Mittelschwaebische Nachrichten

Der Oberlöwe

Interview Die Leidenscha­ft packte Herbert Gehring als Bub beim Bildchenkl­eben. Im Lauf der Jahre war er aber weit mehr als „nur“Fan des TSV 1860 München. Heute feiert er seinen 80. Geburtstag

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„Wir haben uns die Pullover stricken lassen in Weiß und Blau.“Herbert Gehring über Fan-Utensilien „damals“

„Es ist derzeit nicht mehr der Verein, den ich seit Jahrzehnte­n gekannt habe.“Herbert Gehring über den TSV 1860 München

80. Geburtstag ist ja ein wirklich schöner Anlass zum Feiern. Was werden Sie an diesem Montag machen, Herr Gehring?

Gehring: Ich gehe gerne auf Feierlichk­eiten, aber ich selbst mag das nicht so. Ich verbringe also einen ganz ruhigen Tag. Dass Sie leidenscha­ftlicher 60er-Fan sind, wissen auch außerhalb Ihres unmittelba­ren Umfeldes viele. Weniger bekannt ist, wie sie als gebürtiger Günzburger ausgerechn­et zu den Löwen kamen.

Gehring: Aufgewachs­en bin ich in der Nähe des Sportplatz­es am Stadtbach, also da, wo jetzt die Berufsschu­le steht. Da haben wir Buben immer gespielt. In jener Zeit kam auch ein Sammelalbu­m für die damalige Oberliga heraus, so eines, in das man Bildchen einkleben konnte. Und da war 1860 München die erste Mannschaft, die ich bildermäßi­g fertig gebracht habe. Etwas später wurden die Löwen für ein paar Jahre zu einer großen Nummer im deutschen und sogar im internatio­nalen Fußball. Haben Sie das alles hautnah miterlebt?

Gehrung: So weit es ging, ja. Nachdem ich 1962 mein erstes Auto gekauft hatte, sind wir zu jedem Heimspiel gefahren. Was es ebenfalls nicht oder zumindest kaum gab, sind die heute allgegenwä­rtigen Fan-Utensilien. Gehring: Wenn damals im Grünwalder Stadion einer mit einem Trikot in die Stehhalle kam, ist er bestaunt worden. Wir Günzburger haben uns die Pullover stricken lassen in Weiß und Blau.

In jene Zeit fällt auch das legendäre Gastspiel der Münchner in Günzburg. Erinnern Sie sich?

Gehring: Klar. Das Spiel im Auwald war am 1. Mai 1964. Da waren alle damaligen Größen dabei – nur der Radi nicht, unser Torwart Petar Radenkovic. Im Lauf der Jahrzehnte haben Sie als Löwen-Fan einiges erlebt, um nicht zu sagen: mitgemacht, denn zuletzt ging es ja vor allem abwärts. Um bei den schönen Erinnerung­en zu bleiben: Was war denn die größte Stunde, die Sie mit Ihren Löwen hatten? Gehring: Ui, das kann man eigentlich nicht auf einen Höhepunkt reduzieren. Dann erzählen Sie einfach mal. Die Daten haben Sie ja alle im Kopf, behaupten einige Ihrer Weggefährt­en aus dem Fanklub.

Gehring: Zeitlich am nächsten liegt der 2. Juni 2015, das Relegation­sspiel gegen Holstein Kiel im neuen Münchner Stadion. Was da in den Schlussmin­uten los war, ist in Sachen Stimmung meines Erachtens nicht mehr zu toppen. Da ist das ganze Stadion gestanden, wirklich das ganze. Dann natürlich der 28. Mai 1966. Das 1:1 im Heimspiel gegen den HSV und die Meisterfei­er in München. Es wurde eine lange Nacht. Ich war auch dabei, als 1860 am 27. April 1965 im Europapoka­l der Pokalsiege­r das Halbfinal-Rückspiel gegen den AC Turin 3:1 gewonnen hat. Damals standen auf dem Raum, den heute ein Sitzplatz einnimmt, drei, vier Leute dicht an dicht. Springen wir in die Neuzeit. Seit annähernd 25 Jahren sind Sie VorEin standsmitg­lied des heute knapp 200 Mitglieder zählenden Fanklubs Günzburger Löwen, seit 2002 Präsident. 2020 stehen Neuwahlen an.

Gehring: Die laufende Amtszeit ist die letzte für mich. Kommendes Jahr muss sich der Verein um einen neuen Vorsitzend­en kümmern. Das ist amtlich. Gibt es etwas, das Sie sich zum 80. Geburtstag von Ihren Mitglieder­n wünschen?

Gehring: Manchmal komme ich mit der Arbeit kaum noch nach. Vorsitzend­er sein ist ja viel mehr, als Hauptversa­mmlungen und Busfahrten zu organisier­en. Da würde ich mir einfach etwas mehr Unterstütz­ung aus dem Fanklub wünschen. Wie vermitteln Sie heute, aus der Perspektiv­e eines Drittligis­ten ohne zündende Zukunftsid­een, einem Jugendlich­en die Faszinatio­n 1860?

Gehring: Es ist äußerst schwierig, junge Leute zu 1860 zu bekommen. Die sportliche Perspektiv­e fehlt, das Finanziell­e fehlte schon immer. Du kannst den Jungen mal eine Ein- trittskart­e anbieten und sie mitnehmen, vielleicht entwickelt sich dann was. Ihr Leben war und ist bei weitem nicht ausschließ­lich auf die Löwen ausgericht­et. An Ihrem langjährig­en Wohnort Bubesheim hatten Sie im Lauf der Jahrzehnte einige Ämter inne.

Gehring: Das stimmt. Ich bin einer, der gerne etwas für die Allgemeinh­eit tut. Insgesamt 16 Jahre war ich im Gemeindera­t. Etwa ebenso lang war ich als Schülerlot­se und am Wertstoffh­of tätig – dabei bekommt man einen sehr großen Bekannthei­tsgrad. Ich bin Mitglied in einigen Vereinen, zum Beispiel seit der Gründung im Musikverei­n und im SC Bubesheim, dessen Ehrenmitgl­ied ich bin. Ich habe mehr als 200 Spiele für den SCB bestritten und war von 1978 bis 1991 Fußball-Abteilungs­leiter.

Offensicht­lich hatten Sie das Amt nicht nur inne, sondern haben es auch ausgefüllt. Der aktuelle Spartenche­f Karl Dirr sagt jedenfalls, Sie hätten sich große Verdienste erworben.

Gehring: Damit meint er vermutlich, dass ich viele Jahre lang wirklich vieles gleichzeit­ig gemacht habe. Ich war ja zwischendu­rch auch Jugendleit­er, Jugendtrai­ner, AH-Leiter und Platzwart. Gerade in der Zeit, als der Verein ganz unten war, hieß es auf fremden Plätzen oft: „Jetzt kommt der SC Gehring“. Und als ich 1991 aufhörte, spielte der SC Bubesheim in der Bezirkslig­a.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Gehring: Dass es meiner Familie gut geht und dass wir eine schöne Zeit zusammen haben. Meine größte Sorge – außer der Gesundheit – gilt dem TSV 1860 München. Es ist derzeit nicht mehr der Verein, den ich seit Jahrzehnte­n gekannt habe. Das Gespräch führte Jan Kubica

 ?? Foto: Bernhard Weizenegge­r ?? „Ich schmeiß nichts weg von 1860 München“: In seinem Haus in Bubesheim bewahrt Herbert Gehring auf, was er über Jahrzehnte gesammelt hat. Poster und Pokale, Bücher und Bälle, Trophäen und Tand aller Art besitzt er. Hinzu kommt ein umfangreic­hes Archiv mit Zeitungssa­usschnitte­n.
Foto: Bernhard Weizenegge­r „Ich schmeiß nichts weg von 1860 München“: In seinem Haus in Bubesheim bewahrt Herbert Gehring auf, was er über Jahrzehnte gesammelt hat. Poster und Pokale, Bücher und Bälle, Trophäen und Tand aller Art besitzt er. Hinzu kommt ein umfangreic­hes Archiv mit Zeitungssa­usschnitte­n.

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