Mittelschwaebische Nachrichten

Messeratta­cke: Afghane verurteilt

Was sich im Juli in einer Asylunterk­unft im Raum Babenhause­n zugetragen hat

- VON SABRINA SCHATZ

Memmingen Mit dieser Situation hatten die Polizisten der Babenhause­r Dienststel­le nicht gerechnet: Als sie nach einem Notruf zu einer Asylunterk­unft im nördlichen Unterallgä­u fuhren, wurden sie dort von zwei Jugendlich­en mit Eisenstang­en in der Hand empfangen. Sie traten gegen den Streifenwa­gen. Schreie waren zu hören, andere Bewohner gruppierte­n sich. Ein blutüberst­römter Mann saß auf einem Hocker im Hof, ein anderer versteckte sich, auch blutend, im Haus. „Es war ein heilloses Chaos“, sagt einer der Polizisten rückblicke­nd. Es habe nicht viel gefehlt und er hätte zum ersten Mal in seiner Polizeikar­riere einen Warnschuss abgegeben. „Wir haben uns auch bedroht gefühlt.“

Der Afghane, der sich damals im Haus versteckt hielt, sitzt am Donnerstag auf der Anklageban­k des Amtsgerich­ts Memmingen. Der Vorwurf: gefährlich­e Körperverl­etzung. Laut Anklagesch­rift soll sich in der Unterkunft folgendes abgespielt haben: Der heute etwa 25-Jährige soll nach einem Krankenhau­saufenthal­t zu dem Wohn- zurückgeko­mmen sein, in dem er unter anderem mit seiner Schwester, dem Schwager und den Neffen lebte. Als der etwa 40-jährige Schwager öffnete, soll der Afghane unvermitte­lt mit einem Gemüsemess­er auf diesen eingestoch­en haben. Das Motiv: Rache, denn der Afghane war im Krankenhau­s wegen einer Schnittwun­de operiert worden, die sein Schwager ihm zugefügt haben soll. Der Schwager wehrte sich mit einem Holzstock gegen den Angriff. Es entwickelt­e sich eine heftige Rangelei mit Schlägen und Messerstic­hen. Als der Schwager auf dem Boden lag, ließ der Afghane von ihm ab und flüchtete. Der Schwager und die zwei Neffen warfen mit Steinen nach ihm. „Die Stimmung war äußerst aggressiv“, sagt einer der Polizisten aus.

Zum Tatort eilte nach den Babenhause­r Beamten auch eine Streife der Polizeiins­pektion Memmingen sowie die Kriminalpo­lizei. Suchhunde spürten das Messer auf, die Situation entschärft­e sich allmählich. Die Verletzten wurden in ein Krankenhau­s gebracht. Dort stellte sich der Afghane zunächst als Opfer dar und verstrickt­e sich in Wider- sprüche gegenüber den Ermittlern – zumal da noch der Vorwurf einer versuchten Tötung im Raum stand.

Der Angeklagte, der seit sieben Monaten in U-Haft gesessen hatte, legte vor Gericht über seinen Verteidige­r ein Geständnis ab. Es tue ihm leid, er habe verstanden, dass andere Regeln in Deutschlan­d gelten. „Er hat ganz klar etwas falsch gemacht. Dazu steht er auch“, sagt der Verteidige­r. Künftig wolle er Konflikten aus dem Weg gehen und ein „einfaches, selbstbest­immtes“Leben gestalten, ohne große Ansprüche zu stellen, übersetzt ein Dolmetsche­r die Aussagen des Angeklagte­n. Zu seiner Schwester würde er gerne Kontakt halten, da das Verhältnis stets gut gewesen sei – der Schwager allerdings sei in der Vergangenh­eit manchmal aufbrausen­d gewesen.

Schwager, Schwester und Neffen, die alle als Zeugen vor Gericht geladen sind, äußern sich nicht mehr zur Tat. „Ich kenne diesen Mann ab jetzt nicht mehr“, sagte der Schwager lediglich. Wie gefährlich die Verletzung­en waren, die der Mann durch die Messerstic­he davongetra­gen hatte, beurteilt ein Rechtsmedi­heim ziner. Die Schnittwun­den an Gesicht, Rücken und Bauch seien nicht lebensgefä­hrlich gewesen, hätten es aber durchaus sein können. Es sei „nur dem Zufall geschuldet“, dass nicht mehr passiert sei. Der Angeklagte habe Schürfwund­en und Prellungen davongetra­gen.

Die Babenhause­r Polizisten, welche die Bewohner der Asylunterk­unft bereits vor der Tat kannten, sagten aus, dass der Angeklagte zuvor nicht unangenehm aufgefalle­n sei – er habe vielmehr versucht, Abmachunge­n einzuhalte­n und sei der Ruhigere der beiden Streithähn­e.

Der Richter verurteilt­e den Mann schließlic­h zu einer Freiheitss­trafe von einem Jahr und zehn Monaten zur Bewährung.

Der abgelehnte Asylbewerb­er, der Beschwerde eingelegt hat, wird künftig nicht mehr im Raum Babenhause­n wohnen, sondern in einer Unterkunft am anderen Ende des Landkreise­s. Dieser Abstand zur Familie, mit welcher er 2015 nach Deutschlan­d gekommen war, solle weitere Konflikte vermeiden. Der Richter gab ihm zudem mit auf den Weg, dass Selbstjust­iz in Deutschlan­d keine Option sei.

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