Mittelschwaebische Nachrichten
Was haben die Streiks bei Amazon bewirkt?
Seit fünf Jahren befindet sich die Gewerkschaft Verdi mit dem Konzern im Tarifstreit. Der Augsburger Thomas Gürlebeck spricht über Erfolge und die amerikanische Unternehmenskultur
Herr Gürlebeck, fünf Jahre ist es nun her, dass die Gewerkschaft Verdi dem amerikanischen Versandhandelsriesen Amazon den Kampf angesagt hat. Wie würden Sie die Unternehmenskultur beschreiben? Thomas Gürlebeck: Als autokratisch. Ein Individuum, also ein Beschäftigter, mit eigenen Gedanken zur Arbeitswelt zählt gar nichts.
Was sind die Unterschiede zu einem deutschen Unternehmen? Gürlebeck: Das Auffälligste ist der augenscheinlich freundliche Umgang miteinander – diese Duz-Kultur. Die fehlende Distanz vereinfacht die Führung. Knallharte Äußerungen kommen deutlicher beim Beschäftigten an. Ansonsten stehen die Arbeiter unter Stress, sind einem hohen Druck und einer starken Überwachung ausgesetzt.
Wie äußert sich Überwachung? Gürlebeck: Jeder Vorgang wird erfasst, auch unproduktive Zeiten wie der Gang zur Toilette. Dem geht Amazon sofort in Form eines Feedbackgesprächs nach. Vor fünf Jahren genauso wie heute. In einem deutschen Betrieb habe ich das in dem Tempo und der Häufigkeit nicht erlebt.
Wie geht Amazon mit Gewerkschaften um? Gürlebeck: Nach außen hin demokratisch. Amazon bleibt nichts anderes übrig, als uns zu akzeptieren. Innerbetrieblich möchte das Unternehmen alles mit Räten regeln, die aber der Friedenspflicht unterliegen und nicht streikfähig sind. Gewerkschaften, die Tarifverträge durchsetzen, gehen Amazon zu weit. Denn: In den USA wird die Gewerkschaft im Betrieb gegründet. Mit unserem Rechtssystem kommen die Amerikaner nicht klar.
Gibt es nach fünf Jahren Tarifstreit Grund zum Feiern? Gürlebeck: Ja. Bis 2013 gab es so gut wie keine Lohnerhöhungen, das ist jetzt anders. 2011 lag der Stundenlohn sogar noch bei unter zehn Euro. Mittlerweile liegen wir bei über 13 Euro, bis zu unserer Forderung fehlen nur noch 30 Cent. Außerdem erhalten Mitarbeiter ein „Urlaubsgeld Light“, eine Gratifikationszahlung von 400 Euro. Für umsatzstarke Wochen erhalten die Beschäftigten mehr Zuschläge. Die Gehaltsentwicklung ist exorbitant.
Gibt es Unterschiede zwischen dem ersten Streik in Graben im Dezember 2013 und dem letzten im April 2018? Gürlebeck: Am Anfang haben wir in verängstigte Gesichter geschaut. Mittlerweile sind unsere Mitglieder mutiger geworden. Das ist gar nicht so leicht bei diesem Arbeitgeber.
Warum? Gürlebeck: Weil Amazon erwartet, dass die Mitarbeiter sich im Kollektiv ergeben. Die Individualität zählt nicht. Gerade nach Streiks werden Feedbackgespräche geführt, Streikende werden dann zu unliebsamen Aufgaben verdonnert, wie zum Beispiel zwei Tage Regale putzen. Für die meisten ist es aber keine Strafe, weil sie sehen, dass Streik wirkt. Es wäre schlimmer, wenn nichts passieren würde.
Wie hoch ist die Streikbeteiligung nach fünf Jahren Arbeitskampf? Gürlebeck: 300 bis 400 Streikende. Ein guter Wert bei einer Kernbelegschaft von etwa 900 Mitarbeitern.
Was ist mit dem Rest? Gürlebeck: Darunter sind viele befristet Beschäftigte, die auch streiken könnten. Wir möchten das Risiko aber nicht eingehen, weil sonst das Arbeitsverhältnis einfach auslaufen könnte. Andere Arbeiter sind noch immer verängstigt und ein kleiner Teil ist zufrieden. Die meisten Beschäftigten wissen aber, dass der Tarifstreit alternativlos ist. Das jetzige Auskommen kann reichen, wenn man spart. Viel dramatischer ist die Rentenaussicht. Die Beschäftigten haben es verdient, existenzsichernde Tarifverträge zu haben. Thomas Gürlebeck ist Ge werkschaftssekretär für den Fachbereich Handel bei Verdi in Augsburg und gilt als Amazon Kritiker.