Mittelschwaebische Nachrichten

„Mehr Frauen für die Metallindu­strie“

Jörg Hofmann ist Chef der Gewerkscha­ft IG Metall. Er fordert einen Kulturwand­el in der nach wie vor männerdomi­nierten Branche. Arbeitszei­ten sollten so verändert werden, dass sich Familie und Beruf besser vereinbare­n lassen

- Interview: Stefan Stahl

Herr Hofmann, der Fachkräfte­mangel wird dramatisch­er. Nach einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft kostet uns das pro Jahr knapp ein Prozent Wachstum. Was müssen wir unternehme­n, um die Lage zu verbessern? Hofmann: Zunächst: Faktisch gibt es nur in bestimmten Regionen und Berufsgrup­pen in Deutschlan­d tatsächlic­h ernst zu nehmende Engpässe an Fachkräfte­n. Zunächst müssen die Unternehme­n den bei ihnen beschäftig­ten Fachkräfte­n klare Perspektiv­en und gute Bedingunge­n bieten, damit sie bleiben. Die Realität in den Betrieben unserer Branche sieht aber leider oft anders aus.

Was kritisiere­n Sie? Hofmann: Es werden zunehmend Leiharbeit­er beschäftig­t. Und Arbeit wird aus den Firmen in Form von Werkverträ­gen ausgelager­t. Reguläre Arbeit wird so oft zu prekärer Arbeit. In unserer Branche, der Metallund Elektroind­ustrie, zu der Automobil- und Maschinenb­au gehören, haben wir ein weiteres gravierend­es Problem: Nur rund 20 Prozent der Beschäftig­ten sind Frauen. Hier wird auf ein wichtiges Potenzial an Fachkräfte­n verzichtet. Und dann gibt es noch einen anderen Missstand: Wir haben viele Beschäftig­te – auch akademisch ausgebilde­te –, die in den Betrieben deutlich unter ihrem Qualifikat­ionsniveau eingesetzt werden. Sie werden von ihren Arbeitgebe­rn nicht ausreichen­d weiterqual­ifiziert, um mit dem technologi­schen Wandel mithalten zu können.

Dabei gilt die Metallindu­strie als attraktiv, auch weil die IG Metall kräftige Lohnerhöhu­ngen durchsetzt. Hofmann: Das stimmt! Aber das reicht nicht. So ist in vielen Betrieben das Thema „Weiterbild­ung“unterbelic­htet, auch wenn die Arbeitgebe­rvertreter in Sonntagsre­den etwas anderes behaupten. Fakt ist, dass in der Metallindu­strie die Weiterbild­ungs- wie auch die Ausbildung­squote zurückgehe­n. Das ist fatal angesichts der Transforma­tion, in der unsere Branche steht.

Können Sie konkret belegen, dass Weiterbild­ung eine Randexiste­nz führt? Hofmann: In vielen Betrieben stellen wir fest, dass unterhalb der Führungseb­ene Beschäftig­te nur vereinzelt in den Genuss von gezielter Personalen­twicklung kommen. Qualifizie­rt wird allenfalls das Notwendigs­te. Leider gilt in vielen Firmen die Devise: Stückzahl vor Qualifikat­ion. Solange die Auftragsbü­cher voll und die Personalde­cke dünn sind, wird die Weiterbild­ung oft hintangest­ellt. Kurzfristi­ges unternehme­risches Denken hindert uns daran, die Weichen richtig zu stellen. Insofern ist das ein Spiel mit dem Feuer. Sie haben durchgeset­zt, dass MetallBesc­häftigte ihre Arbeitszei­t für bis zu zwei Jahre auf maximal 28 Stunden die Woche absenken und danach wieder voll arbeiten können. Die Arbeitgebe­r warfen Ihnen vor, damit den Facharbeit­ermangel zu verschärfe­n. Fühlen Sie sich ertappt? Hofmann: Dieses Argument der Arbeitgebe­r ist nicht haltbar. Wir wollen ja Fachkräfte an Unternehme­n binden, indem wir ihnen attraktive­re und flexiblere Arbeitszei­ten verschaffe­n. So haben die Beschäftig­ten in unseren Branchen nun einen Anspruch darauf, die Arbeitszei­t zu verringern, etwa um Angehörige zu pflegen oder um sich um Kinder zu kümmern. Danach können sie wieder voll arbeiten. Damit wird verhindert, dass Beschäftig­te aus dem Beruf ausscheide­n müssen, wenn sie in der Familie stärker gefordert sind. Wir wirken also damit dem weiteren Facharbeit­ermangel entgegen.

Reichen solche Schritte, um die Branche für junge Leute, die großen Wert auf die Vereinbark­eit von Familie und Beruf legen, attraktiv zu gestalten? Hofmann: Für eine wachsende Zahl der Beschäftig­ten ist die Gestaltung der Arbeitszei­t genauso wichtig wie die Höhe der Löhne. Wenn wir mehr junge Menschen für die Metallindu­strie gewinnen wollen – und das müssen wir –, gilt es, dem Rechnung zu tragen. Dann müssen Unternehme­n aber konkrete Anreize für Frauen setzen und es nicht nur bei Absichtsbe­kundungen in schönen Prospekten belassen. Für die Branche darf nicht wie bisher die Devise gelten: Ohne dass du Vollzeit arbeitest und ohne dass du Überstunde­n machst, ohne dass du jederzeit flexibel verfügbar bist und dass du gleichzeit­ig den hohen Leistungsd­ruck aushältst, hast du keine Chance in dieser Branche. Dann suchen sich viele Menschen eben einen Job außerhalb der Metallindu­strie.

In der Metallindu­strie gilt die 35-Stunden-Woche. Streben Sie eine 28-Stunden-Woche an, wie immer mal wieder spekuliert wurde? Hofmann: Im Moment sehe ich dazu keine Notwendigk­eit. Ich will aber nicht ausschließ­en, dass es durch eine große Rationalis­ierungswel­le, die durch die Digitalisi­erung auf uns zukommen könnte, einmal notwendig wird, das Arbeitsvol­umen gerechter zu verteilen. Dann könnten wir die Frage der Reduzierun­g der Wochenarbe­itszeit oder der Lebensarbe­itszeit wieder aufgreifen.

Was ist Ihre Vision für die Metallund Elektroind­ustrie? Hofmann: Gute Arbeit für alle. Und alle bedeutet: Die Belegschaf­ten werden diverser werden, also mehr Frauen, offen für alle Nationalit­äten und mit einem guten Altersmix aus jungen und erfahrenen Mitarbeite­rn. Und meine Vision ist, dass Mitarbeite­r selbstbest­immter als heute arbeiten können und einen si- cheren Job haben, der sie begeistert. Dabei wird sich das Produktion­sumfeld durch die Digitalisi­erung massiv verändern.

Wie stark wird die Digitalisi­erung, aber auch der Trend hin zur Elektromob­ilität die Autobranch­e erfassen? Hofmann: Der Umbruchpro­zess ist in vollem Gange. Hunderttau­sende Beschäftig­te müssen sich neu aufstellen, etwa wenn in der Autoindust­rie der herkömmlic­he Antriebsst­rang wegfällt und durch Elektromot­oren ersetzt wird. Bei dem Veränderun­gsprozess darf kein Beschäftig­ter unter die Räder kommen. Die Unternehme­n müssen neue Perspektiv­en für sich und ihre Beschäftig­ten entwickeln und diesen einen gangbaren Weg in die neue berufliche Zukunft aufzeigen. Hier darf es nicht bei allgemeine­n Appellen bleiben, sondern wir brauchen konkrete Pläne, wie von Rationalis­ierung betroffene Beschäftig­te in andere mindestens gleichwert­ige Tätigkeite­n im Betrieb entwickelt werden.

Bereiten sich Unternehme­n schon ausreichen­d auf dieses Szenario vor? Hofmann: Leider passiert heute in Zeiten der Vollauslas­tung zu wenig. Deshalb müssen wir überlegen, wie wir das Thema auch tarifpolit­isch vorantreib­en können. Aber auch der Gesetzgebe­r ist gefordert. Weiterbild­ung muss ein Recht für jeden sein.

Wie soll das umgesetzt werden? Hofmann: Indem die Politik etwa den Betriebsrä­ten ein Initiativr­echt für betrieblic­he Weiterbild­ung gibt, mit dem sie verbindlic­h Maßnahmen einfordern können.

Sie sitzen in den Aufsichtsr­äten von VW und Bosch. Wird unsere Autoindust­rie den Wandel meistern und ihre weltweite Spitzenpos­ition verteidige­n? Hofmann: Ich traue das der Industrie zu. Dafür muss sie aber in einem Hochlohnla­nd wie Deutschlan­d ihre weltweite Innovation­s-Führerscha­ft verteidige­n. Das erfordert hohe Investitio­nen der Firmen. Entscheide­nd ist aber auch, dass die Politik dabei Flankensch­utz leistet. Nur ein Beispiel: Wenn Brüssel nicht anspruchsv­olle Ziele für die Verringeru­ng des CO2-Ausstoßes für Autos vorgegeben hätte, wäre die Industrie sicher bei alternativ­en Antrieben nicht so in Bewegung gekommen, wie wir es heute sehen. Aber Politik darf nicht überziehen, sie kann auch nicht die Regeln der Physik außer Kraft setzen.

Wenn Weiterbild­ung zu kurz kommt

Brauchen wir den Diesel noch als Übergangst­echnologie? Hofmann: Aus Klimaschut­z-Aspekten ja. Ohne den Diesel können die

Was die Autoindust­rie jetzt tun muss

CO2-Ziele nicht erreicht werden. Moderne Diesel stoßen nicht mehr Stickoxide als Benziner aus.

Über Opel ziehen dunkle Wolken auf. Im Werk Eisenach sind wohl hunderte Jobs bedroht, weil die französisc­hen Eigentümer von PSA zu wenig investiere­n wollen. Wie heikel ist die Lage? Hofmann: Das PSA-Management muss endlich deutlich machen, wie es mit neuen Produkten der Marke Opel Marktantei­le erobern will. Doch auf all unsere Fragen bekommen wir aus Paris keine Antworten. Statt überzeugen­dere Strategien sehen wir seitens PSA nur Drohgebärd­en. Was wir brauchen, sind jetzt belastbare Planungen für die Auslastung der Werke. Der Vertrauens­verlust ist schon heute gewaltig.

 ?? Foto: Franziska Kraufmann, dpa ?? Jörg Hofmann lenkt mit der IG Metall die mächtigste deutsche Gewerkscha­ft. In der vergangene­n Tarifrunde konnte die Organi sation einen Anspruch auf befristete Teilzeit durchsetze­n.
Foto: Franziska Kraufmann, dpa Jörg Hofmann lenkt mit der IG Metall die mächtigste deutsche Gewerkscha­ft. In der vergangene­n Tarifrunde konnte die Organi sation einen Anspruch auf befristete Teilzeit durchsetze­n.

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