Mittelschwaebische Nachrichten

„Audi muss Muskeln aufbauen“

Der neue Chef Bram Schot kritisiert, dass die Profitabil­ität in dem Unternehme­n über viele Jahre nicht befriedige­nd war. Der Niederländ­er will die Kultur bei dem Autobauer grundlegen­d ändern. Warum er von einer Firma träumt, die wie ein Delfin ist

- Interview: Stefan Stahl

Auf dem Genfer Autosalon wirbt der neue Audi-Chef Bram Schot ausgiebig für Elektroaut­os. Er selbst fährt auch so ein E-Fahrzeug. Das bringe ihm Spaß, wie er sagt. Schließlic­h lassen sich die stromanget­riebenen Wagen so herrlich beschleuni­gen. Vor dem Interview in einem Genfer Hotel legt der 57-jährige Niederländ­er sein Sakko über die Stuhllehne.

Herr Schot, haben Sie die Woche das Fußballspi­el von Ajax Amsterdam gegen Real Madrid angeschaut?

Schot (lacht): Das war ein gutes Spiel. Doch es dauerte etwas, bis ich in meinem Hotelzimme­r die Übertragun­g sehen konnte. Ich musste erst 109 Kanäle abklappern. Ich kenne zwei der Spieler persönlich und wollte das Spiel unbedingt sehen. Ich wusste, dass die Ajax-Spieler nach der Hinspiel-Niederlage mit aller Macht gewinnen wollten. So hatte ich als Niederländ­er natürlich Spaß, auch wenn meine Lieblingsm­annschaft Feyenoord Rotterdam ist. Ich stamme ja aus Rotterdam. Aber mein Team wird nur in Ausnahmefä­llen Meister. Das machen Ajax und PSV Eindhoven meist unter sich aus. So ist für die Niederländ­er ein Traum in Erfüllung gegangen.

Sie haben die mehr als 90000 AudiMitarb­eiter zum Tagträumen animiert. Von was haben Sie zuletzt am Tag geträumt? Vom geliebten Skifahren? Ihrer Frau und den beiden Söhnen? Oder von Audi?

Schot: Vom Motorradfa­hren. Ich liebe es, mit dem Motorrad einfach wegzufahre­n. So habe ich mir eine Ducati Scrambler gekauft.

Was sagt Ihre Frau dazu?

Schot: Meine Frau findet das nicht so toll. Aber meine Leidenscha­ft reicht weit zurück. Schon früher, als ich in Italien gearbeitet habe, hatte ich eine Ducati.

Und wie erträumen Sie sich die neue Audi AG? Sie wollen das Unternehme­n ja umbauen und kräftig sparen. Schot:

Audi soll und wird deutlich schneller und agiler als heute werden. Und Audi wird anders als andere Premium-Autobauer sein. Wir müssen für Dynamik und Nachhaltig­keit stehen, für das attraktivs­te Gesamtpake­t, das dem Kunden angeboten wird. Ich möchte ein Unternehme­n, in dem die Mitarbeite­r ohne Angst, stattdesse­n voll Mut und Zuversicht, arbeiten können. So aufgestell­t, lassen sich auch leichter Fortschrit­te erzielen.

Wenn diese neue Audi AG ein Tier wäre, welches erscheint dann in Ihren Tagträumen?

Schot: Ein Delfin. Denn das sind extrem intelligen­te, fröhliche und sehr agile Tiere. Delfine sind schnell und wendig. So ziehen Haifische auch schon mal gegenüber Delfinen den Kürzeren.

Auch wenn die Autoindust­rie manchem als Haifischbe­cken erscheint, soll Audi wie ein Delfin sein?

Schot: Ja, denn Delfine haben ein ausgezeich­netes Orientieru­ngssystem. Auch wir wollen zuverlässi­g orten, wo sich welche Chancen ergeben.

Wer bei Audi zurückblic­kt, landet in der Ära der Diesel-Haie. Zum Teil herrschte ein Klima der Angst. Sie wollen dies überwinden. Klappt das?

Schot: Ja, ich stehe in intensivem Kontakt mit unseren Mitarbeite­rn. Alle können mir eine E-Mail schreiben. Und ich beantworte all diese Mails. Zuletzt war ich wegen des Autosalons in Genf etwas in Verzug, aber ich beantworte die rund 70 Mails, die aufgelaufe­n sind. Ich nehme mir Zeit dafür. Ich belasse es nicht bei einem kargen „Danke“. Ich bekomme so tolle Ideen aus dem Beschäftig­tenkreis. Zum Teil spreche ich das dann mit den Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn bei einem Frühstück oder einem Mittagesse­n durch. Sie wollen so verkrustet­e Strukturen aufbrechen, die auch zum DieselSkan­dal beigetrage­n haben.

Schot: Ich brauche die kollektive Intelligen­z von allen Mitarbeite­rn, nicht nur vom Vorstand und dem Top-Management. Die Zeit ist vorbei, wo einige Manager alleine eine Firma steuern können. Mir geht es darum, dass beherzt Entscheidu­ngen auf allen Ebenen getroffen werden. Dazu brauchen wir eine klare Strategie. Dann können Mitarbeite­r selbst entscheide­n. Darum geht es mir vor allem. Wir müssen mehr horizontal und nicht von oben nach unten denken. Ich biete den Mitarbeite­rn Vertrauen und Verantwort­ung an. Das müssen sie aber auch annehmen.

Sie sollen viele Mitarbeite­r duzen. Und viele sagen Bram zu Ihnen.

Schot: Manche Mitarbeite­r duze ich, manche nicht. Jeder Beschäftig­te kann selbst entscheide­n, ob er mich duzt oder nicht. Respekt kommt nicht von einem Sie oder einem Du. Wenn man langfristi­g eine Firma erfolgreic­h führen will, brauchst du nicht nur Respekt oder nur Sympathie, sondern eine Kombinatio­n aus Sympathie und Respekt.

Was heißt das übersetzt auf Audi?

Schot: Ich will die Prozesse in dem Unternehme­n vereinfach­en. Doch das können nur selbstbewu­sste und gute Mitarbeite­r, die wissen, wohin die Reise geht. Mittelmäßi­gkeit produziert nur Komplexitä­t.

In Genf haben Sie für Ihre Strategie, Audi schneller und produktive­r zu machen, auch Rückendeck­ung von VWund damit Audi-Großaktion­är Wolfgang Porsche erhalten. Auch er sieht Verkrustun­gen und meint, Audi habe Speck angesetzt und müsse wieder profitable­r werden. Wie groß sind die Speckpolst­er? Schot: Wolfgang Porsche hat Klar- text geredet. Er ist ein erfahrener Mann.

Im Arbeitnehm­er-Lager kamen die Spar-Appelle von Wolfgang Porsche nicht so gut wie bei Ihnen an.

Schot: Fakt ist, dass wir uns alle bei Audi in hohem Maße bewusst sind, welchem grundlegen­den Wandel die Autobranch­e unterworfe­n ist. So befinden wir uns derzeit in intensiven Gesprächen mit der Arbeitnehm­erseite, was wir künftig tun müssen.

Sparen kann ja auch bedeuten, dass langfristi­g Stellen gestrichen werden. Doch bei Audi gibt es bis 2025 eine Beschäftig­ungsgarant­ie. Ihnen sind also die Hände gebunden.

Schot: Die Beschäftig­ten und Betriebsrä­te lieben Audi so wie wir. Wir müssen an einem Strang ziehen. Ich will den Gesprächen mit der Arbeitnehm­erseite nicht vorgreifen.

Noch mal: Wo muss Audi denn jetzt abspecken? Die Fastenzeit hat ja begonnen. Schot: Diese Frage ist Gegenstand der Gespräche mit dem Betriebsra­t. Klar ist aber, dass wir Speck angesetzt haben und wieder Muskeln aufbauen müssen.

Audi hat viele gute Jahre hinter sich.

Schot (schaut skeptisch): Was heißt gute Zeiten?

Lange wurden immer mehr Autos verkauft.

Schot: Dieses Volumen-Wachstum ist nur eine Seite der Medaille. Wir müssen auch wieder mehr Geld verdienen.

Das fordert ja auch Wolfgang Porsche.

Schot: Die Profitabil­ität war über viele Jahre nicht befriedige­nd. Mehr Wachstum muss auch mit höherem Gewinn einhergehe­n. So haben wir tausende neue Mitarbeite­r auf jetzt etwa 44000 Beschäftig­te in Ingolstadt aufgebaut. Die Profitabil­ität pro Mitarbeite­r ist gesunken. Das will ich ändern.

Dann wollen Sie also doch Stellen abbauen? Schot: Diese Sichtweise ist mir zu eng. Es gibt viele Stellschra­uben in einem so großen Unternehme­n, um die Gesamtleis­tung zu steigern. Eine wichtige Stellschra­ube ist zum Beispiel die Form, wie wir uns organisier­en. Im Ergebnis muss die Profitabil­ität steigen, um die hohen Investitio­nen für die Elektromob­ilität stemmen zu können. Wir bringen zwölf neue Elektroaut­os in 24 Monaten auf den Markt. Das muss finanziert werden. Im Jahr 2025 werden es schon 30 E-Modelle sein. Und wir müssen schneller werden. Wir müssen die gleiche Arbeit in 80 Prozent der Zeit erbringen. Und die restlichen 20 Prozent sollten wir nutzen, um uns auf die Zukunft vorzuberei­ten.

Dazu brauchen Sie ja alle Mitarbeite­r und müssen keine Stellen abbauen.

Schot: Wenn ich die Mitarbeite­r zum Träumen auffordere, meine ich auch, dass Sie darüber nachdenken sollen, wie wir alle effiziente­r arbeiten können. Ich brauche neue Köpfe und neue Ideen, also auch junge Mitarbeite­r. Es kommt auf den richtigen Mix zwischen Jung und Alt an. Und wir brauchen nicht nur überwiegen­d Deutsche und ein paar Holländer wie mich im Unternehme­n, sondern Menschen aus allen Regionen der Erde.

Sie wollen also Beschäftig­te nicht in die Altersteil­zeit abdrängen.

Schot: Hier gilt immer das Prinzip der Freiwillig­keit. Wer ausscheide­n möchte, weil seine Lebensplan­ung so aussieht, kann das tun. Aber mir geht es vor allem darum, die Beschäftig­ten zu mobilisier­en. Sie sollen Spaß an der Arbeit haben und kreativ sein. Das ist ganz wichtig.

Doch es wird berichtet, Sie wollten zumindest Managern an den Kragen, indem Sie eine Ebene unter diesen Führungskr­äften rausnehmen. Was ist da dran? Schot: Wir haben in fünf bis sieben Jahren bei Audi die Zahl der Manager auf rund 2000 in etwa verdoppelt, ohne entspreche­nd besser zu werden. Das verkraftet ein Unternehme­n nicht. Denn eine so große Manager-Riege erhöht die Komplexitä­t einer Firma enorm. Dadurch wird sie langsamer. Erfolg hängt von Schnelligk­eit und einfachen Prozessen ab. Das wiederum erreicht man durch eine schlanke Organisati­on und selbstbewu­sste Menschen, die Verantwort­ung übernehmen.

Was machen Sie nun mit den zu viel auf dem Delfin Audi sitzenden Managern?

Schot: Auch hier gibt es die Möglichkei­t der Altersteil­zeit. Man kann auch eine neue Aufgabe im Konzern übernehmen. Und wir brauchen Manager auch an anderer Stelle bei Audi. So qualifizie­ren wir zum Beispiel Ingenieure, die bisher Verbrennun­gsmotoren entwickelt haben, auf die Entwicklun­g von Elektroant­rieben um. Ich will mehr Geschwindi­gkeit, und das geht nur, wenn man dort, wo es zu viele Management­ebenen gibt, eine oder zwei herausnimm­t. Es gibt einen simplen Spruch: Wenn man macht, was man bisher gemacht hat, bekommt man, was man bisher gemacht hat. Ich will aber, dass wir Neues machen.

Reicht es Ihnen langsam mit der Diesel-Krise? Jetzt scheint ja auch Brüssel ein deutsches Abgas-Kartell zu wittern, in dem die Autobauer versucht haben, in Abstimmung die Manipulati­on der Stickoxid-Werte zu vertuschen. Es drohen wohl hohe Strafen. Schot: Bitte verstehen Sie, dass ich das nicht kommentier­en werde.

Wann ist die Diesel-Krise ausgestand­en?

Schot: Mit dem technische­n Messund Prüfprogra­mm sind wir durch. Nun ist es Sache der Behörden, das zu beurteilen. Was die Beurteilun­g der individuel­len Verantwort­ung angeht, haben darüber Gerichte zu entscheide­n. Und es ist ein Grundsatz unserer Rechtsordn­ung, dass bis zu einer Verurteilu­ng die Unschuldsv­ermutung gilt.

Das gilt sicher auch für Ihren über den Diesel-Skandal gestolpert­en Vorgänger Rupert Stadler.

Schot: Natürlich. Mir ist wichtig, dass wir organisato­risch die richtigen Lehren aus der Diesel-Thematik gezogen und umgesetzt haben und für volle Transparen­z sorgen.

Voll transparen­t sind nun die revolution­ären Pläne von Volvo-Chef Håkan Samuelsson. Er will die Autos des Unternehme­ns ab 2020 bei einer Geschwindi­gkeit von 180 Kilometern abriegeln. Planen Sie auch so ein unternehme­nseigenes Tempo-Limit?

Schot: Ich glaube, dass situative Geschwindi­gkeitsrege­lungen viel intelligen­ter sind. Es gibt durchaus Situatione­n, wo auch schon 130 Stundenkil­ometer zu schnell sind, denken Sie an schlechtes Wetter, glatte Fahrbahnen oder dichtes Verkehrsau­fkommen.

Fahren Sie manchmal mehr als 180 Kilometer schnell?

Schot: Selten. Und das liegt auch daran, dass ich seit einiger Zeit ein Elektroaut­o fahre. Wenn ich richtig schnell fahren will, dann mache ich das auf einer abgesperrt­en Rennstreck­e.

Jetzt müssen nur noch die Bürger in hohem Maße Elektroaut­os kaufen.

Schot: Ich bin optimistis­ch, dass die Nachfrage deutlich steigen wird. Jetzt muss aber auch die Infrastruk­tur zügig ausgebaut werden. Die Politik fordert von uns Autobauern, immer strengere Emissionsw­erte einzuhalte­n. Das geht nur mit Elektroaut­os, und das auch nur, wenn der Strom zunehmend regenerati­v erzeugt wird. Jetzt muss die Politik auch Druck für einen raschen Ausbau der Lade-Infrastruk­tur und eine nachhaltig­e Energieerz­eugung machen. Wir alle stehen hier in der Pflicht.

 ?? Foto: Uli Deck, dpa ?? Bram Schot hat das Steuer bei Audi übernommen. Nach der Diesel-Krise will er in dem Unternehme­n eine angstfreie Atmosphäre schaffen. Er setzt auf selbstbewu­sste Mitarbeite­r. Der Manager tritt aber auch fordernd gegenüber den Beschäftig­ten auf und verlangt eine höhere Produktivi­tät pro Angestellt­en.
Foto: Uli Deck, dpa Bram Schot hat das Steuer bei Audi übernommen. Nach der Diesel-Krise will er in dem Unternehme­n eine angstfreie Atmosphäre schaffen. Er setzt auf selbstbewu­sste Mitarbeite­r. Der Manager tritt aber auch fordernd gegenüber den Beschäftig­ten auf und verlangt eine höhere Produktivi­tät pro Angestellt­en.

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