Mittelschwaebische Nachrichten
Betablocker für eine ruhige Hand
Der Engländer Graham Short fertigt nur unter dem Mikroskop sichtbare Gravuren an. Für diese Leidenschaft setzt der 72-Jährige sogar seine Gesundheit aufs Spiel
Birmingham Graham Short ist besessen von seiner Arbeit. Um sie besser als jeder andere zu tun, ist ihm keine Anstrengung zu groß. Und er setzt sogar seine Gesundheit dafür aufs Spiel. Short ist Graveur und rühmt sich, die winzigsten Gravuren der Welt zu schaffen. So ritzte der exzentrische Brite beispielsweise den Satz „Nichts ist unmöglich“auf die Schneide einer Rasierklinge – sichtbar nur unter dem Mikroskop. Für diese unfassbar ruhige Hand ist er bereit, starke Medikamente einzunehmen und sich beim Ausdauersport zu schinden.
„Je kleiner es werden soll, desto ruhiger muss ich sein. Ich muss absolut regungslos sein“, sagt der 72-Jährige. Erst versuchte er, sich mit Meditation und Atemtechniken zu beruhigen. Dann wechselte er zu Ausdauertraining und Betablockern. Heute schwimmt Short täglich 10000 Meter.
„Wenn ich arbeite, esse ich Betablocker wie Süßigkeiten und kann meine Herzfrequenz auf 20 Schläge pro Minute drosseln“, sagt Short. „Dann graviere ich, wenn ich absolut ruhig bin, zwischen zwei Herzschlägen.“Damit die Augenlider nicht zucken, spritzt er sich alle drei Monate das straffende Nervengift Botox. „Ich weiß, das ist ein bisschen extrem, aber ich bin besessen davon“, sagt der Brite. „Ich denke, niemand sonst würde so weit gehen.“Ihn motiviert es, etwas Einzigartiges zu schaffen. „Das ist es, was mich antreibt.“
Short hat sich seinen Arbeitsplatz in seiner Wohnung in einem Vorort von Birmingham eingerichtet. Dort sitzt er gewöhnlich von Mitternacht bis zum Morgengrauen. Tagsüber machen die Erschütterungen durch den Verkehr seine Arbeit unmöglich. Manchmal arbeitet Short monatelang an einem Stück. Diese Arbeit hat ihren Preis. Die gravierte Rasierklinge kaufte eine Galerie in Nordengland für 50 000 Pfund (etwa 55 000 Euro). Für einen schottischen Landwirt ritzte Short das Konterfei von Königin Elizabeth II. in ein winziges Stückchen Gold, das im Öhr einer Nähnadel steckt. Kostenpunkt: 100000 Pfund.
Mit 15 Jahren verließ Short die Schule ohne Abschluss, bekam aber dennoch eine Lehrstelle in einer Gravurwerkstatt. Später gründete er seine eigene Firma. Zu seinen Kunden gehörten das britische Königshaus und das Traditionskaufhaus Harrods. In seiner Freizeit begann Short, sich mit Miniatur-Gravuren zu beschäftigen. Zuerst nahm er eine Lupe zu Hilfe, dann das Mikroskop. Sein erstes Projekt: das Vaterunser in den Kopf eines zwei Millimeter dicken, goldenen Nagels zu ritzen. „Als ich das geschafft hatte, konnte ich nicht aufhören, es anzuschauen“, erinnert er sich.
Als das traditionelle Gravur-Geschäft zunehmend digitalisiert wurde, widmete sich Short bald ausschließlich den Miniaturen. Etwa 50 Mini-Kunstwerke schuf er in den vergangenen 15 Jahren. Im ganzen Land bekannt wurde Short, als er 2016 winzige Porträts der Autorin Jane Austen auf vier Fünf-PfundScheine gravierte und die Banknoten an verschiedenen Orten in Umlauf brachte. Eine davon wurde später von einem der Finder für 6000 Pfund versteigert.
„Ehrlich gesagt, konnte ich das große Interesse gar nicht verstehen“, sagt Short. Aber da die Aktion so gut ankam, wiederholte er sie dieses Jahr und versah sechs FünfPfund-Scheine mit dem Konterfei des englischen Fußballstars Harry Kane.