Mittelschwaebische Nachrichten
Wagner vor Gericht
Weiter verbesserte „Meistersinger“
Bayreuth Ohne Zweifel sind nun „Die Meistersinger von Nürnberg“jene Produktion der Bayreuther Festspiele, die hinsichtlich Spielfreude, szenischer Phantasie, gedanklicher Reflektion einschließlich Doppelbödigkeit größte Ambition auszeichnet. Hier werden Werk, Urheber, Entstehungsgeschichte und Nachwirkungen in ein reiches Beziehungsgeflecht gesetzt: von einer privaten Probe der Oper in Wagners Villa Wahnfried bis hin zur Vereinnahmung des Stücks durch die Nazis und der Frage: Bereitete Wagner dafür den Boden unwissentlich selbst? In Bayreuth wird jetzt zum Finale der „Meistersinger“gleichsam doppelt zu Gericht gesessen im Saal der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse: einerseits über die künstlerische Kraft der zwei Preislieder von Beckmesser und Stolzing, andererseits über den Wagner in der Figur Hans Sachs, die die deutsche Kunst und ihre Meister gegen alles „Welsche“verteidigt. Er erklärt sich wortreich, dirigiert seine Musik weiter – und zu Ende.
Das ist es ja auch, was diese „Meistersinger“so überbordend anzüglich macht: die Parallelschaltung von Wagner/Sachs, Wagner/ Stolzing, dazu Cosima/Evchen, Liszt/Pogner und vor allem die Verschmelzung des von Wagner hassgeliebten jüdischen Dirigenten Hermann Levi mit dem unglückseligen Beckmesser, der im zweiten Aufzug dieser Inszenierung als Störenfried hinter einem Wagner-Porträt zusammengeschlagen wird, bevor er eine Juden-Fratze in „Stürmer“Manier übergestülpt bekommt.
Dieser zweite Aufzug wurde nun – nach guter Bayreuther WerkstattTradition – in seinem ersten Teil von Regisseur Barrie Kosky neu inszeniert. Weg fällt die Wiese mit Picknick, stattdessen sehen wir – weitaus weniger beliebig – das Mobiliar aus Wagners Villa als eventuell wiederverwertbaren Gerümpelhaufen in Sachsens Schusterwerkstatt – wodurch sich sinnvolle Anbindung an den ersten Aufzug ergibt. Und der Schluss gerät nun etwas weniger plakativ-holzhammerhaft mit der bühnenportalhoch aufgeblasenen Juden-Karikatur. Ein Gewinn.
Auch in der Wiederaufnahme triumphiert wieder Michael Volle als Hans Sachs; es ist die Rolle seines Lebens und seiner Stimme ebenso wie der Beckmesser des Johannes Martin Kränzle, dem spektakulär gelingt, Unsicherheit und Verschrobenheit in ungelenke Körpermotorik, wunderlichen Singe-Ernst umzusetzen. Bleiben noch hervorzuheben: Klaus Florian Vogts Stolzing, Daniel Behles David, Günther Groissböcks Pogner und natürlich Philippe Jordan am Pult, der die Partitur vitalisierte zu einer hinreißenden Spieloper. Jubel, aber noch immer Widerstand gegen Kosky.