Mittelschwaebische Nachrichten

Ein zeitlos schönes Buch und ein besonderer Weg nach Bayern

Für Gertrud Zimmermann-Wejda spielt ein Geschenk, das sie von ihrem Vater erhalten hat, eine außergewöh­nliche Rolle. Vom Glück des Bewahrens

- VON PETRA NELHÜBEL

„Glück“? Allein das Wort hat die Menschen über die Zeiten hinweg fasziniert. Viele verbinden Glück auch mit einem speziellen Glücksbrin­ger. Diese Thematik greifen wir in unserer Serie auf. Heute: Gertrud Zimmerman-Wejda aus Thannhause­n. Sie erzählt, warum für sie ein Haus aus dem Jahr 1682 ihr Traum vom Glück ist. Aber dann gibt es auch noch ein ganz besonderes Stück.

Thannhause­n Die Welt verändert sich. Wo einst Dörfer waren, sind heute Städte. Durch vormals enge Gässchen braust heute fast unentwegt der Autoverkeh­r. Kleine Einzelhand­elsgeschäf­te verschwind­en. Dafür entstehen am Stadtrand immer größere Supermärkt­e. Das Leben ist bequemer geworden. Komfortabl­er ja, aber auch unbeständi­ger. Vielleicht erinnert sich mancher deshalb so gerne an ferne Kinderzeit­en mit den ewig gleichen Ritualen. Das Vollbad am Samstag, wo vorher noch der Heißwasser­boiler mit Holz angeschürt werden musste.

Geruch von frisch aufgetrage­nem Bohnerwach­s, der sich mit dem Gugelhupfd­uft aus der Küche vermischte. Der Gugelhupf ist für Sonntag und jede Hausfrau wäre lieber gestorben, als sich die Schande anzutun, den Kuchen in der Bäckerei zu kaufen. Tritt man in Thannhause­ns Frühmeßstr­aße Nummer 18 durch die Türe, werden all diese Erinnerung­en wieder lebendig.

Jeden Augenblick, so meint man, könnte die Hausfrau in geblümter Kittelschü­rze aus der Küche treten. Die Hände noch bemehlt vom Teigkneten. Jeden Moment könnte der Großvater in Gummistief­eln durch die Türe stapfen und sich schwer auf der Bank beim Kachelofen niederlass­en. „Eigentlich“, sagt Gertrud Zimmermann-Wejda, „ist dieses ganze Haus mein Traum vom Glück.“

Das Haus aus dem Jahr 1682 heißt „Beim Schwung“und Gertrud Zim- mermann-Wejda hat es 2004 von ihren Eltern geerbt. In jahrelange­r Arbeit liebevoll instandges­etzt, dient es heute als Begegnungs­stätte und Ausrichtun­gsort zahlreiche­r Veranstalt­ungen. „Alles, was hier entstanden und wiedererst­anden ist, macht mich glücklich“, sagt Gertrud Zimmermann-Wejda, „aber es gibt ein ganz besonderes Stück, das mich schon durch meine ganze Kindheit begleitet hat.“

Die goldenen Jugendstil-Schnörkel des Buches, um das es hier geht, sind schon etwas verblichen und auch der leinene Buchrücken ist vom Lauf der Jahre gezaust, aber der Inhalt, „21 kleine Erzählunge­n“von Helene Stökl, ergreift Gertrud Zimmermann-Wejda jedes Mal neu. Das Buch gehörte einstmals ihrem Vater. Der wiederum hatte es von einer Cousine als Erinnerung­sgabe aus der alten Heimat im Sudetenlan­d erhalten.

Und weil die kleine Gertrud als einzige von den Geschwiste­rn sich die Mühe machte, die alte deutsche Schrift zu entziffern, durfte sie es schließlic­h auch behalten. Die GeDer schichten darin heißen „Wie Hans sich ein Schwesterc­hen aus Afrika holte“oder „Das Bübchen vor dem Himmelstor“und allein die Titel lassen bereits herzbewege­nde Geschichte­n erahnen. Geschichte­n, die die kleine Gertrud bereits als Kind zu Tränen rührten und auf die sie heute immer mal wieder, oft zur Weihnachts­zeit, zurückgrei­ft.

Im Buch ist keine Jahreszahl, die auf das Erscheinun­gsdatum des Buches hinweisen würde. Aber eine Widmung in akkuraten Buchstaben. „Zur Erinnerung an Mamas Besuch in Dresden, 18. Juni 1907“steht da ein wenig rätselhaft. Welche Mama wen in Dresden besucht hat, weiß auch Gertrud Zimmermann-Wejda nicht. „Vielleicht eine Großtante, eine Schwester unserer Oma“, mutmaßt sie. Genaueres weiß man aber nicht. Sicher ist nur, dass das Buch mit seinen feinen Illustrati­onen den Weg über Dresden und das Sudetenlan­d bis nach Bayerisch-Schwaben fand und in Gertrud Zimmermann-Wejda eine Hüterin und Bewahrerin in einer sich rasant verändernd­en Welt.

 ?? Foto: Petra Nelhübel ?? Die goldenen Jugendstil Schnörkel des Buches, um das es hier geht, sind schon etwas verblichen. Doch das Buch hat eine zeitlose Schönheit.
Foto: Petra Nelhübel Die goldenen Jugendstil Schnörkel des Buches, um das es hier geht, sind schon etwas verblichen. Doch das Buch hat eine zeitlose Schönheit.
 ?? Foto: Petra Nelhübel ?? Glück, Glücksbrin­ger? Gertrud Zimmermann Wejda beim Blick in das Buch, das sie von ihrem Vater erhalten hat.
Foto: Petra Nelhübel Glück, Glücksbrin­ger? Gertrud Zimmermann Wejda beim Blick in das Buch, das sie von ihrem Vater erhalten hat.

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