Mittelschwaebische Nachrichten
Das aktuelle Thema Soll man Michael-Jackson-Songs noch hören?
Meist sind solche Sätze ja übertrieben. In diesem Fall nicht: Michael Jackson ist eine Legende. Ein Künstler wie kein zweiter, einer, der die Musikwelt für immer verändert hat, den Gesang, den Tanz, die Messlatte dafür, was künftig bei Bühnenshows das Etikett „spektakulär“verpasst bekommen sollte. Er hat mit „Thriller“ein Album veröffentlicht, das noch heute – Jahrzehnte später – seinesgleichen sucht. Er hat uns alle staunen lassen, hat eine neue exzentrische Pop-Welt erschaffen, hat Songs geschrieben, die bis heute viele Künstler maßgeblich geprägt haben.
Und nun wird tatsächlich darüber diskutiert, ob man diese Lieder weiterhin hören darf! Ob das moralisch verwerflich ist. Nur weil in einer neuen Dokumentation alte Missbrauchsvorwürfe wieder aufgetaucht sind.
Natürlich muss uns allen klar sein, dass großartige Kunst nicht immer bedeutet, dass dahinter ein großartiger Mensch steckt. Aber es ist doch so: Kunst und Künstler muss man trennen. Ein Werk darf nicht verbannt, weggesperrt werden, selbst wenn sich dessen Schöpfer strafbar gemacht hat – was bei Michael Jackson im Übrigen nie bewiesen wurde. Nach wie vor gilt er als unschuldig. Würde man Kunst und Künstler immer als etwas verstehen, das auch auf moralischer Ebene untrennbar verwoben ist, was würde das denn bedeuten? Wir dürften keine Filme von Woody Allen, keine von Roman Polanski schauen, ohne uns schlecht zu fühlen, dürften keine alten Folgen der Bill-Cosby-Show sehen, nicht hingerissen sein vom genialen Spiel eines Kevin Spacey. Doch all das dürfen wir. Und es ist nicht verwerflich! Denn die Kunst steht für sich.
Was immer man von der Person Jackson halten mag – seine Musik ist legendär. Und gehört ins Radio.
Um es gleich vorab zu sagen: Michael Jackson ist nie des Kindesmissbrauchs überführt, nie verurteilt worden. Und der – egal, ob man nun seine Lieder mag oder nicht – begnadete Musiker ist im juristischen Sinne bis heute unschuldig. Punkt. Außerdem ist er seit zehn Jahren tot. Dennoch umwaberte ihn schon seit den 1980er Jahren der Verdacht, dass er die Jungen, die er immer wieder zu sich auf seine Neverland Ranch einlud, die dort viel Zeit mit ihm in seinen privaten Gemächern verbrachten, verehrte, anfasste, missbrauchte. Jackson gab später über 40 Millionen Dollar aus, um sich mit den betroffenen Familien außergerichtlich zu einigen.
Befeuert wird die Missbrauchsdebatte aktuell erneut – durch den US-Dokumentarfilm „Leaving Neverland“, in dem der Choreograf Wade Robson und der Programmierer James Safechuck berichten, was sie früher als Kinder auf der Neverland Ranch erlebten. Dabei werden auch Liebesbriefe Jacksons an sie präsentiert.
Kann man jetzt noch seine Songs hören? Viele Radiosender haben sich dazu entschlossen, die Lieder trotz der Debatte zu spielen. Dem ebenfalls nicht verurteilten USSchauspieler Kevin Spacey (er soll sich an junge Männer – nicht aber Kinder – herangemacht haben) ergeht es anders. Er findet quasi nicht mehr statt. Bei „House of Cards“wurde er aus dem Drehbuch genommen. Sein letzter Film spielte am ersten Wochenende ganze 126 Dollar ein. Wird hier mit zweierlei Maß gemessen? Natürlich herrscht Meinungsfreiheit. Darum werden wir hier sicherlich nicht schreiben, dass man Jacksons Lieder nie mehr hören darf. Aber zumindest unbedarft kann man seine Lieder nicht mehr spielen. Denn Jackson war nicht nur der „King of Pop“, sondern er hatte womöglich eine sehr kranke Seite.