Mittelschwaebische Nachrichten
„Wir müssen mutiger werden“
Der Ex-Nationaltorhüter über die Zukunft der Nationalmannschaft und den Populismus einiger Experten
Nach dem Abpfiff gegen Südkorea habe ich sofort an die Fußball-Geschichtsbücher denken müssen. Das ist also die deutsche Mannschaft, die zum ersten Mal in einer WMVorrunde ausgeschieden ist und ein schwarzes Kapitel geschrieben hat. Eine riesige Enttäuschung, die erst einmal verarbeitet werden muss. Dazu gehört, dass man Abstand gewinnt und das Geschehen analysiert – und zwar in Ruhe. Ich hoffe, dass es keine überstürzten Personalentscheidungen gibt, erst recht nicht bei Jogi Löw. Er hat als Nationaltrainer bisher einen Riesenjob gemacht. Und er sollte sich die Zeit nehmen (und sie auch bekommen), um die vergangenen Wochen sorgfältig aufzuarbeiten. Ob er weitermachen will und darf, kann man danach entscheiden. Dass einige Spieler jetzt aus der Nationalelf zurücktreten werden, ist für mich ohnehin klar und nach großen Turnieren nicht außergewöhnlich.
Wichtig bei der Analyse ist, dass man ehrlich mit sich selbst umgeht. Ich habe direkt nach dem WM-Finale 1986, in dem wir durch meinen Fehler 0:1 in Rückstand geraten waren, in die Kameras gesagt: „Ich habe gehalten wie ein Arsch!“Und das meinte ich auch so. Ich hätte damals zu Recht darauf hinweisen können, dass wir noch genug Zeit gehabt hätten, das Spiel zu drehen. Oder dass wir beim Stand von 2:2 kurz vor Schluss niemals in einen Konter laufen dürfen, sodass wir noch verlieren. Aber man sollte als Spieler nie nach Ausreden oder nach Fehlern der Mitspieler suchen, sondern muss immer bei sich selbst anfangen. Das ist man auch den Millionen Fans unserer Nationalmannschaft schuldig. Fans, die sich mit diesen Spielern identifizieren wollen. Für mich war es nie „Die Mannschaft“, sondern „Unsere Mannschaft“– und wird es auch immer bleiben.
Letztlich gibt es aus meiner Erfahrung nur einen Weg, Misserfolge und Fehlschläge zu verarbeiten: Trainieren. Weitermachen, sich zeigen, spielen, spielen, spielen. Niederlagen gehören zum Sport. Ich hoffe, dass unsere Jungs in diesem Sinne sportlich mit der Blamage umgehen. Sportlich bleiben, das wünsche ich mir auch in der Berichterstattung. Einige Experten übertreiben für mich den Populismus. Wenn Mario Basler beispielsweise Mesut Özil die Körpersprache eines „toten Froschs“vorwirft, dann ist das für mich daneben. Sachliche Kritik müssen Profis aushalten. Mir gefällt allerdings nicht, dass Kritik oft komplett von den Ergebnissen abhängt. In den Monaten vor der WM hat man kaum ein sachlich-kritisches Wort über Taktik, Spielweise oder Mentalität des deutschen Teams gelesen. Jetzt wollen es plötzlich alle schon immer gewusst haben. Diese Schwarz-Weiß-Malerei gefällt mir nicht. War nicht nach dem glücklichen Sieg gegen Schweden wieder alles gut?
Das Ausscheiden – so sehr es schmerzt – wird unserem Fußball nicht nachhaltig schaden. Im Gegensatz zu meiner Generation sind wir heute mit überragend talentierten Fußballern gesegnet.
Wir hatten andere Tugenden, die wir in die Waagschale geworfen haben. Zum Beispiel den unbedingten Siegeswillen und die Bereitschaft, über seine Grenzen zu gehen. Das hat zuletzt gefehlt – und das sage nicht ich allein, sondern die Spieler haben es selbst eingeräumt. Wir haben uns zu sehr ausgeruht auf Ballbesitz-Statistiken. Ich wünsche mir, dass wir wieder mehr Spieler fördern und ausbilden, die etwas riskieren, die Dribblings wagen, unerwartete Dinge tun. Und wenn Jungs, die das können, ein wenig schwieriger sind, dann ist es die Aufgabe von Trainern, sie nicht schon in der Jugend auszusortieren und durch bequemere Charaktere zu ersetzen. Oder glaubt irgendeiner, dass Messi, Ronaldo oder Neymar bequeme Typen sind?
Ich glaube, es war die FDP, die im Wahlkampf einen Slogan benutzt hat, der mir gefallen hat – nicht aus parteipolitischen Gründen, sondern weil er eine Haltung beschreibt. Er hieß: „German Mut“. Wenn Sie mich fragen, was dem deutschen Fußball guttäte, um das Aus von 2018 zu überwinden, dann wäre das meine Antwort. Wir müssen wieder mutiger werden.
Toni Schumacher, 64, war deutscher Nationaltor hüter. Die Kölner Ver einslegende ist auch Vize präsident des Klubs.