Mittelschwaebische Nachrichten
Kino am richtigen Ort
Manchmal fügt es sich und der Ort, an dem man ins Kino geht, passt zum Film. Und wo könnte man „Waldheims Walzer“, jenes meisterhaft komponierte Erinnerungswerk an eine Staatsaffäre, sinniger anschauen als dort, wo der Mann mit verleugneter und dann enthüllter Nazi-Vergangenheit 1986 gegen viele Widerstände und Proteste doch Präsident wurde: in Österreich, am „Originalschauplatz“.
Kurt Waldheim, ein Jahrzehnt UN-Generalsekretär und damit weltweit legitimierter Spitzendiplomat, geriet über Monate unter Rechtfertigungsdruck, weil mehr und mehr seine über die Nazizeit hinweggeschönte Biografie im Licht der Weltöffentlichkeit demontiert wurde. Das hat daheim eine Gegenöffentlichkeit geformt, aber auch tief sitzenden Nationalismus heraufbeschworen. Ruth Beckermann hat darüber eine Dokumentation ausschließlich aus Archivmaterial geschaffen – mit subjektiven Kommentaren und einem bemerkenswerten Gespür für „sprechende Bilder“. Auf der Berlinale gefeiert, als Österreichs Beitrag fürs Oscar-Rennen nominiert, ist der Filmessay gleichwohl ein anachronistisches Wagnis in der Kinowelt. Quadratisches Bildformat, grieselige ArchivÄsthetik, TV-Bilder im Kinosaal.
Gesehen habe ich den Film dieser Tage in Graz, im Schubert-Kino, in dem man eine Melange oder ein Achterl an der Bar trinkt, bevor es in einen der drei Säle geht. „Waldheims Walzer“erzählt nicht nur von Kurt Waldheim – es geht in dem Film mindestens ebenso um die österreichische Gesellschaft und den Kampf auf der Straße, um den Mut, sich einem beängstigend tumben „Volksempfinden“entgegenzustellen. Beckermann nimmt uns mit in eine nicht vergangene Vergangenheit – es ist eine Reise in die Finsternis und eine ins Licht. Das Kino in Graz war luftig besetzt. Österreich hat jetzt einen Grünen als Bundespräsidenten.