Mittelschwaebische Nachrichten
Geglückter Drahtseilakt
Unternehmen aus der Region 1579 beginnt die Geschichte der Memminger Firma Pfeifer, deren Seile in die ganze Welt gehen. Nun ist die zwölfte Generation am Ruder. Das Unternehmen gehört in einigen Sparten zu den Marktführern
Memmingen Es war im Februar 1579, als sich der Seiler Linhart Biechele und seine Kollegen beim Memminger Stadtrat beschwerten. Der Grund ihres Ärgers: Ein Scharfrichter habe mit Rosshaar gehandelt, obwohl dies das Privileg der Seiler sei. Damals gab es keinen freien Wettbewerb, sondern klar verteilte Rollen. Diese Episode aus dem 16.Jahrhundert hat eigentlich eine sehr überschaubare Bedeutung für die Stadtgeschichte. Doch sie steht im direkten Zusammenhang mit einem der großen Memminger Unternehmen: Die Geschichte ist der älteste Nachweis der Seilerfamilie Pfeifer, Biechele war ein PfeiferVorfahre. Heute beschäftigt die Firmengruppe etwa 1600 Mitarbeiter und zählt in mehreren Disziplinen der Seil- und Hebetechnik zu den Weltmarkt-Führern.
Gerhard Pfeifer sitzt an diesem Vormittag in einem Konferenzraum des Unternehmens und erzählt aus der Firmengeschichte, spricht über Erfolge und Krisen, über Geschäftsfelder und große Projekte. Pfeifer, 63 Jahre, ist der geschäftsführende Gesellschafter und führt den Familienbetrieb bereits in zwölfter Generation. „,Man hat elf Generationen vor sich. Das ist schon eine Wucht“, sagt der Firmenchef. Anfangs habe er sich die Frage gestellt, ob er der Richtige für diese Position sei. Zumal er in die Fußstapfen eines charismatischen Unternehmers trat. Vater Hermann Pfeifer, der im Jahr 2000 starb, machte sich auch als Mundart- und Heimatdichter einen Namen und war eine der zentralen Figuren bei der Gründung der Memminger Wallenstein-Festspiele. Sie erinnern an die Zeit des Dreißigjährigen Krieges und ziehen alle vier Jahre etwa 200 000 Besucher an.
Hermann Pfeifer hatte 1950, mit nur 22 Jahren, die väterliche Seilerei übernommen. Damals war das ein Handwerksbetrieb mit drei Mitarbeitern, der vor allem Hanf- und andere Naturfaser-Seile herstellte. Unter Hermann Pfeifer entstand ein Industrie-Unternehmen. Er nutzte die Chancen, die das Wirtschaftswunder im Nachkriegsdeutschland bot. In der Zeit des Wiederaufbaus sei gerade auf dem Bau „ein neuer Bedarf an Drahtseilen entstanden“, sagt Gerhard Pfeifer.
Seit Mitte der 1990er Jahre ist er Gesellschafter. Der Start fiel in eine schwierige Zeit: „Wir mussten Personal abbauen, knapp 60 Mitarbeiter. Wir haben das sozial verträglich gemacht und einen Sanierungsplan aufgestellt“, erinnert er sich. Damals wurde die Bayerische Beteiligungsgesellschaft als Fremdgesellschafter aufgenommen. Sie ist inzwischen ausbezahlt und gehört nicht mehr zum Unternehmen.
Jahre später hatten die Memminger Seilspezialisten eine weitere Krise zu meistern: „2009 gab es eine schwierige Phase. Wir hatten seit 2006 den Umsatz mehr als verdop- pelt und hätten uns an diesem Wachstum fast verschluckt. Das ging zu schnell“, sagt Pfeifer, der auch stellvertretender Präsident der schwäbischen Industrie- und Handelskammer ist.
Inzwischen läuft es bei dem Unternehmen längst wieder „sehr stabil“, wie es der 63-Jährige ausdrückt. Nach Firmenangaben zählt Pfeifer bei den Kranseilen zu den „weltweiten Technologieführern“. Das gelte auch für Aufzugseile. Sieben der zehn höchsten Gebäude der Welt sind mit Produkten von Pfeifer-Drako ausgestattet. Bei Drako handelt es sich um die größte Tochgeschäftsführender tergesellschaft, die in Mülheim an der Ruhr beheimatet ist.
Auch beim Sport mischt Pfeifer kräftig mit. Ohne es zu wissen, saßen schon Millionen Fußballfans unter Produkten des Memminger Unternehmens. Pfeifer stattet Arenen in aller Welt mit StahlseilDachkonstruktionen aus. So auch im südafrikanischen Kapstadt, wo das Stadion laut Gerhard Pfeifer vom „größten Glasdach der Welt“überspannt wird. Bei der FußballWeltmeisterschaft 2010 feierte die deutsche Mannschaft dort einen 4:0-Triumph über die von Diego Maradona trainierten Argentinier. Gerhard Pfeifer war mit seiner Familie live dabei, ebenso wie Bundeskanzlerin Angela Merkel: „Gerne hätte ich ihr gesagt, dass sie unter dem Dach eines deutschen Unternehmens sitzt“, sagt Pfeifer.
Einen Glücksfall bedeutete auch die Fußball-WM 2006 in Deutschland. Damals war das Allgäuer Unternehmen am Bau von sieben der zwölf WM-Stadien beteiligt. Bereits 1970 hatte Pfeifer Material für das Münchner Olympiastadion geliefert. Und auch aktuell gibt es einen spektakulären Auftrag: Von Pfeifer kommt das Dach für das neue Football-Stadion in Los Angeles, das Inglewood Stadium. Mit geschätzten Gesamtkosten von 4,9 Milliarden Dollar handelt es sich nach PfeiferAngaben um das teuerste Stadionprojekt der Welt. Die Seile für Los Angeles werden mit einem Tieflader nach Bremerhaven gebracht und von dort aus mit dem Schiff in die USA transportiert. Diese Reise dauert insgesamt 27 Tage.
Doch die Pfeifer-Produktpalette geht über all das noch hinaus. So stellt das Unternehmen, das in vier Divisionen unterteilt ist, beispielsweise Spezialseile für die Industrie, Geräte zum Heben schwerer Lasten und Einbauteile zum Transportieren von Betonfertigteilen her. Zudem war es am Bau von mehr als 1000 Brücken beteiligt.
Was vor fast 440 Jahren mit Linhart Biechele begonnen hat, soll mit dem aktuellen Chef Gerhard Pfeifer noch lange nicht enden: „Mein persönliches Ziel ist es, die Organisation so zu stabilisieren, dass sie auch ohne mich funktioniert“, sagt der Vater zweier Töchter, die beide noch studieren. „Ich will aber nicht schon morgen aufhören.“In den nächsten Jahren gelte es, „die Prozesse weiter zu optimieren und die Digitalisierung voranzutreiben“.
Familienunternehmen wie Pfeifer sind für den langjährigen Firmenchef ein „wesentliches Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Sie verfolgen eine langfristige Perspektive und übernehmen Verantwortung für die Region.“Das sei ein „Wert in unserer Gesellschaft, den man nicht hoch genug bewerten kann. Dies wird aber leider zu wenig getan“, sagt Gerhard Pfeifer, der neben Betriebswirtschaftslehre auch Philosophie studiert hat. Mit Finanzinvestoren allein könne man „die Zukunft nicht gestalten“. Der Memminger bezeichnet sich als „radikalen Vertreter der Realwirtschaft“: Menschen erbringen Dienstleistungen und produzieren Güter für andere Menschen.