Mittelschwaebische Nachrichten
Ein Film als Lehrstück
Es kommt selten vor, dass ein Film die Menschen in der Region so interessiert, dass sie den größten Saal des Günzburger Kinos füllen und manche enttäuscht wieder abziehen müssen, weil sie keine Karten reserviert haben. Noch beeindruckender macht die Nachfrage die Tatsache, dass hier ein junger Regisseur eine Dokumentation über einen Günzburger Politiker gedreht und sich den Stoff über fünf Jahre erarbeitet hat – keine Millionenproduktion, sondern ein Low-Budget-Film (rund 400 000 Euro).
Er hat versucht, die Facetten eines Menschen herauszuarbeiten und Leo Wagner – seinem Großvater – näherzukommen. Benedikt Schwarzers Ansatz war es, das Rätsel endgültig zu lösen, ob sein Opa 1972 tatsächlich einer von zwei Verrätern war, die sich von der Staatssicherheit der DDR mit jeweils 50 000 Mark haben schmieren lassen. Dafür hat sich Wagner im Bundestag der Stimme enthalten, als es darum gegangen ist, Bundeskanzler Willy Brandt zu stürzen. Der sicher geglaubte Machtwechsel hin zur Union war passée.
Diesen Anspruch hat Schwarzer nicht erfüllen können. Entscheidende Unterlagen und Akten, die vermutlich vernichtet sind, fehlen. Der Verrat gilt als wahrscheinlich, aber nicht als sicher.
Die parallel erzählte Familiengeschichte ist zwar politisch nicht folgenreich. Aber sie wirkt in dieser kleinen, privaten Welt monströser und beklemmender als die Bonner Skandale jener Zeit und reicht bis zum Selbstmordversuch der Tochter.
Darf ein Enkel seinen Großvater gut zwölf Jahre nach dessen Ableben auf diese Weise wieder ins Gedächtnis der Öffentlichkeit zurückholen? Ist da nicht ein Nestbeschmutzer am Werke, der die Vergangenheit nicht ruhen lässt und sich mit einem Toten profilieren will?
Die Antwort lautet: Ja, er darf. Die Auswirkungen von Taten und Untaten eines Menschen sind nicht zwangsläufig mit dessen Tod erloschen. Und den Vorwurf des Nestbeschmutzers sollte man besser dem machen, der das Nest beschmutzt hat und nicht dem, der darüber berichtet.
„Die Geheimnisse des schönen Leo“ist ein Lehrstück, wie Politik auf Abwegen in der Bonner Republik funktioniert hat und vielleicht immer noch funktioniert in Berlin. Der Dokufilm entlarvt den Schein und zeigt, was hinter der Fassade eines scheinbar wohlgeordneten Familienlebens tatsächlich zum Vorschein kommt.
Viele Menschen, die Leo Wagner persönlich kannten oder dessen Tochter Ruth, wollten am Mittwochabend die Vorpremiere in Günzburg erleben. Eine Mitschülerin der 52 Jahre alten Tochter war ebenso darunter wie politische Begleiter oder ein älterer Herr, der einst von Leo Wagner unterrichtet worden ist.
Zu wünschen ist dem Film, dass er nicht nur für die Vorpremierengäste interessant war, weil sie dort auf die Mutter und den Enkel gestoßen sind. Ab dem 17. Januar läuft er in 22 Kinos an, darunter vier in Berlin, zwei in Bonn und im Günzburger BiiGZ. Zweimal pro Woche und das mindestens drei Spielwochen lang wird dort der bewegende Dokumentarfilm gezeigt, der übrigens auch prima Schulstoff ist.