Mittelschwaebische Nachrichten
Ein Wohlfühlort im „Dreiländereck“
Im Ziemetshauser Ortsteil Lauterbach entwickeln 78 Einwohner einen ganz besonderen Gemeinschaftsgeist. In der Ortsgeschichte spielen ein Strohdach und eine Ölbohrung eine ungewöhnliche Rolle
Lauterbach „Die Ziemetshauser tun uns nichts und wir tun ihnen auch nichts.“Mit diesem Satz trifft ein „Ur-Lauterbacher“den Punkt zum Verhältnis zwischen dem Verwaltungssitz Ziemetshausen und dem kleinen Ortsteil Lauterbach. Politisch gehört die bis 1974 zusammen mit dem benachbarten Hellersberg selbstständige Gemeinde heute zu Ziemetshausen, kirchlich zu Memmenhausen, in den Kindergarten geht der Nachwuchs nach Aichen, die Größeren in die Grundschule nach Balzhausen, die weiterführenden Schulen werden in Thannhausen besucht und wer die Kreisbehörde in Günzburg beansprucht, benötigt hin und zurück zumindest einen halben Tag. Trotzdem fühlen sich die 78 Lauterbacher im Dreiländereck der Landkreise Günzburg, Augsburg und Unterallgäu wohl und sind stolz darauf, in einem der schönsten Teile des Naherholungsgebiets „Stauden“leben zu dürfen.
Es hat schon was für sich, von dem auf dem höchsten Punkt stehenden Kirchlein einen Blick über das Zusamtal bis nach Burg zu tun oder einen Spaziergang im idyllischen Lauterbachtälchen zu machen, der unweigerlich in den ausgedehnten Wäldern des Naturparks Augsburg endet.
Landkarte, noch besser ein GPSGerät, sollte in dieser Region bei Wanderungen unbedingt im Handgepäck sein und auch eine Brotzeit samt Getränk, denn in den naheliegenden Orten Habertsweiler, Gumpenweiler und Aichen sind die Einkehrmöglichkeiten bescheiden. Da hat es Lauterbach besser. Josef Leitenmaier betreibt seit vielen Jahren eine Schankwirtschaft, was besonders die einheimische Schafkopfrunde und die Besucher diverser Ortsfeiern zu schätzen wissen. Der Junggeselle: „Wer zu mir kommt, kriegt was – wenn ich zuhause bin.“Und er war da, zur gemütlichen „Bürgerversammlung“aus Anlass dieser Sonderseite.
Rund zwei Dutzend Lauterbacher waren gekommen und freuten sich über das Interesse der Heimatzeitung. Die Mundpropaganda von Ortssprecher Stefan Langhans funktionierte bestens, denn binnen weniger Tage wusste das ganze Dorf, was ansteht. Das Interesse war groß und die Diskussionsbereitschaft enorm. Deutlich wurde dabei, die Dorfgemeinschaft funktioniert, auch wenn sich die Vereinstätigkeit auf die Feuerwehr, die Jagdgenossenschaft mit den Schellenbachern und die Mitglieder des Rechtlerwalds beschränkt.
Eine Handspritze aus dem Jahr 1872
Beim Einsatz wird die Löschpumpe mit dem Traktor zum Brandort gefahren, was als ausreichend gilt, denn „tagsüber sind von den zusammen mit Hellersberg 24 Aktiven nur zwei oder drei im Dorf“, gibt der Gerätehausbetreuer Theodor Zech zu erkennen. Stolz sind die Lauterbacher auf ihre aus dem Jahr 1872 stammende Handspritze, die aus der Krumbacher Werkstatt Müller & Hilber stammt und dank liebevoller Pflege noch immer einsatzbereit wäre.
Mittelpunkt der Gemeinde ist die den beiden Aposteln Johannes und geweihte Kapelle, die mit großem Einsatz und vielen freiwilligen Arbeitsstunden in den letzten Jahren nach der Innen- und Außenrenovierung zu einem echten Schmuckstück wurde. Ihr Ursprung geht bis in die Zeit um 1700 zurück, erfuhr 60 Jahre später praktisch einen Neubau und erhielt 1822 ihr heutiges Aussehen.
Nach altem Recht ist der Ortspfarrer verpflichtet, jedes Jahr fünf Hl. Messen zu lesen und zwar zur Kreuzauffindung, beim ersten Bittgang, zum Patrozinium, dem Namenstag der Bistumsheiligen Afra und zur Kreuzerhöhung. Mesner gibt es keinen. Ziemlich einmalig dürfte sein, dass der Schlüssel jede Woche zu einer anderen Familie „wandert“, die dann in den nächsten sieben Tagen für die Kapelle verantwortlich ist.
Ortssprecher Langhans: „Da kommt es schon mal vor, dass die eine mehrmals aktiv ist und die andere den Schlüssel lediglich weiterreichen muss.“Auch für den Blumenschmuck kümmere sich irgendjemand und gleiches gelte für die Reinigung. „Da finden sich immer Frauen, die das gerne übernehmen“, weiß Langhans aus der Praxis. Beim auf der Empore stehenden Harmonium gibt es eine Ausnahme: Die musikalische Gestaltung der kirchlichen Feiern liegt seit Jahren in den Händen von Birgit Langhans und das wird auch so bleiben, wie sie bereitwillig sagt. Modernste Technik sorgt dagegen für das Läuten der beiden Glocken, die jeweils am Morgen, zu Mittag und am Abend erklingen.
Beim Blick zurück in die Geschichte von Lauterbach ergreift der mit 90 Jahren Dorfälteste Ernst Lieb das Wort. Ihm geht es weniger um das Mittelalter, denn der Weiler war fast immer im Besitz der Herrschaft Seyfriedsberg. Das zeigt sich noch heute an den ausgedehnten fürstlichen Waldungen im Flurbereich, auch wenn sich diese inzwischen in privater Hand befinden. Lieber erzählt er von Vorkommnissen aus den Jahren am Ende des Zweiten Weltkriegs, die er selbst erlebte und erinnert sich: „Mit der Staudenbahn fuhren viele Städter aus Augsburg nach Gumpenweiler, kamen zu Fuß nach Lauterbach und tauschten Wertgegenstände gegen Lebensmittel.“Wie mehrere ältere Lauterbacher bestätigen, erreichte der „Schwarzhandel“in den Nachkriegsjahren beträchtliche Ausmaße, wenngleich davon beide Teile profitierten.
Die Jahre danach brachten auch für Lauterbach manche Veränderung. Das vorher rein landwirtschaftlich orientierte Dorf besitzt heute lediglich noch drei MilchviehPaulus bauern. Ähnlich war es beim Handwerk. Gab es in den 50er-Jahren noch Schreiner, Schuster, Bäcker, zwei Näherinnen und sogar eine Knochenmühle, so beschränkt sich das Gewerbe heute auf eine Landmaschinenreparatur, einen Gartengestalter und eine Friseurin.
Dabei hatte Lauterbach in den Jahren 1984/85 durchaus das Zeug, als „Klein-Dallas“berühmt zu werden. In 1730 Meter Tiefe wurde damals nordöstlich des Weilers hochwertiges Öl gefunden. Zum Abbau reichte die Menge aber doch nicht. Die Experten beließen aber die Metallrohre im Bohrkanal. Bei Bedarf könnte dieser also durchaus aktiviert werden. Theodor Zech würde den von ihm aufbewahrten 120 Kilogramm schweren Bohrkopf sicher zur Verfügung stellen.
Bis ins Jahr 1975 besaß der Weiler eine weitere Besonderheit: Das letzte Haus mit Strohdach im Landkreis Günzburg. Es handelte sich um eine zweigeschossige Sölde, die zwar bewohnt war, sich aber in renovierungsbedürftigem Zustand befand. Sie stürzte unerwartet ein und so gilt bei den Lauterbachern ein Erdbeben als Ursache, das wenige Tage vorher im italienischen Friaul sein Zentrum hatte und auch im Dorf zu spüren gewesen sei.
Was ist noch los in Lauterbach? Die Infrastruktur passt: Die Flurbereinigung ist seit 1964 abgeschlossen, das Straßen- und Feldwegenetz in Ordnung und die Trinkwasserversorgung mit dem Anschluss an die Staudengruppe gesichert. Mit dem Manko Abwasserklärung, wofür jeder Hausbesitzer mittels eigener Anlage selbst zu sorgen hat, können die Lauterbacher gut leben. Das zeigt sich an den Neubauten, die in jüngerer Zeit verstärkt von Ortsfremden errichtet wurden. Was sich aber die Mehrheit der Alteingesessenen wünscht?
Die Neu-Lauterbacher sollten sich noch mehr in die Dorfgemeinschaft einbringen und sie denken an den Dorfratsch beim Wirt oder das abendliche Gespräch mit dem Nachbarn auf dessen Ruhebank neben der Haustür.