Mittelschwaebische Nachrichten
Zerbröselt Kretschmanns Regierung?
Grüne und CDU provozieren sich gegenseitig. Die FDP träumt von einer „Deutschlandkoalition“
Stuttgart Hans-Ulrich Rülke wähnte sich seinem Ziel ganz nah. „Meine Mannschaft steht zwölf zu null“, funkte der FDP-Landtagsfraktionschef eilig an das Mobiltelefon seines SPD-Kollegen Andreas Stoch. Während die Regierungsfraktionen Grüne und CDU am vergangenen Mittwoch im Landtag Wege aus ihrer internen Krise suchten, hatte Rülke die 20-minütige Sitzungspause in seiner FDP-Fraktion für eine Probeabstimmung über eine „Deutschlandkoalition“(bestehend aus CDU, SPD und FDP) in BadenWürttemberg genutzt.
Unverhofft bietet sich dem Liberalen an jenem Tag die Chance, sein schwarz-rot-gelbes Wunschbündnis demonstrativ ins Gespräch zu bringen. Grund dafür bot ihm ein Zwist im Regierungslager: Da hatten die Grünen bei der Wahl einer neuen Landtagsvizepräsidentin die CDUFrau Sabine Kurtz im ersten Wahlgang durchfallen lassen. Erst nachdem Regierungschef Winfried Kretschmann (Grüne) seine Abgeordnetenmannschaft auf Linie gebracht hatte, reichte es für Kurtz – aber geschlossen stimmt GrünSchwarz auch da nicht ab. Die Misstöne bei der Kurtz-Wahl sind offenkundig ein Revanchefoul. Am Tag davor hatten nämlich Grüne und CDU die im Koalitionsvertrag vereinbarte Reform des Landtagswahlrechts beerdigt, nachdem sich die CDU-Abgeordneten geschlossen verweigert hatten. Die nun gescheiterte Einführung einer Parteiliste, um mehr Frauen ins Parlament zu bringen, war jedoch ein grünes Herzensanliegen gewesen. Kretschmann warnte nach dem Abgesang denn auch den Partner: „So was kann man sich nur einmal erlauben.“
Das Verhalten der Grünen bei der Wahl der Vizepräsidentin mahnte CDU-Fraktionschef Wolfgang Reinhart tags darauf fast mit den gleichen Worten ab: „Das darf sich auch nicht wiederholen.“Gerade im Parlament müsse die Mehrheit stehen, legte der Fraktionssprecher nach. In der öffentlichen Wahrnehmung steht es nach dem Verstoß der CDU gegen den Koalitionsvertrag und dem übereilten Revanchefoul der Grünen gegen Kurtz 1:1.
Damit könnte die Koalition zur Tagesordnung übergehen. Dass sie das nicht schafft, ist nur zum Teil das Verdienst Rülkes mit seinem Gerede über die „Deutschlandkoalition“. SPD-Mann Stoch verkneift sich die Probeabstimmung am Mittwoch lieber und begnügt sich mit verbalen Zündeleien: „Diese Regierung ist am Ende.“SPD-Landeschefin Leni Breymaier tut Schwarz-RotGelb als Schnapsidee ab. Dass die Sticheleien der Opposition trotzdem verfangen, hat mit dem Zustand der grünschwarzen Regierung zu tun. Nur wenige Stunden nach der Kurtz-Wahl bescheren die Grünen-Vertreter der CDU bei einer nachrangigen Abstimmung über die Oberstufen von Gemeinschaftsschulen eine Schlappe, weil sie sich enthalten. „Das war das dritte dicke Ding“, heißt es in der CDU.
Bei den Grünen wächst der Widerstand gegen Kretschmanns konservativen Schmusekurs. Es war vor allem der auf dem linken Flügel spielende Landesvorsitzende Oliver Hildenbrand, der Sabine Kurtz wegen ihrer echten oder vermeintlichen Position gegenüber Homosexuellen als nicht wählbar erklärt hatte. Dass er, weil ohne Mandat, gar nicht abstimmen durfte, hat die Schwarzen extra geärgert. Der Fraktionssprecher fordert Verlässlichkeit und Vertrauen: „Dazu gehört auch, dass die Parteiführung der Grünen ihre ständigen Attacken einstellt.“
Jedenfalls glühten am Freitag die Telefone zwischen Grünen und CDU, aber auch zwischen zwei CDU-Lagern. Nach stundenlangem Hin und Her einigten sich die Vorleute, ihre Koalition nicht erneut öffentlich zu belasten. Jedem ist klar, dass ein Partnerwechsel der CDU weg von den Grünen und ihrem auch im konservativen Lager angesehenen Ministerpräsidenten hin zu SPD und FDP keine realistische Perspektive ist. Denn ein solches Bündnis hätte im Landtag nur eine hauchdünne Mehrheit von zwei Stimmen. Zudem ist nur schwer vorstellbar, dass Parteitage von CDU und SPD einen Koalitionsvertrag durchwinken würden. Und bei Neuwahlen müssten beide Parteien mit Verlusten rechnen.
Die ungeklärten Machtverhältnisse in der CDU bilden den Nährboden der Koalitionsspekulationen. Als Urheber gilt eine Gruppe von Abgeordneten um Justizminister Guido Wolf, der gleich nach der Landtagswahl für eine Deutschlandkoalition votierte und sich damals bei SPD und FDP eine klare Absage einhandelte. Dazu kommt die Spekulation, dass Reinhart und eine kleine Truppe Strobl auf dem Weg zur Spitzenkandidatur bei der Landtagswahl 2021 stoppen wollen. Als CDU-Landeschef hat er aber bei dieser Frage das erste Wort. Viele Christdemokraten trauen Strobl jedoch keinen Erfolg gegen einen – wahrscheinlich – erneut kandidierenden Kretschmann zu. Ihr Kalkül: Mit einem Bruch der grünschwarzen Koalition wäre die Ära Kretschmann vorzeitig zu Ende.
Strobl hat gemerkt, dass er kämpfen muss, wenn er seine Position behaupten will. Allenfalls ein Viertel der 43 CDU-Abgeordneten würde einen Koalitionsbruch mittragen, heißt es aus seinem Lager. Noch klarer seien die Mehrheitsverhältnisse an der CDU-Basis. Für den wachsenden Flurschaden sei doch die Fraktion verantwortlich, die sich seit Jahresanfang nur noch mit sich selbst beschäftigen würde.