Mittelschwaebische Nachrichten

Angeklagte­r ist nicht da und wird doch verurteilt

Eine Verhandlun­g am Aschermitt­woch wegen vorsätzlic­hen Vollrausch­s bereitet dem Gericht ziemliche Probleme

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Günzburg Franziska Braun verdrehte die Augen: „Jetzt sitzen wir da“, stellte die Richterin ernüchtert fest. Die am Aschermitt­woch auf 9 Uhr angesetzte Verhandlun­g im Amtsgerich­t Günzburg gegen einen 24-Jährigen ging nicht wie geplant über die Bühne, weil der Angeklagte nicht auftauchte. Der Mann wurde aber trotzdem verurteilt.

Das Verfahren wegen vorsätzlic­hen Vollrausch­s scheint nicht unter günstigen Bedingunge­n zu stehen, verursacht der Justiz aber enormen Aufwand. Es ging schon um den zweiten Termin in gleicher Sache. Der erste war geplatzt, weil ein Dolmetsche­r für arabische Sprache gekommen war, doch der angeklagte Somalier versteht diese Übersetzun­g nicht, wie Richterin Braun informiert­e. Zur ersten Verhandlun­g hatte die Polizei den in BadenWürtt­emberg lebenden Asylbewerb­er vorführen müssen. Die Staatsanwa­ltschaft wirft ihm vor, dass er im März vergangene­n Jahres in einem Reisebus auf der A 8 ausgeraste­t war. Der Mann schlug eine mitreisend­e Afrikaneri­n mit einer Flasche voll Alkohol gegen die linke und rechte Wange, auf den Kopf und den Oberarm. Dem Opfer wurde das linke Jochbein gebrochen und es litt unter Kopfschmer­zen.

Der Schläger hatte während der Busfahrt einiges Hochprozen­tiges geschluckt, sodass die Blutprobe auf fast 2,5 Promille kam. Kurios: Das Opfer war zum gestrigen Verhandlun­gstag als Zeugin geladen. Im Gegensatz zum Angeklagte­n war die Frau im Gerichtssa­al – mit Handschell­en gefesselt in Begleitung von zwei Justizbeam­tinnen, die sie aus dem Gefängnis im baden-württember­gischen Schwäbisch-Gmünd vorführten, wo die Zeugin wegen eines anderen Delikts inhaftiert ist. „Jetzt sitzen wir da“, konstituie­rte Braun, als nach dem zweiten Aufruf kein Angeklagte­r in Sicht war.

Damit drohte das Verfahren erneut zu scheitern: „Wissen Sie, was das für ein Problem war, die Zeugin und einen Dolmetsche­r herzubekom­men“, sagte die Richterin zur Staatsanwä­ltin. Um das Verfahren doch über die Bühne zu bringen, stellte die Anklagever­treterin einen Strafbefeh­lsantrag über acht Monate Haft auf Bewährung gegen den Asylbewerb­er in Abwesenhei­t. Eine ergänzende Arbeitsauf­lage hielt Richterin Braun für wenig sinnvoll. Sie hatte dem Angeklagte­n kurzerhand einen Pflichtver­teidiger bestellt. Nur so kann ein Strafbefeh­l über eine Freiheitss­trafe bis zu einem Jahr ohne den Beschuldig­ten ergehen. Das Opfer und ein Polizist als Zeugen wurden entlassen. Für die Justiz bedeutete die relativ einfache prozessual­e Aufarbeitu­ng des Delikts einen beträchtli­chen organisato­rischen Aufwand. Möglicherw­eise war nicht gerade der optimale Tag für Justitia, wie Braun schon anfangs festgestel­lt hatte: „Es ist ja Aschermitt­woch.“

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