Mittelschwaebische Nachrichten
Ein Fernseh-Mann packt aus
Enthüllungsbuch Kai Tilgen arbeitete für Sendungen wie „DSDS“oder „The Biggest Loser“. Er beschreibt, wie fies es hinter den Kulissen zugeht und wie er einen Kandidaten lächerlich machte
„Wie ich mir meinen Platz in der Fernsehhölle verdient habe“– das ist mal ein Buchtitel! Und er verspricht nicht zu viel. Der Autor, Kai Tilgen, 1961 in Essen geboren, hat eine Karriere gemacht, wie sie wohl nur beim Fernsehen möglich ist: angefangen als Kabelhilfe, nach neun Jahren Regisseur, seit 1994 bei allen möglichen TV-Formaten, die angeblich authentisch sind, mit der Realität aber nichts zu tun haben. Als da wären: „Deutschland sucht den Superstar“(DSDS) oder „The Biggest Loser“.
Das „unterhaltende Sachbuch“, wie Tilgen sein Werk beschreibt, ist aufschlussreiche Lektüre für mehrere Zielgruppen. Den treuen Fans dieser Sendereihen bietet es desillusionierende Blicke hinter die Kulissen; Zuschauern, die von solchen Formaten nichts halten, aber trotzdem immer wieder mal reinschauen, erfahren, warum das deutsche (Privat-)Fernsehen so ist, wie es ist. Tilgen hat das zum Zyniker werden lassen. Er macht keinen Hehl daraus. Wenn er sich etwa über jene Laiendarsteller, die sich für „Verdachtsfälle, Betrugsfälle oder Durchfälle“zur Verfügung stellen, auslässt, spricht Verachtung aus seinen Zeilen. Hochachtung empfindet er nur für Kolleginnen und Kollegen, die versuchen, aus dem Mist, mit dem sie tagtäglich konfrontiert würden, das Beste zu machen.
Wie im Falle einer Kamerafrau: Diese konnte verhindern, dass ein kleines Kind für ein Reality-Format im Bobbycar einen steilen Abhang hinunterfahren sollte. Schonungslos, aber ohne Reue, schildert Tilgen auch, wie er „DSDS“-Kandidaten manipulierte. Eine seiner größten Gemeinheiten war das, was manchem als „Pissfleck“-Affäre in Erinnerung sein dürfte. Damals, 2010, wurde ein Kandidat der Show, der einen Fleck auf der Hose hatte, der Lächerlichkeit preisgegeben. Tilgens Idee war es, einen pinkelnden Engel in Gestalt von Juror Dieter Bohlen in einen TV-Ausschnitt mit dem Kandidaten zu montieren. Er weiß, dass er ihm damit seine Würde nahm – aber auch, dass er für die Show „das Beste“herausholte: Aufmerksamkeit. RTL musste später eine Strafe zahlen.
Solche Bekenntnisse eines „Fernsehfuzzis“– wie Tilgen sich nennt – sind es, die sein Buch zum Enthüllungswerk machen. Wenngleich er meist darauf verzichtet, Namen zu nennen. Erstaunlich, dass ihm seine Arbeit trotz allem noch Spaß bereitet. Sich selbst nimmt Tilgen jedenfalls bei seinem Rundumschlag nicht aus. Beispiel: Er habe ursprünglich Filmregisseur werden wollen. An diversen Filmhochschulen wurde er allerdings abgelehnt. „Alle, die beim Fernsehen sind, sind ja nicht gut genug für den Film“, schreibt er.
Zum Schluss: Glaubt man Tilgen, ist klar, warum es so wenig gute Unterhaltung im Fernsehen gibt. Weil die Verantwortlichen offenbar meistens schlechte Laune haben!
Kai Tilgen: Wie ich mir meinen Platz in der Fernsehhölle verdient habe. Schwarzkopf & Schwarzkopf, 240 Seiten, 12,99 Euro. Erscheint am 1. Oktober