Mittelschwaebische Nachrichten
Mutmaßlicher Erpresser lässt Prozess platzen
Gericht Er hat laut Anklage Babynahrung mit Gift versetzt, um an 11,75 Millionen Euro zu kommen. Am Montag sollte die Verhandlung beginnen. Doch dann sagte der Richter, was in der Nacht zuvor im Gefängnis vorgefallen ist
Ravensburg Gegen neun Uhr herrscht am Montag Hochbetrieb vor Saal 1 des Ravensburger Landgerichts: Prozessbeginn gegen einen 54-Jährigen aus dem Raum Tübingen, der laut Staatsanwaltschaft vor einem Jahr Babygläschen mit dem Gift Ethylenglycol versetzte, um 11,75 Millionen Euro bei sieben großen Handelsketten zu erpressen.
Viele Zuschauer und Reporter sind gekommen. Kamerateams drängen sich in den Sitzungssaal, um Aufnahmen vom Angeklagten zu machen. Doch der taucht nicht auf. Der Vorsitzende Richter Stefan Maier erklärt dann, warum: Der Angeklagte hat sich in der Nacht mit einem Messer selbst verletzt, dazu Schlafmittel genommen. „Dies wurde bei der Morgenkontrolle in der Justizvollzugsanstalt bemerkt“, sagt Maier. „Der Angeklagte wurde medizinisch versorgt und musste in den Krankenraum. Es besteht jedoch keine lebensbedrohliche Situation.“
Die Sitzung wird auf 14.30 Uhr vertagt. Am Mittag steht fest: Die Verhandlung muss auf den 8. Oktober verschoben werden. In einer Mitteilung der Justizvollzugsanstalt Ravensburg ist von einem nicht ganz unernst gemeinten Suizidversuch die Rede. Der Anwalt des Angeklagten wollte sich zu den Vorgängen nicht äußern.
Ähnlich dramatisch wie der Prozessauftakt ist auch das, was vor einem Jahr am Bodensee geschah. Der Mann hatte nach seiner Festnahme im Herbst 2017 zugegeben, das Gift in fünf Gläser mit Babynahrung gemischt und in Geschäften in Friedrichshafen platziert zu haben. Um Millionen zu erpressen, drohte er, 20 weitere vergiftete Lebensmittel in Umlauf zu bringen. Die Polizei konnte damals die fünf Gläser sicherstellen. Jede Portion enthielt laut Staatsanwaltschaft eine für Säuglinge und Kleinkinder tödliche Dosis.
Die Anklage wirft dem 54-Jährigen deshalb versuchten Mord in fünf Fällen, versuchte besonders schwere räuberische Erpressung in sieben Fällen und gemeingefährliche Vergiftung vor. Er soll aus Habgier und Grausamkeit gehandelt haben. Tagelang hatte der Fall bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. Zuständig für die Ermittlungen war das Polizeipräsidium Konstanz, das unter Leitung von Uwe Stürmer die Sonderkommission „Apfel“einrichtete. „Wir haben personell alles aufgeboten, was wir zur Verfügung hatten. Zu Spitzenzeiten waren 223 Ermittler plus Chemiker, Bildbearbeiter und weitere Spezialisten des Kriminaltechnischen Instituts des Landeskriminalamtes im Einsatz“, erinnert sich Stürmer.
Schließlich waren es Bilder aus einer Überwachungskamera, die die Fahnder auf die Spur des mutmaßlichen Erpressers brachten. Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei veröffentlichten die Bilder zwölf Tage nach Eingang eines Erpresserschreibens, nur einen Tag später gelang ihnen der Zugriff in Ofterdingen im Landkreis Tübingen, wo der Angeklagte lebte. In seiner Wohnung fanden die Beamten eine Flasche mit Ethylenglycol, die zur Hälfte geleert war – exakt die Menge, die in den vergifteten Babygläschen in Friedrichshafen gefunden worden war, wie die Ermittler damals bekannt gaben.