Mittelschwaebische Nachrichten
Wo die Oscar-Akademie (k)ein Händchen hat
Filmpreise Im vergangenen Jahr gab es Besseres als „Green Book“im Kino zu sehen, trotzdem gewann das Rassismusdrama in der Hauptkategorie. Dagegen gilt für viele der weiteren Auszeichnungen: Hochverdient!
Hollywood/Augsburg Viel Denkwürdiges ereignete sich während der 91. Verleihung der Academy Awards, die in der Nacht von Sonntag auf Montag im Dolby Theatre in Hollywood über die Bühne ging – Denkwürdiges, an das man zumindest in der Filmbranche noch lange zurückdenken wird. Nur dass „Green Book“den Hauptpreis des Abends, also den Oscar in der Kategorie Bester Film gewann, gehörte nicht wirklich zu diesen Momenten.
Vollkommen unerwartet kam der Preis nicht für die auf wahren Begebenheiten basierende Geschichte des schwarzen Jazz-Pianisten Don Shirley (gespielt von Mahershala Ali, nur zwei Jahre nach „Moonlight“erneut als Bester Nebendarsteller ausgezeichnet) und seines ungehobelten weißen Fahrers Tony Vallelonga (Viggo Mortensen). Der Film hatte immerhin schon den Golden Globe und diverse andere Ehrungen erhalten, ganz abgesehen davon, dass sich die Tragikomödie zu einem echten Publikumserfolg entwickelte. Gleichzeitig wurde „Green Book“aber seit Wochen von einer Kontroverse nach der nächsten umrankt, zu denen ältere antimuslimische Tweets von Co-Autor Nick Vallelonga ebenso gehörten wie die Vergangenheit von Regisseur Peter Farrelly, der früher an Filmsets gerne mal ungefragt und zum Scherz seinen Penis entblößte.
All die Aufregung beeinträchtigte die Oscar-Chancen des Films, der auch in der Kategorie Bestes Originaldrehbuch siegreich war, offensichtlich nicht. Doch nicht nur deswegen darf man mindestens irritiert darüber sein, dass ausgerechnet „Green Book“den wichtigsten Preis des Abends gewann. Denn mit seinem naiven bis verharmlosenden auf das Thema Rassismus wirkt der Film wie ein aus der Zeit gefallenes Relikt längst überwunden geglaubter Zeiten, in denen Hollywood von der Lebenserfahrung schwarzer Amerikaner nur mittels sogenannter „White Savior“-Figuren erzählte, also heldenhafter, weißer Protagonisten.
Dass nicht nur der Film selbst sich statt auf den faszinierenden Shirley (dessen Familie sich von „Green Book“distanziert hat) lieber auf Vallelonga konzentriert, sondern auch Farrelly und Produzent Jim Burke den Afroamerikaner mit keiner Silbe in ihren Dankesreden erwähnten, hatte einen doppelt bitteren Beigeschmack. Und selbst wer sich daran nicht stört, wird kaum ernsthaft behaupten können, „Green Book“sei der bemerkenswerteste Film der letzten zwölf Monate. Viel mehr wirkt er schon heute altmodisch und dürfte in der OscarGeschichte bald zu den schnell vergessenen Gewinnern zählen.
Dass sich am Ende nicht der zweite große Favorit „Roma“durchsetzte, könnte am komplizierten Abstimm- und Auszählverfahren liegen, das die Academy in der Kategorie des Besten Films anwendet (es bevorzugt nicht den Film, den die meisten Mitglieder auf Platz 1 wählen, sondern den, der durchschnittlich am häufigsten recht weit oben auf den Listen steht). Mindestens so entscheidend wird aber die Tatsache sein, dass das Schwarz-Weiß-Drama nicht regulär im Kino ausgewertet wurde, sondern bei Netflix zu sehen ist. Es wäre einer Revolution in der Filmindustrie gleichgekommen, hätte sich der Streamingdienst beim wichtigsten Filmpreis der Welt gegen alle klassischen Kinoproduzenten durchgesetzt. Dass es am Ende trotzdem drei Oscars für das Werk von Alfonso Cuarón gab, ist dennoch beachtenswert – und hochverdient. Der Mexikaner wurde nicht nur als bester Regisseur geehrt (zum zweiten Mal nach 2014), sondern gewann auch in der Kamera-Kategorie sowie als bester fremdsprachiger Film, wo Florian Henckel von Donnersmarcks „Werk ohne AuBlick tor“beide Male erwartungsgemäß chancenlos blieb.
Die meisten Oscars des Abends, der übrigens erstmals seit 30 Jahren nicht von einem Moderator begleitet wurde, sammelte „Bohemian Rhapsody“ein. Das Biopic über die Rockband Queen wurde nicht nur in technischen Kategorien wie Schnitt, Tonschnitt und Ton geehrt, es wurde auch Rami Malek für seine Rolle als Freddie Mercury als Bester Hauptdarsteller ausgezeichnet. In seiner Dankesrede vermied Malik einmal mehr jede Erwähnung von Regisseur Bryan Singer, der sich massiven Vorwürfen von sexuellem Missbrauch und Vergewaltigung ausgesetzt sieht.
Der Oscar für die Beste Nebendarstellerin ging an Regina King für die famose James-Baldwin-Adaption „Beale Street“, der Preis für die Beste Hauptdarstellerin an Olivia Colman („The Favourite“). Die Britin setzte sich unter anderem gegen Glenn Close, die auch bei ihrer siebten Nominierung leer ausging, und Lady Gaga durch. Letztere gewann – nach einer famosen LivePerformance mit Film-Partner Bradley Cooper – mit dem Hit „Shallow“aus „A Star is Born“immerhin erwartungsgemäß in der Kategorie Bester Song.
Geschichte geschrieben wurde bei dieser Oscar-Verleihung allerdings in anderen Kategorien. Regie-Legende Spike Lee etwa gewann für sein Drehbuch zu „BlacKkKlansman“erstmals in seiner 35-jährigen Karriere einen „echten“Oscar, nachdem ihm vor dreieinhalb Jahren bereits ein Ehren-Oscar verliehen worden war. Der frisch Gekürte nutzte seine Dankesrede für ein eindringliches politisches Statement, in dem er die Trump-Regierung kritisierte und mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen 2020 rief: „Lasst uns das Richtige tun!“Überfällige Premieren waren auch zwei der drei Oscars für die Comic-Verfilmung „Black Panther“: nicht nur waren es die ersten Academy Awards überhaupt für eine Marvel-Produktion; Kostümbildnerin Ruth E. Carter und Produktionsdesignerin Hannah Beachler waren auch die ersten Afroamerikanerinnen, die jemals in diesen Kategorien gewannen.
Überhaupt war es ein erfolgreicher Abend für junge, weibliche oder nicht-weiße Filmemacher. In allen drei Kurzfilm-Kategorien durften Frauen Oscars mit nach Hause nehmen. In der Kategorie Bester Dokumentarfilm setzte sich das Ehepaar Elizabeth Chai Vasarhelyi und Jimmy Chin für „Free Solo“durch, unter anderem gegen die deutsche Produktion „Of Fathers and Sons“. Will man die Oscars auch als Barometer für den Zeitgeist in Hollywood und als Abbild für die Veränderungen innerhalb der Branche wie auch der Academy selbst verstehen, so wird man künftig an diese Gewinner zurückdenken – und nicht an all die weißen Männer aus Team „Green Book“, die am Ende des Abends auf der Bühne standen.
Einer kam nicht vor in der Dankesrede