Mittelschwaebische Nachrichten
Wie Kinder richtig Lesen lernen
Jeder fünfte Viertklässler hat Probleme mit dem Textverständnis. Eine Methode ist in der Schule besonders ineffizient
Bonn/Dortmund „Ich binn ietzt ain Schulkind“: So oder so ähnlich liest es sich, wenn ein Erstklässler nach der Methode „Lesen durch Schreiben“lernt. Kinder schreiben dabei, wie sie Wörter hören, und sollen so den ersten Zugang zur Schriftsprache finden. In vielen Bundesländern lange als Königsweg gepriesen, schneidet die Methode in einer neuen Studie weit schlechter ab als der klassische Weg des Lesenlernens mit einer Fibel.
Die Ergebnisse der Analyse, für die Bonner Forscher die Lernerfolge von gut 3000 Grundschulkindern in Nordrhein-Westfalen analysierten, wurden am Montag bei einer Tagung der Gesellschaft für Psychologie in Frankfurt vorgestellt. Bei der Fibelmethode werden Buchstaben und Wörter schrittweise und nach festen Vorgaben eingeführt. Danach lernende Kinder hatten mit Abstand die besten Rechtschreibkenntnisse, wie Una Röhr-Sendlmeier vom Institut für Entwicklungspsychologie berichtete. Das Psychologenteam hatte über mehrere Jahre hinweg die Rechtschreibkenntnisse der Kinder verglichen, die nach verschiedenen Methoden Lesen und Schreiben lernten. Schüler, die mit „Lesen durch Schreiben“unterrichtet wurden, machten am Ende der vierten Klasse im Schnitt 55 Prozent mehr Rechtschreibfehler als Fibelkinder. Auch Schüler, deren Muttersprache nicht Deutsch war, profitierten vom „Fibel“-Ansatz.
Blick zurück: Das lange gängige Fibel-Lernen war mancherorts vor allem vom „Lesen durch Schreiben“nahezu verdängt worden, bis sich daran immer mehr Kritik entzündete, wie Bildungsforscherin Nele McElvany von der Universität Dortmund erläuterte. „Tatsächlich ist problematisch, dass es praktisch keine empirischen Studien gibt, was die Wirksamkeit dieser Methode angeht.“Die Idee: Schüler sollen möglichst viel frei schreiben und das Lesen darüber mitlernen. Korrekturen falsch geschriebener Wörter sind unerwünscht, weil das die Kinder demotiviere. Dabei könne man Schüler sehr wohl Regeln und Prinzipien einüben lassen und sie zugleich mit positivem Feedback ermutigen. Ein fest vorgegebener Ablauf vom Einfachen zum Komplexen habe sich als klar überlegen erwiesen, so der beteiligte Wissenschaftler Tobias Kuhl. Der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger, fordert ein Ende der umstrittenen Alternativmethode. „Es geht jetzt darum, möglichst schnell weiteren Schaden von unseren Grundschulkindern abzuwenden“, sagte Meidinge der Funke-Mediengruppe.
Der Grundschul-Lese-Untersuchung (IGLU) von Ende 2017 zufolge kann jeder fünfte Zehnjährige in Deutschland nicht so lesen, dass er Texte auch versteht. Und der bei Viertklässlern erhobene IQB-Bildungstrend 2016 ergab, dass nur 55 Prozent orthografische Regelstandards erreichen oder übertreffen. Bayern steht etwas besser da: Hier hat nur etwa jedes zehnte Kind Probleme mit dem Lesen. Im Freistaat wird nicht nach der Methode „Lesen durch Schreiben“unterrichtet. Am Donnerstag stellt Kultusminister Bernd Sibler (CSU) ein Konzept vor, das die Leseförderung noch stärker im Grundschul-Unterricht verankern soll.