Mittelschwaebische Nachrichten
Selfie mit „Dachra“
Manchmal ist das Kinoerlebnis eindrücklicher als der Film, den man sieht. Neulich großes Erstaunen in einem Kino in Tunis, wo der brandneue tunesische Streifen „Dachra“anlief (eine Art „Blair Witch Project“, untermischt mit allerlei Anspielungen aufs Horror-Genre). Kaum war das Licht ausgegangen im Saal, zückten viele im Publikum ihre Handys und filmten munter Richtung Leinwand. Andere standen auf und blitzen nach vorne, ihnen genügten offenbar Standbilder. Ein bizarres Schauspiel, an dem sich jedoch niemand zu stören schien. Im Gegenteil: Jene, die nicht mitfilmten, machten ein Selfie mit sich und „Dachra“.
Auffällig war, wie allgegenwärtig dieser Film im Stadtbild von Tunis inszeniert wurde. Überall die Plakate, die ein von zwei Fingern weit aufgespreiztes, fast aus dem Gesicht herausquellendes Auge zeigten. Eine Anspielung auf das Auge mit Rasiermesser in Luis Buñuels Film „Ein andalusische Hund“? „Dachra“lief überall gleichzeitig, in allen Kinos, und auch im Institut français in Tunis. Eine späte Bestätigung dieser Eindrücke vor Ort gab es dann nach der Heimkehr zufällig im Kulturradio. Demnach ist „Dachra“der erfolgreichste einheimische Film und ein tunesisches Kinophänomen. Hunderttausende haben „Dachra“in der ersten Woche gesehen (und einige tausend haben ihn mitgeschnitten…)
Französische Untertitel waren für den Kinobesucher hilfreich – so konnte man immerhin halbwegs folgen. In der Annahme, das sei immer so in den Kinos von Tunis, ging man später in „Fatwa“, ein Film des Regisseurs Mahmoud Ben Mahmoud, mitproduziert von den belgischen Kinobrüdern Dardenne. Starker Film – aber ganz ohne Untertitel, in arabischer Sprache. Auch dies ein Kinoerlebnis. Und am Ende applaudierte der ganze Saal. Kommt bei uns eher selten vor.
Kino aktuell