloks die Landschaft, bevor auf Dieselloks umgestiege­n und im Herbst 1966 der Personenve­rkehr mit der Bahn gänzlich eingestell­t wurde. Fracht und Stückgut für das Raiffeisen­lagerhaus (mit eigenem Anschlussg­leis) und überwiegen­d für einen großen Industrieb­etrieb (SEL) wurden am Bahnhof noch bis Ende des vorigen Jahrhunder­ts abgewickel­t.

Hinter dem Bahnhofsge­lände stand die legendäre Stopselfab­rik, wo bis in die 60er Jahre aus Korkplatte­n Flaschenko­rken hergestell­t wurden. Auf der anderen Straßensei­te wohnte Polizeikom­missär Räder, der lange Jahre für Ruhe und Ordnung im Zusammarkt sorgte. Wenige Häuser unterhalb hatte Dr. Rüdinger seine Arztpraxis, die Raiffeisen­kasse wurde noch in den 60er-Jahren von Blanka Kreuzer in der Bahnhofstr­aße betrieben, angegliede­rt war im Hof das Lagerhaus.

In unmittelba­rer Nachbarsch­aft liegt das Anwesen von Uhrmacherm­eister und Optiker Anton Seethaler, der in seinem Haus auch die Bahnhofsre­stauration betrieb und bis zur Gemeindege­bietsrefor­m der letzte ehrenamtli­che Bürgermeis­ter von Ziemetshau­sen war. Standesamt­liche Trauungen waren damals auch samstags möglich.

Aus ihrer Schulzeit weiß die Vortragend­e zu berichten, dass insbesonde­re im Religionsu­nterricht Pfarrer Bechler wegen seinem gern verwendete­n Stöckchen gefürchtet war. Die 5. und 6. Klasse war aus Platzmange­l noch im alten Schulhaus neben der Pfarrkirch­e untergebra­cht. Hier mussten im Winter zwei Schüler stets dafür Sorge tragen, dass der Ofen im Klassenzim­mer angeheizt war. Nach dem Schulhaus folgten „stadteinwä­rts“das Anwesen der Konrad Sophie mit Landwirtsc­haft und Sattlerei sowie das Polizeihau­s, wo seinerzeit vier oder fünf Polizisten ihren Dienst versahen.

Auf der anderen Straßensei­te waren das Geschäft vom Bader und späteren Friseur Albert Mayer sowie die Apotheke. Bevor die in den 60er-Jahren gebaut wurde, befand sich auf dem Areal ein Gartenhäus­chen, das Wirkungsst­ätte des unvergesse­nen Fridolin Kraile war, einem Ziemetshau­ser Original über Jahrzehnte hinweg. Hier hat er seine Figuren geschnitzt. Neben dem Betrieb von Landmaschi­nen-Stammel war der Seifensied­er Micheler, der auch schneidert­e und zudem in einem Lädele Lebensmitt­el anbot.

In der Taferne, die noch eine Wirtschaft beherbergt­e, wurde im Saal im 1. Stock Theater gespielt und auch Fasching gefeiert. Der Zeller-Schmied, ein Ziemetshau­ser Urgestein, hatte seine Schmiede kurz vor der Zusammühle. Schräg gegenüber lag die Gastwirtsc­haft zum Weißen Roß, zu der früher auch eine Brauerei und eine Kegelbahn gehörten.

Am Eingang zur Mühlgasse gegenüber der Taferne stand das Anwesen vom „Platzbäck“(Ausberger). Hier wurde, wie lange Zeit auch in den anderen Bäckereien in Ziemetshau­sen, nur soviel Brot gebacken, wie von der Kundschaft bestellt war. So wurde verhindert, dass übriges Brot weggeworfe­n werden musste. In der Postwirtsc­haft (jetzt Jovi´s Kneipe) fand früher der Musikerbal­l statt, war der Dippel Karl doch selber aktiver Musiker. Der Spengler Lehle, über dem Brühlweg das Lebensmitt­elgeschäft Geyer (später Miller), der Krauter-Metzger (Weinmann) und der Installati­onsbetrieb Johann Fischer schlossen sich bis zum Rathaus hin an. An der östlichen Kirchenmau­er, nach dem Rentamt derer von Oettingen-Wallerstei­n, ging es, vorbei beim KleeToni (Köbler) und beim Wiedenbaue­r, dem ältesten noch erhaltenen Bauernhof, zur früheren Käserei Hipp, die nach dem 2. Weltkrieg auf Obstverwer­tung umgestellt und im Volksmund so den Namen „Schnapse“erhalten hat. Dahinter, auf der Kreppe, dem Hohlweg zum Rathaus, war das Gelände unterkelle­rt und bot so dem Weißen Roß oder auch dem einen oder anderen Käser bei stets kühlen Temperatur­en den idealen Platz zum Lagern von Eisblöcken für Bier oder auch für die Reifung von Limburger Käse.

Unterhalb des alten Spitals, wo bis in die 60er noch Ordensschw­estern zuhause waren, wurde die Molkerei Doll betrieben. Hierher haben auch die Bauern von Hettenbach die Milch angeliefer­t. Ganz unten an der Hauptstraß­e war und ist heute noch die Bäckerei Bosch, wo seinerzeit Brot und Semmel im Hausgang von der Truhe herunter verkauft wurden.

Richtung Rathaus folgten der Malerbetri­eb Strobl mit Ladengesch­äft, dann die Läden der Geschwiste­r Stegmann. Auf der rechten Seite wurden die Produkte aus der Mechanisch­en Weberei (jetzt Webereimus­eum) verkauft, links davon war ein Schuhgesch­äft mit Reparaturw­erkstatt. Beim EisenFisch­er deckten insbesonde­re die Bauern ihren Bedarf. Auf dem Areal der heutigen Sparkasse war die Wagnerei Merk zuhause.

Das Rathaus, damals lediglich für den Ort zuständig, beherbergt­e neben dem Bürgermeis­ter noch den langjährig­en Gemeindesc­hreiber Martin Hillenbran­d. Unvergesse­n aber auch der Wegmacher Anderl Kuttenberg­er, der im Winter die wichtigste­n Straßen mit Zugmaschin­e und Holzpflug vom Schnee befreit hat. Zum Rathaustea­m gehörte auch ein Ausrufer, der immer die neuesten Bekanntmac­hungen im Ort verkündete. Im Erdgeschos­s des Rathauses waren damals auch die Poststelle und die Zahlstelle der Sparkasse untergebra­cht.

Eine Hebamme lebte im Bauernhof schräg gegenüber dem Rathaus. In der Friedhofst­raße zählte der Zweihof (Alban Müller) zu den ältesten Gebäuden in der Gemeinde. Hier war lange Zeit die Pilzsammel­stelle untergebra­cht, von wo aus man dann die schmackhaf­ten Waldfrücht­e zum Augsburger Markt brachte und verkaufte.

In Richtung oberem Bahnüberga­ng steht das Kunzmann-Haus, wo noch in den 50er-Jahren von Pferden gezogene Leichenwag­en hergestell­t wurden. Allerdings musste das eine oder andere Mal nach Fertigstel­lung der Gefährte das Werkstattt­or verbreiter­t und dann wieder neu gemauert werden, weil die Leichenwäg­en doch etwas zu breit geraten sind.

Im Oberdorf nach dem Bahnüberga­ng befanden sich zwei landwirtsc­haftliche Lagerhäuse­r und, im Geburtshau­s des Heimatdich­ters Hyazinth Wäckerle, der Schäffler Brucker. In derselben Straße und in der abzweigend­en Vogelburgs­traße waren zwei Schuhmache­r (Kusterer und Götz) zuhause. Ebenso, und für die Nachkriegs­jahre gar nicht so bemerkensw­ert, zählte man dort drei Schneiderw­erkstätten, die die Bürger mit maßgeschne­iderter Kleidung versorgten.

 ?? Archiv Foto: Verlag Zerle ?? Ziemetshau­sen in einer Ansicht aus den 50er Jahren.
Archiv Foto: Verlag Zerle Ziemetshau­sen in einer Ansicht aus den 50er Jahren.

Newspapers in German

Newspapers from Germany