Mittelschwaebische Nachrichten
Innerparteilicher „Bürgerkrieg“
Großbritannien Wie der Brexit die Konservativen auseinanderreißt
Birmingham Philip Hammond hatte es nicht gerade leicht in den vergangenen Monaten. Und das liegt keineswegs nur daran, dass der Finanzminister Großbritanniens als Chefsparer des Landes traditionell wenig Popularität genießt, wie erst wieder der verhaltene Applaus auf seine Rede am Montag beim Parteitag der Konservativen in Birmingham offenbart. Vielmehr zieht der als europafreundlich geltende Schatzkanzler mit seiner Stimme der Vernunft und seinem Hang zum Realismus in Sachen Eu-ausstieg den Unmut der europaskeptischen Hardliner auf sich. Hammond ist mittlerweile das personifizierte Feindbild der konservativen Brexit-verfechter.
Beim viertägigen Treffen der Tories holen die Befürworter eines möglichst reibungslosen Austritts zum Gegenschlag gegen die lautstarken Brexit-ideologen in den eigenen Reihen aus. Im „Bürgerkrieg“, wie Medien den erbittert geführten innerparteilichen Streit bei den Konservativen getauft haben, stehen sich Brexit-fans und Eu-freunde gegenüber – allein das blaue Parteibuch eint sie noch. Und der mitunter scharfe Ton in Richtung Brüssel.
So leistet sich Außenminister Jeremy Hunt, der als möglicher Premier gehandelt wird, einen diplomatischen Fehlgriff, als er die EU vor Zuständen wie in der früheren Sowjetunion warnte. „Wenn Sie den Eu-klub in ein Gefängnis verwandeln, wird der Wunsch, auszutreten, nicht schwinden, sondern wachsen und wir werden nicht der einzige Gefangene sein, der fliehen will.“
Die Tories sind in der Europafrage tief gespalten und suchen einen Ausweg aus der bislang verfahrenen Brexit-lage. Schatzkanzler Hammond verteidigt Premierministerin Theresa May und ihren Vorschlag einer Freihandelszone mit Brüssel für Waren, aber nicht für Dienstleistungen. Eu-ratspräsident Donald Tusk liege falsch mit seinem Urteil, die Pläne würden nicht funktionieren. Nachdem die Regierungschefin jedoch nicht nur in Brüssel, sondern auch im Königreich viel Kritik für ihren Kurs einstecken muss, deutet sie an, einen neuen Vorschlag zu unterbreiten. Am Mittwoch hält die Premierministerin ihre große Parteitagsrede. Es könnte ihr politisches Endspiel werden.
Derweil geht das Hauen und Stechen in Birmingham weiter. So meint Hammond, dass der Ex-außenminister Boris Johnson keinen Sinn für Details habe, wenn es um wichtige Angelegenheiten wie den Eu-austritt gehe. Er verurteilte dessen Brexit-pläne, die einer „Fantasiewelt“entstammten. Auch erwartet der Schatzkanzler nicht, dass der ehemalige Chefdiplomat Regierungschefin May ablösen werde. Das wiederum sehen die Fans von „Boris“, wie er nur genannt wird, völlig anders. Sie scharren ungeduldig mit den Füßen und wollen den Brexit-wortführer nicht nur in der Downing Street sehen, sondern fordern weiter den härtest möglichen Bruch mit Brüssel.