Mittelschwaebische Nachrichten
Reporter bat um Spenden
Skandal Ehemaliger „Spiegel“-Redakteur soll Geld für angebliche Waisenkinder gesammelt haben. Strafanzeige wird vorbereitet
Hamburg Der zahlreicher Fälschungen überführte Spiegel-Journalist Claas Relotius soll Leser zu Spenden auf sein Privatkonto aufgerufen haben. Dies schilderten mehrere Leser, wie das Magazin am Samstagabend berichtete. Demnach habe Relotius von einem privaten E-Mail-Konto aus Spendenaufrufe verschickt, um angeblich Waisenkindern in der Türkei zu helfen. Das Geld sollte auf sein privates Bankkonto überwiesen werden.
Die Redaktion habe nichts von der Spendenaktion gewusst, erklärte der Spiegel. Wie viele Spenden es gab, wie hoch sie waren und was mit dem Geld letztlich passierte, sei noch unklar. Das Magazin werde alle Informationen im Rahmen einer Strafanzeige an die Staatsanwaltschaft übergeben.
Hintergrund der Spendenaktion war der Zeitschrift zufolge eine Reportage von Relotius über syrische Waisenkinder, die in der Türkei auf der Straße lebten. Am Wahrheitsgehalt des Textes gibt es den Angaben zufolge inzwischen erhebliche Zweifel. Ein Fotograf, der Relotius zeitweise bei der Recherche begleitete, wies demnach auf mehrere Unstimmigkeiten hin. Eines der beiden Kinder – laut Relotius’ Text handelte es sich um ein Geschwisterpaar – sei womöglich eine komplette Erfindung.
In einem Reporter-Sammelband berichtete Relotius selbst laut Spiegel kürzlich über den Beginn der Spendenaktion. Der Journalist erzählte demnach, wie er es in monatelangem Bemühen geschafft habe, die beiden Waisenkinder zu einer Familie in Niedersachsen zu bringen, welche die Kinder adoptiert habe. Jedoch sei auch dies offenbar eine Erfindung, hieß es. Relotius selbst sei derzeit nicht für aktuelle Stellungnahmen zu erreichen.
Der Spiegel hatte am Mittwoch bekannt gegeben, dass der 33-jährige preisgekrönte Redakteur Reportagen ganz oder teilweise systematisch gefälscht hatte. Er habe dabei Charaktere, Zitate und Begebenheiten erfunden oder die Biografien von realen Protagonisten verfälscht. Relotius schrieb für den Verlag seit 2011 knapp 60 Texte und arbeitete auch für andere Medien. Die Redaktion kündigte eine umfassende Aufarbeitung an.
Der US-Botschafter in Deutschland, Richard Grenell, hielt dem Nachrichtenmagazin in einem Brief am Freitag „eklatanten Anti-Amerikanismus“vor, der sich gerade in den unlängst als Fälschungen entlarvten Geschichten seines Reporters gezeigt habe. „Seitdem Präsident Trump im Amt ist, stieg diese Tendenz ins Uferlose“, behauptete Grenell. Er forderte das Magazin zu einer „gründlichen Untersuchung durch eine externe, unabhängige Organisation“auf.
In seinem Antwortschreiben an Grenell entschuldigte sich der stellvertretende Spiegel-Chefredakteur Dirk Kurbjuweit, den Vorwurf des Anti-Amerikanismus wies er aber zurück. „Wenn wir den amerikanischen Präsidenten kritisieren, ist das nicht Anti-Amerikanismus, sondern Kritik an der Politik des Mannes im Weißen Haus.“