Mittelschwaebische Nachrichten
Jede Zeit hat ihren Mephisto
Goethes Drama hat in seiner bald 200-jährigen Aufführungsgeschichte erstaunliche Wandlungen durchlebt. Das zeigt das Deutsche Theatermuseum in einer inhaltsprallen Schau
München Blond oder braun, das ist die eigentliche Gretchenfrage im „Faust“. Denn die flachsgelben Zöpfe des „schönen Fräulein“, dem der leicht betagte Titelheld „Arm und Geleit“anträgt, haben sich erst in der Gründerzeit nach 1850 zum festen Rollenmuster entwickelt. Die Gretchen in frühen Inszenierungen des Goethe-Dramas waren dunkelhaarige Grazien in schulterfreien Kleidern. Das ist eine der amüsanten Überraschungen der „FaustWelten“im Deutschen Theatermuseum, einer Ausstellung, die Bestandteil des großen Münchner Faust-Festivals ist.
Wilhelmine Berger, das kokette Gretchen der Braunschweiger Uraufführung von 1829, und die französischstämmige Constanze DahnLe Gaye, die ab 1833 am Münchner Hoftheater brilliert hat, waren keine brünetten Einzelfälle. Auch Mephisto fiel lange Zeit als Junker im schicken Wams mit Hutfeder und Degen ins Auge, ein Gentleman sozusagen, dessen dämonische Schlagseite erst spät in den Vordergrund trat. Dass er bis nach dem Zweiten Weltkrieg eine Lieblingsrolle der großen Mimen blieb, ist deshalb kaum verwunderlich. Dafür galt Doktor Faust noch im 19. Jahrhundert als Loser. Katharina Keim, die inhaltspralle wie unterhaltsame Schau gemeinsam mit Direktorin Claudia Blank kuratiert hat, bringt das ganz lapidar auf den Punkt.
Damals stand die Tragödie ums Gretchen im Fokus, da machte ein gewissenloser Liebhaber keine rühmliche Figur. Doch unabhängig davon, wer gerade wie im Kurs stand, ist die Rezeptionsgeschichte auf die drei Protagonisten fixiert, das zeigt auch die „Du bist Faust“-Ausstellung der nahen Kunsthalle. Dabei übersieht man gerne, dass das Stück wegen seines irrwitzigen Personalbedarfs im normalen Theaterbetrieb eigentlich unaufführbar war. Da werden nicht nur Chöre von Engeln, Weibern und Geistern gebraucht, sondern genauso Handwerksburschen, Soldaten, Unmengen von Bürgersleuten, Tänzern, Sternschnuppen und dann auch noch ein pechschwarzer Pudel. Von „Faust II“mit seinem Who’s who der griechischen Mythologie ganz zu schweigen.
Und wie bringt man erst die dauernd wechselnden Schauplätze auf die Bühne? Mal ist man im Himmel, mal in einer düsteren Studierstube, dann wieder auf freiem Feld, im Weinkeller, im Garten, im Kerker oder – absolut tricky – im Harzgebirge, wo Hexengeschwader durch die Luft zischen und ihre Orgien feiern. Allein die 28 Orte in „Faust I“ haben die Szenografen bis ins 20. Jahrhundert vor schier unlösbare Aufgaben gestellt. Ausgerechnet der Weimarer Theaterpraktiker Goethe kannte da kein Pardon.
Die Bühnenbildner haben sich allerdings von Beginn an mächtig ins Zeug gelegt. Das demonstrieren über 20 meist historischer Modelle, die teilweise so fabelhaft ausgeleuchtet sind, dass sie selbst in dieser Miniaturversion ganz großes Theater vorgaukeln. Spannend wird es vor allem mit dem Aufkommen der Drehbühne, die der Münchner Hoftheatermaschinist Carl Lautenschlager 1896 für Mozarts „Don Giovanni“erfand. In Wien und Berlin hat sie für die „Faust“-Kulissen von Heinrich Lefler (1906) und Alfred Roller (1909) völlig neue Möglichkeiten eröffnet.
Zwischendrin beeindruckt Johannes Schröders abstrahiert-expressionistische „Faust“-Stadt aus den 1920er Jahren, die mit ihren Treppen und gotischen Spitzbogenfenstern eine herrlich flexible Einheitsdekoration bildet (Hamburg, Bochum etc.). In München darf natürlich Jürgen Roses quietschgelber Kasten zur Dorn-Inszenierung von 1987 nicht fehlen. Und schließlich feiert die gute alte Drehbühne in Aleksandar Denics knalligen Zitatsammlungen zwischen Ölfässern und Reklametafeln die allerfröhdie lichsten Urständ’: für Martin Kuejs „Faust“2014 am Residenztheater und für Frank Castorfs Abschied 2017 von der Berliner Volksbühne.
Einen Mitschnitt dieses Fiebertraums vogelwild wuchernder Assoziationen würde man tatsächlich gerne auf der Leinwand verfolgen. Geht leider nicht. Dafür kann man die – oft unter schulischem Zwang zustande gekommenen – Erinnerungen an Gustaf Gründgens, Will Quadflieg mit seinen zu rot geratenen Lippen und die knarzige Elisabeth Flickenschildt (1960) auffrischen. Oder in Christoph Schroths Schweriner Regie von 1979 gleich sechs Faust-Darsteller und einen weiblichen Mephisto entdecken. Genauso ist Peter Steins 814-minütiger „Faust“-Marathon auf der Expo Hannover im Angebot.
Wer dafür kein Sitzfleisch hat, nimmt noch mal eine „Faust“-Dusche im Eingangsbereich. Dort strömen die 4612 Verse des Dramas in Leuchtschrift über die Besucher hinweg, Schwindel ist vorprogrammiert. Aber irgendwas bleibt meistens hängen. „Ein braves Weib sind Gold und Perlen wert“, flitzt eben vorbei. Mephisto ist halt auch nicht immer in teuflischer Top-Form.
Faust Welten. Goethes Drama auf der Bühne Bis 2. September, Di bis So von 10 bis 16 Uhr.