Mittelschwaebische Nachrichten
Für ein bisschen Liebe
Wer sich einen korrupten Funktionär ausdenken sollte, der käme möglicherweise auf einen wie Anders Besseberg. Sofern er eine blühende Fantasie hat. Denn wenn es stimmt, was in einem Bericht der Wada steht, hat es der Präsident des Biathlon-Weltverbandes ziemlich bunt getrieben. Mit russischem Geld soll er sich feudale Jagdausflüge und amouröse Abenteuer im horizontalen Gewerbe gegönnt haben. Der Mann ist 72 und offenbar noch ziemlich gut in Form. Als Gegenleistung für die Gefälligkeiten, garniert mit diversen Barzahlungen, sollen der IBU-Chef und seine Generalsekretärin Nicole Resch auffällige Blutwerte russischer Biathleten unter den Tisch fallen gelassen haben. Zudem erfreute sich die Bewerbung des russischen Tjumen um die BiathlonWM 2021 großer Unterstützung.
Das System scheint über Jahre hinweg funktioniert zu haben. Seit 2011 seien 65 Dopingfälle russischer Biathleten vertuscht worden. In der vergangenen Saison hatten angeblich 17 von 22 russischen Athleten verbotene Substanzen im Körper. All diese Vorwürfe, so unglaublich sie sind, waren stichhaltig genug, dass österreichische Staatsanwälte ausrückten und die IBU-Zentrale in Salzburg durchsuchten. Noch ist nicht bekannt, was sie fanden. Noch muss deshalb die Unschuldsvermutung gelten.
Grundsätzliche Fragen sind aber erlaubt. Zum Beispiel die nach der Sinnhaftigkeit einer Sportart, die sich selbst auf Doping kontrolliert. Die Richtlinien gestatten das. Ein Weltverband kann beispielsweise zu Weltmeisterschaften seine eigenen Kontrolleure schicken. Was mit deren Ergebnissen geschieht, ist ebenfalls dem Verband überlassen. Im Biathlon hatte die Generalsekretärin Resch die Hoheit über die Blutwerte. Gab es Auffälligkeiten, soll sie in Russland angerufen haben. Aus dem geschlossenen System drang nichts nach außen.
Bis jetzt. Um einen Einblick zu bekommen, bedurfte es auch in diesem Fall des Wissens von Insidern. Whistleblower (übersetzt: Hinweisgeber) sind die schärfste Waffe im Kampf gegen Doping. Sie riskieren viel, manchmal sogar ihr Leben. Grigorij Rodchenkov, ehemaliger Leiter des Moskauer Kontrolllabors und inzwischen Hauptbelastungszeuge gegen das russische Staatsdoping, lebt an einem geheimen Ort in den USA. Angeblich hat er sogar sein Aussehen operativ verändert, denn viele in Russland sähen ihn gerne maximal schweigsam. Ohne Menschen wie Rodchenkov würden aber Menschen wie Besseberg weiterhin auf Bärenjagd gehen, während sie der Welt erzählen, wie sauber der Sport doch ist.