Mittelschwaebische Nachrichten
In die Ecke gedrängt
Debakel Stell dir vor, es ist Landtagswahl, und die CSU geht erst mal auf Tauchstation. Undenkbar in Bayern? Seit Sonntag nicht mehr. Die Partei wirkt tief getroffen von ihrem schlechten Ergebnis. Und die ersten Heckenschützen bringen sich auch schon in S
München Eigentlich war die CSU auf alles vorbereitet, auch auf das Schlimmste. Dennoch sitzt der Schock nach den erdrutschartigen Verlusten tief. So tief, dass erst einmal Funkstille herrscht an diesem denkwürdigen Abend im Bayerischen Landtag. Dass die Partei bei dieser Landtagswahl das schlechteste Wahlergebnis seit 1950 einfahren wird, hatte sich auf den Fluren des Maximilianeums bereits am Nachmittag herumgesprochen. Nur – von der CSU ist zunächst nichts zu sehen.
Es reicht nicht einmal für eine Inszenierung der obligatorischen Fernsehbilder. Im CSU-Fraktionssaal versammeln sich erst dutzende, dann hunderte von Journalisten, aber keine Abgeordneten, keine Minister, ja zunächst nicht einmal Mitarbeiter der Regierungspartei. Der erste CSU-Politiker von Rang, der kurz nach 17 Uhr kommt, ist der Europaabgeordnete und schwäbische Bezirksvorsitzende Markus Ferber. 35 Prozent, so hat es der Flurfunk gerade gemeldet, wird die CSU bekommen. Mehr nicht.
Ferber reagiert mit blankem Galgenhumor. Er wird gefragt: Worüber muss im Parteivorstand am Montag geredet werden? Antwort Ferber: Wahrscheinlich über den Brexit, die Maut und den Diesel. Eine Pointe, immerhin. Und dann dreht der Schwabe den Spieß erst einmal um und spottet über die anwesenden Journalisten: „Wenn wir jetzt um 18 Uhr die Prognose kriegen, dann könnt ihr euch nur gegenseitig filmen.“
Dann ringt sich Ferber doch noch zu zwei ernsthaften Antworten durch. „Ich hoffe, dass wir wenigstens einen Regierungsauftrag bekommen.“Am schlimmsten wäre es seiner Ansicht nach, wenn selbst ohne AfD rein rechnerisch eine Koalition gegen die CSU möglich wäre. Und klar sei auch, so Ferber: „Wir müssen jetzt ein paar Dinge in der Partei verändern. Das können wir nicht nur über Personen regeln.“
vor 18 Uhr kommen dann doch noch einige wenige Minister, Abgeordnete und Mitarbeiter der CSU. Sie sagen aber entweder gar nichts, wie Bayerns Wirtschaftsminister Franz Pschierer. Draußen auf dem Gang hat er gerade noch vor sich hingeschimpft: „Wahnsinn, Katastrophe.“Drinnen gibt er sich sprachlos. Kein Kommentar.
Oder sie beschränken sich auf Allgemeinplätze: Krise der Volksparteien, schlechtes Erscheinungsbild der Bundesregierung, politische Großwetterlage. Dass die CSU in Bayern etwas falsch gemacht haben könnte, bringt keiner über die Lippen. Nur Ex-Parteichef Erwin Huber geht über die offizielle Sprachregelung hinaus. Schlimm sei, so Huber, dass dieses Wahlergebnis sich in eine Serie einreihe. Schon bei der Europawahl, dann bei der Bundestagswahl und jetzt noch einmal mehr bei der Landtagswahl habe die CSU Zustimmung verloren. Dass sie die Wähler nicht mehr erreiche, liege auch „an Inhalt und Struktur der Wahlkampfführung der letzten drei Jahre“. Man habe mit der Bekämpfung der AfD zu spät begonnen und nur unzureichend auf gesellschaftliche Veränderungen in den Großstädten reagiert. Er hoffe darauf, dass die CSU endlich „eine intensive Wahlanalyse“machen werde, „wie wir sie nach der Bundestagswahl nicht gemacht haben“.
Ähnlich kritisch äußert sich zu- nächst nur noch der schwäbische Landtagsabgeordnete und Chef der Jungen Union in Bayern, Hans Reichhart: „Wir müssen jetzt gründlich analysieren und die richtigen Schlüsse ziehen.“So etwas habe es bisher nicht gegeben, „null, gar nicht“, sagt Reichhart.
Wenige Minuten später stellt sich heraus, dass Ferber mit seinem Spott ins Schwarze getroffen hat. Als um 18 Uhr auf den Bildschirmen die erste Prognose verkündet wird, ist der CSU-Fraktionssaal zwar brechend voll, aber tatsächlich zu rund 90 Prozent mit Journalisten. Einzig als verkündet wird, dass die Linken es nicht in den Landtag schaffen werden, wird vereinzelt geklatscht. Die CSU ist in ihrer Mehrheit immer noch auf Tauchstation.
Das ändert sich um 18.20 Uhr. Ministerpräsident Markus Söder kommt. Und mit ihm kommen die CSU-Granden. Landtagspräsidentin Barbara Stamm, Fraktionschef Thomas Kreuzer, Generalsekretär Markus Blume und mehrere Minister, Staatssekretäre und Abgeordnete scharen sich auf der Bühne um Söder. Applaudiert wird jetzt auch. Aber der Applaus kommt überwiegend von den jungen Leuten vom „Team Söder“im Schlepptau des Ministerpräsidenten. Die CSU muss sich selbst Mut machen.
Söder gibt sich bescheiden. Es sei „kein einfacher Tag für die CSU“. Es sei „ein schmerzhaftes ErgebKurz nis“, das man „in Demut hinnehmen“müsse. Aber schon im nächsten Satz versucht er, neue Zuversicht zu verbreiten. „Die CSU ist nicht nur stärkste Partei geworden, sie hat auch einen klaren Regierungsauftrag“, sagt Söder. Die Ursachen für das Wahldebakel sucht er nicht in Bayern, sondern im Bund: „Die Hauptherausforderungen waren die Diskussionen, die in Berlin geführt wurden.“In Bayern könne die CSU, „wenn wir uns alle entsprechend anstrengen, eine vernünftige und stabile Regierung bilden“. Er habe, so betont er, „eine gewisse Präferenz für eine bürgerliche Regierung“. Ob es für ein Bündnis mit den Freien Wählern reicht und/oder ob die FDP den Sprung in den Landtag schafft, steht zu diesem Zeitpunkt noch nicht fest. Söder gibt die Devise aus: „Haltung zeigen, Pflicht erfüllen.“
Binnen zehn Minuten ist alles vorbei. Der alte und wahrscheinlich auch neue Ministerpräsident und mit ihm die gesamte CSU-Truppe ziehen wieder ab.
Wo aber ist der Parteichef? Schon am Nachmittag hatte es geheißen, Söder und Seehofer würden „keinesfalls“gemeinsam auf der Bühne im Fraktionssaal vor die Mikrofone und Kameras treten. Und tatsächlich wartet der CSU-Chef ab, bis Söder seinen Auftritt hatte. Er kommt eine halbe Stunde später – und ohne eine große Mannschaft, die ihn begleitet. Der Fraktionssaal ist zu diesem Zeitpunkt nur noch halb so voll wie zuvor. Seehofer wirkt sichtlich angeschlagen. Er beschränkt sich auf wenige Worte. Das Wahlergebnis könne die CSU nicht zufriedenstellen, aber die Partei werde ihre Verantwortung für Bayern wahrnehmen. Er dankt Söder, der schon längst wieder woanders ist, für seinen Einsatz im Wahlkampf: „Es war famos.“Er fordert für die kommenden Wochen Geschlossenheit der Partei und volle Konzentration auf die Aufgaben, die jetzt vor der CSU liegen.
Aber wie geht es jetzt weiter? Das Ergebnis setzt die CSU mächtig unter Druck. Schon vor der Wahl haben Söder-Unterstützer im Landtag Parteichef und Bundesinnenminister Horst Seehofer als Schuldigen ausgemacht. Er habe mit seinen Störfeuern in Berlin – erst der neue Flüchtlingsstreit mit Merkel, dann das Gerangel um Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen – den Landtagswahlkampf der CSU noch schwieriger gemacht, als er ohnehin schon war. Seehofers Aussage, er habe sich in den Landtagswahlkampf nicht eingemischt, wird von nicht wenigen CSU-Politikern in München als Hohn empfunden nach dem Motto: Stell dir vor, die CSU steht vor einer Schicksalswahl, und der Vorsitzende geht nicht hin ...
Im Landtag wird an diesem Abend viel über einen „Geheimpakt“geredet, den Seehofer und Söder angeblich geschlossen haben. Das Gerede stützt sich auf eine Meldung von Danach hätten die beiden Herren, die sich indirekt schon vor der Wahl gegenseitig die Schuld an einem möglichen Debakel zugeschoben hatten, eine Art Burgfrieden geschlossen, am Wahlabend und am Tag danach auf gegenseitige Attacken zu verzichten. Voraussetzung dafür aber sei, dass die CSU mindestens 33 Prozent der Stimmen holt.
Doch von einem „Geheimpakt“kann eigentlich keine Rede sein. Es ist an diesem Abend offenkundig, dass parteiintern schon vorab die Devise ausgegeben wurde, bloß keine Personaldiskussion zu beginnen. „Personalfragen gibt es heute nicht zu besprechen und auch die nächsten Tage nicht“, verkündet Fraktionschef
Der schwäbische CSU-Chef reagiert mit Galgenhumor
Kommt es jetzt zum personellen Showdown?
Kreuzer. Es bestehe kein Zweifel, dass die Fraktion auf seinen Vorschlag hin Söder erneut für das Amt des Ministerpräsidenten vorschlagen werde.
Die Sorge, dass es zu einem Showdown im parteiinternen Machtkampf zwischen Seehofer und Söder kommt, ist dennoch groß. Die ehemaligen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber und Günther Beckstein haben vorsorglich schon mal darauf hingewiesen, worauf es von nun an ankommen wird: „Was wir nach der Wahl brauchen, ist Stabilität.“Ob das allerdings auch die Parteibasis so sieht, ist die große Frage. Erste Stimmen, dass es anders sein wird, gibt es bereits an diesem Wahlabend. Felix Mönius von der Jungen Union in Unterfranken zum Beispiel sagt, das Wahlergebnis stelle „eine Zäsur dar, sich personell und inhaltlich neu aufzustellen“. Der frühere Generalsekretär und Wissenschaftsminister Thomas Goppel jedenfalls hält in den kommenden Tagen vieles für möglich. Auf die Frage unserer Redaktion, ob Seehofer gehen muss, sagt er: „Das kommt darauf an, ob sich jemand findet, der ihm auf die Sprünge hilft.“