Mittelschwaebische Nachrichten

Was wird aus den Berufsbild­ungswerken?

In Ursberg kam es zum Krisengipf­el mit der Agentur für Arbeit

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Ursberg Die Berufsbild­ungswerke (BBW) im Landkreis Günzburg fühlen sich durch die restriktiv­e Belegungsp­olitik durch die Agentur für Arbeit in ihrer Existenz bedroht. Diese wiederum fordert von den Trägern mehr Flexibilit­ät in Strukturen und Angeboten. In Ursberg kam es jetzt zum Krisengipf­el mit der Agentur für Arbeit auf Einladung des Bundestags­abgeordnet­en Georg Nüsslein.

Berufsbild­ungswerke haben eine lange Tradition. Sie bieten Jugendlich­en mit besonderem Unterstütz­ungsbedarf im geistigen, seelischen und sozialen Leben die Chance auf eine berufliche Zukunft. Dazu wird ein individuel­les Förderprog­ramm zur Berufsfind­ung und -vorbereitu­ng sowie Ausbildung in einem anerkannte­n Beruf zusammenge­stellt. Seit einigen Jahren jedoch gehen die Teilnehmer­zahlen der BBW drastisch zurück. Waren es 2011 in Ursberg noch 180 Jugendlich­e, begleitet man heute mit 95 nur noch rund die Hälfte. Und der Trend zielt laut Hans-Dieter Srownal, dem stellvertr­etenden Vorstandsv­orsitzende­n des DRW, stark auf 60 Teilnehmer. Ähnliches weiß die Katholisch­e Jugendfürs­orge (KJF) in Augsburg zu berichten. Von einstmals etwa 400 am Berufsbild­ungsund Jugendhilf­ezentrum St. Nikolaus in Dürrlauing­en seien nur noch 140 Plätze geblieben. Man sah sich gezwungen, die Wäscherei fremdzuver­geben oder zu schließen berichtete­n). „Das ist existenzge­fährdend“, so Michael Breitsamet­er, zuständig für Berufliche Bildung und Integratio­n der KJF. Die BBW-Träger fürchten, dass die Agentur für Arbeit, die für die Belegung der Plätze zuständig ist, die Kosten für Maßnahmen zunehmend scheue. Der CSU-Bundespoli­tiker und Wahlkreisa­bgeordnete Georg Nüsslein sieht im Wirken der Berufsbild­ungswerke gut angelegtes Geld. Er betonte auf dem Krisengipf­el: „Wir sollten die vorhandene­n Strukturen sinnvoll sichern. Mich treibt die Sorge um, dass wir die Strukturen in schwierige­s Fahrwasser bringen, nur um später festzustel­len, dass wir sie nicht mehr haben, wenn wir sie brauchen.“Trotz gegenwärti­g guter Lage auf dem Arbeitsmar­kt werde das Pendel bei einer schwächere­n Konjunktur in die andere Richtung schwingen.

Ralf Holzwarth, Chef der bayerische­n Arbeitsage­nturen aus Nürnberg, machte jedoch klar: „Es wird auch in Zukunft einen Anteil an berufliche­n Reha-Maßnahmen geben.“Er dementiert­e, dass es seiner Behörde allein ums Sparen ginge. Schließlic­h seien die Ausgaben der Agentur für die etwa 300 Anbieter in Bayern über die Jahre konstant geblieben. Vielmehr beobachte er, dass Jugendlich­e und deren Eltern eher einen herkömmlic­hen Ausbildung­splatz anstrebten. Die Betriebe lockten Lehrlinge – auch mit finanziell­en Anreizen. Die Agentur könne nicht vorschreib­en, welchen Bildungswe­g jemand zu gehen habe.

Holzwarth plädierte für ein „atmendes System“, in dem sich Bildungstr­äger flexibler den Bedarfen ihrer Kunden anpassten, indem sie beispielsw­eise eine Art ambulante Betreuung von Lehrlingen in Betrieben anböten oder sich verstärkt im Feld der Gesundheit­sfürsorge betätigten. Das Credo der Agentur laute: „Betrieblic­he Ausbildung ist die beste Grundlage für einen späteren Arbeitspla­tz.“Er fügte aber auch hinzu: „Es geht nicht um Strukturen, sondern um Menschen. Die Frage ist, wie exklusiv und wie inklusiv muss Ausbildung für bestimmte Jugendlich­e sein. Diese Diskussion müssen wir aushalten.“

Doch gerade diese Strukturen hätten sich bewährt, heißt es seitens der BBW. Sie verweisen auf eine hohe Zahl nachhaltig­er Vermittlun­gen ihrer Teilnehmer auf den Arbeitsmar­kt. Demgegenüb­er gebe es derzeit eine hohe Abbruchquo­te bei Lehrlingen in anderen Förderkate­gorien der Agentur. Die in Bayern große Dichte an Ausbildung­sberufen für Jugendlich­e mit besonderem Unterstütz­ungsbedarf stehe unwiederbr­inglich auf dem Spiel, wenn einzelne Betriebe aus wirtschaft­lichen Gründen schließen müssten. „Dann brechen einzelne Berufszwei­ge weg. Die können wir nicht in fünf Jahren einfach wieder hochfahren“, mahnte Wolfgang Münzer, der im DRW zuständige Gesamtleit­er für Ausbildung und Beschäftig­ung. Michael Breitsamet­er sagte es noch drastische­r: „Man sollte klar sagen, ob man die BBW noch braucht oder nicht.“

Ralf Holzwarth räumte ein, dass es in den Bereichen Grundsiche­rung und Arbeitsmar­ktförderun­g der Agentur an Geld für Reha-Maßnahmen fehle, die die Angebote der BBW interessan­t machen könnten. Und dann ging es noch um den Begriff „Behinderun­g“, dieser sei „mit einem Stigma verbunden“, sagte Julia Lewerenz von der Agentur für Arbeit. „Eine solche Maßnahme will keiner antreten, wenn er gleichzeit­ig als behindert klassifizi­ert wird.“Vielleicht helfe eine Begriffsän­derung, regte Lewerenz an. Vielleicht könne hier ein gewisser gesetzgebe­rischer Interpreta­tionsspiel­raum für die Steigerung der Attraktivi­tät von BBW genutzt werden. Die dringende Bitte, dieses Anliegen in Gesetzesfo­rm zu gießen, adressiert­en die Teilnehmer an Nüsslein. „Hier ist die Politik gefragt“, war die Meinung der Teilnehmer.

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Foto: Bernhard Weizenegge­r Die Berufsbild­ungswerke fürchten um ihre Existenz. In St. Nikolaus Dürrlauin gen ist die Wäscherei bereits davon tan giert.

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