Mittelschwaebische Nachrichten
Wie Kinder zur Ruhe kommen und ihre Sinne schärfen
Kinder aus dem Evangelischen Haus der Kinder verbringen viel Zeit im Wald. Was unsere Reporterin im Waldkindergarten erlebte
Krumbach Es ist kurz vor 9 Uhr als ich an einem sonnigen Frühlingsmorgen das Evangelische Haus der Kinder in Krumbach betrete. Wenige Sekunden später wuselt es nur noch um mich herum. Die Kinder kommen aus ihren Gruppen heraus, ziehen sich routiniert ihre Matschhosen über, bepacken ihre Rucksäcke und hängen sich Becherlupe und sonstige Utensilien über. Rein ins feste Schuhwerk und los kann’s gehen in den Wald!
Da stehe ich nun in Jeanshose und Turnschuhen und lasse mir von ein paar erfahrenen „Waldkindern“erklären, was mich beim bevorstehenden Waldvormittag alles erwartet. Drei mal pro Woche verbringen bis zu 14 Kinder aus zwei Gruppen des Evangelischen Kindergartens ihren Kindergartenvormittag im städtischen Wald. Doch bevor es losgehen kann, müssen sich die Kinder noch richtig aufstellen: Da der Weg entlang viel befahrener Straßen liegt, immer ein älteres und ein jüngeres Kind zusammen: „Ich bin der Ältere, deshalb kriege ich eine Warnweste und laufe außen“, erklärt mir ein Junge stolz.
Dann geht es los. Ich bin gespannt, wie lange wir in dieser Horde wohl unterwegs sein werden, bin aber überrascht, wie zügig alles läuft. Und das, obwohl die genaue Route immer erst unterwegs besprochen wird. Helen Schumertl erklärt: „Die Kinder haben sich zwischenzeitlich ganz tolle Namen für die unterschiedlichen Straßen ausgedacht anhand der Beobachtungen, die sie gemacht haben.“Die Mehrheit möchte heute den Balancierweg gehen. „Aber den Mülltonnenweg zeigen wir dann auf dem Rückweg“, wird mir versprochen. Schöner als auf jedem Barren in der Turnhalle balanciert die Gruppe Kind für Kind auf dem Randstein entlang der Turnhalle des Gymnasiums. Die nächste Wegmarke ist der „Eichhörnchenweg“und nach gut 20 Minuten sind wir auch schon am Wald- rand angekommen. Dort wird der letzte Stopp eingelegt.
Erzieherin Helen und ihre beiden Kolleginnen müssen gar nicht viel sagen: Wie selbstverständlich wird der Bund der Matschhose über das Oberteil gezogen und die Socken über die Hose gezogen, sodass Zecken keine Chance haben. Und wieder entlarve ich mich als Wald-unerfahren: „Und was machst du jetzt?“, fragt mich einer der Jüngsten mit Blick auf meine Sneakersocken entgeistert. Die ziehe ich dann etwas unbeholfen so gut es geht über meine Jeans. „Und falls mal eine Zecke an uns krabbelt, dann holt man ein doppelseitiges Klebeband und tut sie weg“, bekomme ich erklärt.
Als wir den Bereich des Waldkindergartens erreichen, fällt mein Blick sofort auf den großen Bauwagen, der im Zentrum steht. Darum herum verschiedene „Spielecken“: Eine kleine Malecke, deren Sitze aus angemalten Baumstämmen bestehen oder eine Art „Kuschelecke“mit dem sogenannten „Buchensolaufen fa“. „Vieles wurde in Eltern-KindAktionen gebaut, vieles haben die Kinder aber auch alleine gestaltet, nachdem sie sich zuvor überlegt haben, was sie wo haben möchten“, erzählt Helen.
Der Vormittag oben startet wie immer mit einem Morgenkreis und einem Wetterlied. Heute wird die Sonne begrüßt, aber Helen weiß: „Es gibt doch nichts Schöneres, als ein Lied über den Regen zu singen, wenn es regnet!“Außer von Unwetterwarnungen lässt sich die Waldgruppe vom Wetter ohnehin nicht stoppen: „Wir sagen zu den Kindern nicht: „Das Wetter ist schlecht“, sondern „Heute regnet es“, erklärt sie weiter. „Unser Ziel ist es, das sie erkennen, dass man bei jedem Wetter rausgehen und etwas Tolles machen kann!“Bei Regen werde da schon öfter mal eine Pfütze ausgeschöpft und anschließend mit dem Wasser und Erde gemalt.
Als ich mich während der Freispielzeit mit Helen über diese Dinge unterhalte, fällt mir auf, wie ruhig es ist. Dank Praktikumserfahrung im Kindergarten weiß ich, wie hoch der Geräuschpegel sein kann. Aber hier im Wald: kaum Schreie, Streit und Tränen. „Diese Ruhe, das fällt uns auch immer wieder auf. Die Kinder haben hier einfach ein unglaublich großes und vielfältiges Ausbreitungsfeld und das gibt sehr viel Kreativität“, meint Helen. Immer wieder kommen Kinder zu uns, die uns ihre aus Naturmaterialien konstruierten Dinge und die gefundenen Schätze zeigen. Durch Lauschen kann man bei Rollen- und Fantasiespielen von Waldgeistern erfahren und außerdem herrscht immer noch etwas Enttäuschung, dass das groß gebaute Osternest leer geblieben ist. Und außerdem hat auch die Waldküche geöffnet. Von Kräutertee über Blätterbrei bekomme ich allerhand Leckereien angeboten.
Man merkt, die Kinder haben ein Gespür für die Natur, die Jahreszeiten und den damit verbundenen Wandel entwickelt: „Oft bauen sie etwas, dass dann nach einer gewissen Zeit verfällt oder verfault. Für die Kinder ist das unglaublich wichtig, so etwas zu erleben. Im Kindergarten ist ja größtenteils immer alles gleich“, sagt Helen. Im Bauwagen, auf den bei kalten Temperaturen ausgewichen werden kann, stehen Werkzeuge und Utensilien zur Naturerfahrung bereit: Becher, Kübel, Kindersägen, Mörser und mehr.
Trotzdem ist das Setting im Wald im Vergleich zum regulären Kindergartenalltag reizarm: „Die Kinder können hier zur Ruhe kommen und ganzheitlich ihre Sinne schärfen“, findet Helen Schumertl.
Nach etwa eineinhalb Stunden ertönt wieder der bekannte Indianerruf und alle Kinder finden sich im Kreis ein. Stolz präsentieren sie auf einer weißen Plane ihre Entdeckungen, die von Tiger-Schnecken über Federn bis hin zu verschiedenen Ästen reichen. Dann geht es in gewohnter Formation über den „Mülltonnenweg“zurück in den Kindergarten.