Mittelschwaebische Nachrichten
„Wir bringen Glasfaser bis ins Haus“
Telekom-Chef Tim Höttges erklärt, wieso sein Unternehmen so lange mit dem Glasfaserausbau bis in die Haushalte wartet und wann sich das ändert. Gleichzeitig warnt er, dass Deutschland die Chancen der Digitalisierung nicht beherzt genug nutzt
Herr Höttges, wissen Sie denn, wie schnell Ihr Internet zu Hause ist? Timotheus Höttges: Ich habe zu Hause 100 Megabit pro Sekunde. Und ich kann Ihnen genau sagen, wie gut meine Mobilfunkverbindung dort ist, weil ich dies regelmäßig per Smartphone messe (hält Telefon in die Höhe). Aktuell sind es 95,8 Megabit, um Daten herunterzuladen …
Damit kommen Sie gut zurecht? Höttges: Damit kommen meine Frau, meine zwei Söhne und ich aktuell zurecht. Mit drei bis vier Megabit pro Sekunde kann man zum Beispiel einen Film streamen. Aber ich freue mich natürlich auf den weiteren Ausbau Richtung 250 Mbit pro Sekunde.
Viele sind anderer Meinung und sagen, der Netzausbau gehe viel zu langsam, vor allem, was Funklöcher und die Glasfasertechnik in die Haushalte betrifft, die Datenmengen von bis zu einem Gigabit ermöglicht … Höttges: Ich finde, die Versorgung in Deutschland ist wesentlich besser als ihr Ruf. Vor allem wird sie aktuell deutlich besser auch auf dem Land. Und im Mobilfunk zum Beispiel haben wir eines der besten Netze der Welt. Ich bin auf Reisen und mache überall Netz-Tests. Ich kenne auch Zahlen von Google und Facebook, die schauen, wo ihre Kunden welche Datenraten haben. Oder Messungen des Videoportals Netflix. Da steht unser Netz auch international gesehen gut da. Die Dienste laufen ruckelfrei, und darauf kommt es ja an.
Trotzdem hat das Netz noch immer Lücken … Höttges: Ja. Wir haben fünf bis acht Prozent nicht versorgter Gebiete vor allem im ländlichen Raum. Die Leute haben dort keine digitale Teilhabe und die Gleichheit der Lebensverhältnisse ist nicht gewährleistet. Das sorgt zu Recht für Unruhe. Hier haben die Netzbetreiber gesellschaftlich und unternehmerisch die Verantwortung, etwas zu tun. Wir sind aber auf dem richtigen Weg. Gerade in Bayern als Flächenland wollen wir 1000 neue Standorte bauen, um Funknetz-Lücken zu schließen. Ein Problem sind aber auch die Smartphones, die deutlich schlechtere Sende- und Empfangsleistungen haben, um Batterie zu sparen für die Displays.
Für 800 000 Haushalte verdoppelt die Telekom in Bayern die Internet-Geschwindigkeit. Warum setzen Sie aber noch auf die alten Kupferleitungen vom Verteilerkasten in die Haushalte statt gleich auf moderne Glasfaser? Höttges: Glasfaser bis in den Haushalt zu legen, ist aufwendig und braucht Zeit. Hätten wir den Fokus auf Glasfaser bis in die Häuser – das sogenannte FTTH – gelegt, wären heute bei gleichem Investitionsvolumen nur 20 Prozent der Haushalte versorgt. 80 Prozent hätten dagegen nur sehr geringe Bandbreiten. Wie Diskussion dann ausgesehen hätte, kann ich mir lebhaft vorstellen. Es war deshalb richtig, Glasfaser in den Straßen bis zu den grauen Kästen zu verlegen und die letzten Meter zum Haus zu ertüchtigen. Nächstes Jahr werden 95 Prozent aller Haushalte in Deutschland mit mehr als 50 Megabit versorgt sein. Die Glasfaser in den Haushalt kommt aber auch: Wir werden eine Fabrik aufbauen, die Glasfaser bis ans Haus bringt.
Eine Fabrik? Höttges: Ja, aber jetzt kein dampfendes Gebäude vorstellen, diese Fabrik ist dezentral. Wir meinen das im übertragenen Sinne, weil wir jährlich bis zu zwei Millionen Haushalte mit Glasfaser anbinden wollen. Wo schon Glasfaser liegt, setzen wir dabei auch auf Kooperation mit anderen Anbietern.
Damit dauert es trotzdem einige Jahre, bis alle Haushalte an das Glasfasernetz angebunden sind … Höttges: Wir haben bisher als einziger der großen Anbieter konkrete Zahlen vorgelegt. Von uns kann niemand erwarten, dass wir bei 40 Prozent Marktanteil 100 Prozent des Glasfasernetzes bauen. Welchen Beitrag leisten Vodafone oder 1&1, um den ländlichen Raum anzubinden und die digitale Spaltung zu überwinden? Die Telekom investiert über fünf Milliarden Euro pro Jahr, unsere großen Wettbewerber investieren zusammen nur einen Bruchteil. Worauf führen Sie das zurück? Höttges: Die Telekom ist gut 20 Jahre reguliert. Das heißt, wir müssen unsere Leitungen für andere Anbieter öffnen. Als früherer Monopolist war es richtig, die Telekom zu regulieren. Das Monopol aber ist vorbei. Trotzdem gilt die Regulierung weiter. Jede Infrastruktur, die wir aufbauen, kann von unseren Wettbewerbern zu festgesetzten Preisen sofort mitgenutzt werden. Das Problem dabei ist, dass die anderen Anbieter so gar keinen Anreiz haben, in ein eigenes Netz zu investieren – weil sie wissen, dass sie den Zugang zum Telekom-Netz günstiger bekommen. Kleine Unternehmen wie M-net nehme ich von der Kritik aus, mit diesen wollen wir Kooperationen eingehen. Vodafone hat übrigens ein reines Kupfernetz, das sie aufmotzen. Ich habe keine Angst vor Wettbewerb. Ich liebe Wettbewerb. Ich verlange keine Privilegien, ich will auch keine Mauscheleien. Ich will aber nach über 20 Jahren eine Regulierung, die mir die gleichen Wettbewerbschancen bei Preis, Infrastruktur und Service gibt wie meinen Wettbewerbern.
Wann können Sie dem Architekten auf dem Land eine Glasfaseranbindung versprechen? Höttges: Die gesamte Industrie hat versäumt, die Industriegebiete mit Glasfaser zu versorgen. Diesen Schuh ziehe ich mir an. Die Kritik trifft mich – und wir haben Verantwortung. Wir haben deshalb entschieden, 80 Prozent aller Industriedie gebiete mit Glasfaser anzuschließen – ohne Fördermittel. Wenn wir mit Glasfaser in Industriegebiete wollen, fragen wir aber die Unternehmen, ob sie die Technologie auch kaufen. Ich wünsche mir, dass Technologie nicht nur eingefordert, sondern auch genutzt wird. Das Technologieverständnis, was man mit diesen hohen Bandbreiten machen kann, ist bei vielen Mittelständlern noch nicht gegeben. Digitalisierung ist die Chance, einem Unternehmen Wachstum zu verschaffen. In den USA glauben 95 Prozent der Betriebe, dass künstliche Intelligenz eine Chance ist, in Asien sind es 98 Prozent. Und in Deutschland? 51 Prozent.
Denken Sie, dass die digitalen Träume Realität werden? Autonomes Fahren, Flugtaxis? Höttges: Dorothee Bär, unsere Staatsministerin für Digitalisierung, wurde stark dafür kritisiert, dass sie über diese Zukunftsvisionen geredet hat. Vollkommen zu Unrecht! Ich finde das großartig! Deutschland braucht eine Vision, welche Chancen wir durch die Digitalisierung haben. Nicht alle dieser Technologien werden so kommen, es wird aber exponentielle Sprünge in der Technik-Entwicklung geben. Ich glaube an selbstfahrende Autos, ich glaube noch mehr an selbstfliegende Drohnen unter 3000 Metern. Ich glaube zutiefst an künstliche Intelligenz und die Möglichkeiten von Blockchain. Die Prozessortechnologie wird sich exponentiell entwi- ckeln durch Nanotechnologie. All das wird kommen.
Welche Art von Vision stellen Sie sich vor? Höttges: Wir müssen eine Vision entwickeln, in welcher Gesellschaft wir im 22. Jahrhundert leben wollen und welche Technologieoffenheit wir haben wollen. Man darf Digitalisierung nicht auf das Funkloch im Bayerischen Wald verringern. Das ist Unsinn. Jedes Funkloch ärgert mich. Aber es kann nicht sein, dass wir keine Vision haben, was wir mit Digitalisierung machen können. Es geht um unseren wirtschaftlichen Wohlstand.
Viele sehen die großen Digitalkonzerne mit Sorge, denken wir an Facebook und den Datenskandal. Was halten Sie von der Forderung, Konzerne wie Facebook zu zerschlagen? Höttges: Die größten sechs Unternehmen der Welt sind Internetplattformen aus Nordamerika, vor allem aus dem Silicon Valley. Unternehmen mit einer Marktkapitalisierung von 800 Milliarden Euro – demnächst einer Billion – machen mir insofern Sorgen, weil sie in der Lage sind, in jedes neue Geschäftsmodell durch Zukäufe einzusteigen. Und durch die Daten, die sie haben, und das damit verbundene Wissen verfügen sie über enorme Macht. Erst werden sie groß – dann sagen sie, wie die Gesetze zu sein haben. Die Europäische Datenschutzgrundverordnung ist deshalb eine ganz große europäische Errungenschaft. Sie stellt den Schutz der Daten jedes Einzelnen sicher.
Zeit also, stärker in das Geschäft der Digital-Riesen einzugreifen? Höttges: Statt Unternehmen zu zerschlagen, sollten wir uns fragen, warum wir den Aufstieg nicht geschafft haben. Wir müssen in Europa Daten schützen, aber auch Daten nutzen und die nicht nur nach Übersee exportieren an Google und Co. Wir müssen in der Grundlagenentwicklung nachlegen. Und wir müssen das Thema Besteuerung überdenken: Die US-Konzerne machen hier enorme Gewinne mit unseren Daten. Da müssen wir Veränderungen anstreben. Missbrauchen Konzerne Daten, muss es auch Strafen geben.
Ein anderes Thema: In der Sparte T-Systems fallen weltweit rund 10 000 Stellen weg. Ist das ein Auftakt für weitere Einschnitte? Höttges: Betroffen ist hier die Großkundensparte. Das Geschäft bei T-Systems litt lange unter Auftragsrückgängen. Viele unserer Wettbewerber arbeiten in großem Umfang aus Indien und können daher deutlich preiswerter anbieten. Diesen Mix brauchen wir auch. Nach vier Jahren wiederholter Versuche des Umsteuerns haben wir mit Adel AlSaleh einen neuen CEO an Bord geholt und uns zu einem umfassenden Umbau entschlossen. Wir machen das sozialverträglich und bieten unseren Mitarbeitern andere Perspektiven außerhalb und im Unternehmen, weil wir bei der Telekom gute IT-Experten brauchen. Wir haben zum Beispiel auch 1200 offene Stellen! Ich will eine Telekom, die in all ihren Geschäften wächst. Und wir wachsen in 95 Prozent der Geschäfte, sind der größte Telekommunikationsanbieter in Europa und können dies auch in den USA werden, wenn der Zusammenschluss mit Sprint genehmigt wird. In einer Sparte ist
„Wir sind auf dem richtigen Weg.“
„Selbstfahrende Autos werden kommen.“
uns das nicht gelungen. Wir konnten nicht hinnehmen, dass T-Systems zur Belastung für die anderen Sparten wird.
Viele haben T-Aktien gekauft und keine guten Erfahrungen gemacht. Warum sollte man noch T-Aktien kaufen? Höttges: Wir investieren wie kein anderes Unternehmen in die Infrastruktur. Wir sind nah am Kunden dran und sind zu 80 Prozent in Ländern mit stabiler Wirtschaft und somit hervorragendem Rating tätig. Wir sind ein deutsches Unternehmen mit europäischen Werten. Deshalb ist es gut, einen Champion vor der Haustüre zu haben. ● Timotheus Höttges, Jahrgang 1962, ist seit Januar 2014 Chef der Deutschen Telekom AG. Er stu dierte in Köln Betriebswirtschaft. Vor dem Wechsel zur Telekom trieb er die Fusion von Viag und Veba zu Eon voran. Er lebt nahe Bonn.