Mittelschwaebische Nachrichten
Retourkutsche aus Russland
Der Streit zwischen Moskau und dem Westen über den Giftanschlag von Salisbury spitzt sich weiter zu. Jetzt müssen auch vier deutsche Diplomaten gehen
Moskau Als die schwere Tür des russischen Außenministeriums hinter ihm zufällt und er vor die Kameras tritt, spricht Rüdiger von Fritsch sachlich – und diplomatisch. Es ist sein Job. „Es bleibt Deutschlands Interesse, ein gutes Verhältnis mit Russland zu haben. Wir bleiben offen für den Dialog“, sagte der deutsche Botschafter am gestrigen Freitag in Moskau. Eine Protestnote hatte ihm das russische Außenministerium übermittelt. Details dieser nannte von Fritsch nicht. Doch am Nachmittag war klar: Die russische Regierung weist vier deutsche Diplomaten aus.
Russlands Außenministerium hatte zur Mittagszeit eine Reihe europäischer Botschafter einbestellt, um ihnen nach der konzertierten Aktion von mehr als 20 Ländern, etwa 140 russische Diplomaten auszuweisen, die Reaktion Moskaus mitzuteilen. Als Erste informierten die Niederlande, dass zwei ihrer Diplomaten in Moskau ausgewiesen würden. Amsterdam weist seinerseits zwei russische Diplomaten aus. Berlin hatte vier russische Diplomaten zu unerwünschten Personen erklärt – nun müssen auch vier deutsche Diplomaten Russland verlassen. Großbritannien müsse zudem mit einer weiteren Verringerung der Anzahl ihrer diplomatischen und technischen Mitarbeiter rechnen, hieß es vom Außenministerium in Moskau.
Der Streit zwischen Russland und dem Westen wegen des in Großbritannien vergifteten Ex-Doppelagenten Sergej Skripal und seiner Tochter, die mittlerweile ansprechbar und auf dem Weg der Besserung spitzt sich weiter zu. Bereits am Vortag hatte Moskau angekündigt, innerhalb einer Woche 60 amerikanische Diplomaten aus Russland auszuweisen. Das US-Konsulat in Sankt Petersburg muss bereits bis heute geschlossen werden. Die Amerikaner sollte es mit der Schließung ihrer Vertretung in der „nördlichen Hauptstadt“wohl härter treffen als mit der möglichen Schließung der Konsulate in Jekaterinburg am Ural oder in Wladiwostok in Russlands Fernem Osten. Das Haus in Sankt Petersburg gehört zu den prestigeträchtigsten und wichtigsten US-Konsulaten im Land.
Seit Tagen hatten die Russen eine spiegelbildliche Reaktion angekündigt, wie das in Fällen von Diplomatenausweisungen Usus ist. Russlands Außenminister Sergej Lawrow wiederholte bei der Ankündigung der Ausweisung von US-Diplomaten die große Empörung Russlands über die aus seiner Sicht vollkommen unbegründeten Schritte der Amerikaner und Europäer. Das ofist, fizielle Russland geht davon aus, dass Amerika und Großbritannien das restliche Europa unter Druck gesetzt hätten, und fühlt sich weiterhin zu Unrecht verdächtigt. Allerdings unternimmt es auch nichts, um seine Unschuld zu beweisen.
Stattdessen setzt es auf seine bestens eingeübte Taktik: Gerüchte streuen, bis mehrere Versionen plausibel erscheinen. Das zeigt sich auch im Fall des Giftstoffs Nowitschok. Britische Ermittler gehen davon aus, dass Skripal und seine Tochter genau mit diesem Mittel in Kontakt gekommen waren.
Das Nervengift, das in den 1970ern in der Sowjetunion entwickelt worden sein soll, sei an den Händen der Opfer nachgewiesen worden, sagten die Ermittler. Für London ist das Beweis genug, den Kreml hinter dem Attentat zu sehen. Moskau agiert widersprüchlich: Erst sagten die Russen, ein Programm, ein solches Gas zu entwickeln, habe es nie gegeben, einige Tage später teilten sie mit, dass man das Gas längst vernichtet habe. Solche Aussagen bewirken eins: Sie stiften Ratlosigkeit und lassen das Gefühl entstehen, es gebe eine ganze Reihe von „Wahrheiten“in diesem tatsächlich verworrenen Fall.
Nach innen kann der Kreml so weiter behaupten, der Westen habe sich gegen Russland verschworen. Die täglich gepflegte Legende, von äußeren Feinden umgeben zu sein, stärkt das System und lässt in dieser heraufbeschworenen Gefahrensituation auch das Volk enger zusammenrücken. Selbst die zynischen und teils menschenverachtenden Reaktionen der Mächtigen nach der Brandkatastrophe von Kemerowo, bei der viele Kinder ihr Leben verloren, lassen den Großteil der Menschen nicht an ihrer Führung zweifeln.
Nach außen aber steht Moskau immer isolierter da.
Die Tochter Skripals ist auf dem Weg der Besserung