Mittelschwaebische Nachrichten
Neue Frau + neuer Stil = Neuanfang?
Die Bayern-SPD kürt Natascha Kohnen mit 95 Prozent zur Spitzenkandidatin. Sie lässt sich aber nicht groß feiern, sondern geht in der Wohnungspolitik gleich in die Vollen
München Was waren das zuletzt für Jubelparteitage bei der SPD – vor der Bundestagswahl 2017 für Martin Schulz, vor der Landtagswahl 2013 in Bayern für Christian Ude. Auf die aufgeputschte Euphorie bei der Kür der Spitzenkandidaten folgte in beiden Fällen eine herbe Enttäuschung. Das Debakel um Schulz ist den Genossinnen und Genossen in frischer Erinnerung. Die Sache mit Ude steckt der Bayern-SPD auch knapp fünf Jahre danach noch in den Knochen. Die lange gehegte Hoffnung nämlich, die SPD müsse in Bayern nur den „berühmtesten und erfolgreichsten Oberbürgermeister Deutschlands“gegen die CSU ins Rennen schicken und schon werde sich für die Sozialdemokraten im Freistaat alles zum Besseren wenden, erwies sich als Illusion. Und mehr noch: Die 20,6 Prozent, die Ude 2013 holte, erscheinen aus heutiger Sicht fast schon wie ein Traumziel. Aktuell liegen die Umfragewerte der SPD in Bayern bei etwa 15 Prozent.
Das ist einer der Gründe, warum dieser SPD-Landesparteitag hier in der kleinen Olympiahalle in München nicht als Krönungsmesse inszeniert wird. Es gibt nichts zu feiern. Der zweite Grund ist die Spit- zenkandidatin, zu deren Nominierung rund 270 Delegierte aus ganz Bayern gekommen sind. Natascha Kohnen, die es in nur zehn Jahren von der einfachen Landtagsabgeordneten zur bayerischen Landesund stellvertretenden Bundesvorsitzenden der SPD gebracht hat, will keine große Show, keine Jubelorgie, keine betörende Musik. Beim Starkbieranstich am Nockherberg wurde sie im Singspiel sogar als Politikerin derbleckt, die sich gerne mal unsichtbar macht.
Unsichtbar soll die Kandidatin im Wahlkampf freilich nicht sein. Im Gegenteil. Sie wird präsentiert als „das neue Gesicht für Bayern“. Aber sie will einiges anders machen – anders als ihre Vorgänger in der SPD und anders als ihre Konkurrenten bei der CSU und den Freien Wählern. „Wir müssen Politik machen, indem wir zuhören“, so lautet ihr Credo, „nicht von oben herab.“Kohnens erklärtes Ziel ist es, einen neuen Stil zu etablieren, um bei den Bürgern Vertrauen zu gewinnen und Zuversicht zu verbreiten.
Dafür ist es offenbar auch höchste Zeit. Der Nürnberger Oberbürgermeister Ulrich Maly, der Kohnen offiziell als Spitzenkandidatin vorschlägt, hält den SPD-Delegierten die politische Situation ziemlich schonungslos vor Augen. Trotz der historisch guten wirtschaftlichen Lage gebe es in der Bevölkerung „Missbehagen, Unruhe und Angst“. Das habe die Bundestagswahl gezeigt. Das zeige sich auch am Niedergang der Volksparteien und am Aufstieg von Populisten und Nationalisten in ganz Europa. In dieser Situation brauche die SPD Selbstbewusstsein, Mut und „auch ein bisschen Mut zur Utopie“.
Der SPD-Politiker beschreibt Kohnen als „fröhlich, unverkrampft und durchaus optimistisch“. Er sagt: „Das Angebot, das wir den Bayern machen, ist weiblich – und das ist auch gut so.“Und er fügt noch hinzu: „Wer diese Frau unterschätzt, der macht einen Fehler.“
Gleich darauf demonstriert Kohnen ihren Politikstil. Sie drischt nicht auf den politischen Gegner ein, sondern demonstriert, wie sie sich Politik von unten nach oben vorstellt. Kohnen berichtet von Gesprächen mit Rentnern, Studenten und ganz normalen Bürgern, die Schwierigkeiten haben, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Sie nennt die Wohnungspolitik die größte soziale Herausforderung der nächsten Jahre und Jahrzehnte. Sie schildert, welche Anstrengungen die Bundesregierung und die Städte unternehmen, um Wohnraum zu schaffen. „Aber ein Glied in dieser Kette fehlt. Das ist der Freistaat Bayern.“
Dann listet sie auf, was die Staatsregierung tun sollte: Die bebaubaren Flächen im Eigentum des Freistaats benennen. Eine staatliche Wohnungsbaugesellschaft errichten, die „mindestens 25000 Wohnungen pro Jahr baut“. Den Kommunen Flächen des Landes zur Verfügung stellen. Den Landkreisen alle Möglichkeiten geben, selbst bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Die Sozialbindung von gefördertem Wohnraum verlängern. Und ein eigenes Bauministerium zu schaffen, damit es nicht länger ein Anhängsel des Innenministeriums ist.
Der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter meldet sich in der Aussprache als Einziger zu Wort. Er unterstützt Kohnen: „Da sitzt unsere Zukunft.“Er stimmt in ihr Credo ein: „Wir müssen hin zu den Bürgerinnen und Bürgern.“Und auch er betont, dass sie nicht zu unterschätzen sei. Sie könne „ein durchaus harter Knochen“sein.
Die SPD-Delegierten wählen die 50-Jährige mit knapp 95 Prozent zur Spitzenkandidatin für die Landtagswahl.
So stellt sich Kohnen Politik vor