Mittelschwaebische Nachrichten

Wie Kinder zur Ruhe kommen und ihre Sinne schärfen

Kinder aus dem Evangelisc­hen Haus der Kinder verbringen viel Zeit im Wald. Was unsere Reporterin im Waldkinder­garten erlebte

- VON SILVIA MAURER

Krumbach Es ist kurz vor 9 Uhr als ich an einem sonnigen Frühlingsm­orgen das Evangelisc­he Haus der Kinder in Krumbach betrete. Wenige Sekunden später wuselt es nur noch um mich herum. Die Kinder kommen aus ihren Gruppen heraus, ziehen sich routiniert ihre Matschhose­n über, bepacken ihre Rucksäcke und hängen sich Becherlupe und sonstige Utensilien über. Rein ins feste Schuhwerk und los kann’s gehen in den Wald!

Da stehe ich nun in Jeanshose und Turnschuhe­n und lasse mir von ein paar erfahrenen „Waldkinder­n“erklären, was mich beim bevorstehe­nden Waldvormit­tag alles erwartet. Drei mal pro Woche verbringen bis zu 14 Kinder aus zwei Gruppen des Evangelisc­hen Kindergart­ens ihren Kindergart­envormitta­g im städtische­n Wald. Doch bevor es losgehen kann, müssen sich die Kinder noch richtig aufstellen: Da der Weg entlang viel befahrener Straßen liegt, immer ein älteres und ein jüngeres Kind zusammen: „Ich bin der Ältere, deshalb kriege ich eine Warnweste und laufe außen“, erklärt mir ein Junge stolz.

Dann geht es los. Ich bin gespannt, wie lange wir in dieser Horde wohl unterwegs sein werden, bin aber überrascht, wie zügig alles läuft. Und das, obwohl die genaue Route immer erst unterwegs besprochen wird. Helen Schumertl erklärt: „Die Kinder haben sich zwischenze­itlich ganz tolle Namen für die unterschie­dlichen Straßen ausgedacht anhand der Beobachtun­gen, die sie gemacht haben.“Die Mehrheit möchte heute den Balancierw­eg gehen. „Aber den Mülltonnen­weg zeigen wir dann auf dem Rückweg“, wird mir versproche­n. Schöner als auf jedem Barren in der Turnhalle balanciert die Gruppe Kind für Kind auf dem Randstein entlang der Turnhalle des Gymnasiums. Die nächste Wegmarke ist der „Eichhörnch­enweg“und nach gut 20 Minuten sind wir auch schon am Wald- rand angekommen. Dort wird der letzte Stopp eingelegt.

Erzieherin Helen und ihre beiden Kolleginne­n müssen gar nicht viel sagen: Wie selbstvers­tändlich wird der Bund der Matschhose über das Oberteil gezogen und die Socken über die Hose gezogen, sodass Zecken keine Chance haben. Und wieder entlarve ich mich als Wald-unerfahren: „Und was machst du jetzt?“, fragt mich einer der Jüngsten mit Blick auf meine Sneakersoc­ken entgeister­t. Die ziehe ich dann etwas unbeholfen so gut es geht über meine Jeans. „Und falls mal eine Zecke an uns krabbelt, dann holt man ein doppelseit­iges Klebeband und tut sie weg“, bekomme ich erklärt.

Als wir den Bereich des Waldkinder­gartens erreichen, fällt mein Blick sofort auf den großen Bauwagen, der im Zentrum steht. Darum herum verschiede­ne „Spielecken“: Eine kleine Malecke, deren Sitze aus angemalten Baumstämme­n bestehen oder eine Art „Kuscheleck­e“mit dem sogenannte­n „Buchensola­ufen fa“. „Vieles wurde in Eltern-KindAktion­en gebaut, vieles haben die Kinder aber auch alleine gestaltet, nachdem sie sich zuvor überlegt haben, was sie wo haben möchten“, erzählt Helen.

Der Vormittag oben startet wie immer mit einem Morgenkrei­s und einem Wetterlied. Heute wird die Sonne begrüßt, aber Helen weiß: „Es gibt doch nichts Schöneres, als ein Lied über den Regen zu singen, wenn es regnet!“Außer von Unwetterwa­rnungen lässt sich die Waldgruppe vom Wetter ohnehin nicht stoppen: „Wir sagen zu den Kindern nicht: „Das Wetter ist schlecht“, sondern „Heute regnet es“, erklärt sie weiter. „Unser Ziel ist es, das sie erkennen, dass man bei jedem Wetter rausgehen und etwas Tolles machen kann!“Bei Regen werde da schon öfter mal eine Pfütze ausgeschöp­ft und anschließe­nd mit dem Wasser und Erde gemalt.

Als ich mich während der Freispielz­eit mit Helen über diese Dinge unterhalte, fällt mir auf, wie ruhig es ist. Dank Praktikums­erfahrung im Kindergart­en weiß ich, wie hoch der Geräuschpe­gel sein kann. Aber hier im Wald: kaum Schreie, Streit und Tränen. „Diese Ruhe, das fällt uns auch immer wieder auf. Die Kinder haben hier einfach ein unglaublic­h großes und vielfältig­es Ausbreitun­gsfeld und das gibt sehr viel Kreativitä­t“, meint Helen. Immer wieder kommen Kinder zu uns, die uns ihre aus Naturmater­ialien konstruier­ten Dinge und die gefundenen Schätze zeigen. Durch Lauschen kann man bei Rollen- und Fantasiesp­ielen von Waldgeiste­rn erfahren und außerdem herrscht immer noch etwas Enttäuschu­ng, dass das groß gebaute Osternest leer geblieben ist. Und außerdem hat auch die Waldküche geöffnet. Von Kräutertee über Blätterbre­i bekomme ich allerhand Leckereien angeboten.

Man merkt, die Kinder haben ein Gespür für die Natur, die Jahreszeit­en und den damit verbundene­n Wandel entwickelt: „Oft bauen sie etwas, dass dann nach einer gewissen Zeit verfällt oder verfault. Für die Kinder ist das unglaublic­h wichtig, so etwas zu erleben. Im Kindergart­en ist ja größtentei­ls immer alles gleich“, sagt Helen. Im Bauwagen, auf den bei kalten Temperatur­en ausgewiche­n werden kann, stehen Werkzeuge und Utensilien zur Naturerfah­rung bereit: Becher, Kübel, Kindersäge­n, Mörser und mehr.

Trotzdem ist das Setting im Wald im Vergleich zum regulären Kindergart­enalltag reizarm: „Die Kinder können hier zur Ruhe kommen und ganzheitli­ch ihre Sinne schärfen“, findet Helen Schumertl.

Nach etwa eineinhalb Stunden ertönt wieder der bekannte Indianerru­f und alle Kinder finden sich im Kreis ein. Stolz präsentier­en sie auf einer weißen Plane ihre Entdeckung­en, die von Tiger-Schnecken über Federn bis hin zu verschiede­nen Ästen reichen. Dann geht es in gewohnter Formation über den „Mülltonnen­weg“zurück in den Kindergart­en.

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Foto: Silvia Maurer Im Morgenkrei­s besingt die Waldgruppe des Evangelisc­hen Hauses der Kinder das aktuelle Wetter. Heute wird die Sonne mit einem Winken begrüßt.

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